Virtual Reality - der Schritt in die nächste Dimension?

Die virtuelle Realität war ein großes Thema auf der diesjährigen gamescom. Zu Recht: Die ersten Geräte wie die HTC Vive sollen noch in diesem Jahr in den Handel kommen. Das Samsung Gear VR, sozusagen die mobile Version, gibt es sogar schon in einer sogenannten Innovator Edition zu kaufen. Damit erwirbt der Spieler allerdings eine Art "Early-Access"-Gerät. Im kommenden Jahr werden dann Sony und Oculus mit ihren Modellen Project Morpheus und Rift nachziehen. Der Markt ist also in Bewegung und ich konnte bereits drei Modelle auf der Messe ausprobieren - und damit unter anderem auch EVE: Valkyrie anspielen. Hier ist mein Bericht.

Ich sitze im Cockpit eines Raumschiffs. Wenn ich meinen Blick in der Kanzel umherschweifen lasse und vor allem an mir selbst herabblicke, dann kann ich den Körper des Piloten sehen – meinen Körper –, der in einem neonfarbenen Anzug steckt und ein bisschen an die Figuren aus dem Film Tron erinnert. Mit beiden Händen greife ich nach dem Steuerknüppel, der in Wahrheit ein Xbox-One-Controller ist. Was sich wie eine Szene aus Star Wars oder Battlestar Galactica anhört, fühlt sich durch den Blick einer Oculus-Rift VR-Brille auch genauso an. Mit einer irren Geschwindigkeit werde ich durch eine Gasse aus Licht geschossen und drifte wenige Sekunden später durch die Weiten des Alls. Während sich über mir nichts als die schwarze Leere des Universums ausbreitet, fräsen sich vor meinem Bug mächtige Sternenkreuzer durch den Raum. Was so idyllisch beginnt, entwickelt sich recht schnell zu einer wüsten Ballerei in der Schwerelosigkeit. In EVE: Valkyrie geht es unter anderem darum, dass der Spieler in erbitterten Dogfight-Duellen einen Konvoi beschützen muss.


In EVE: Valkyrie spielt man keinen Raumschiff-Kommandanten. Man ist ein Raumschiff-Kommandant!


Das Spiel der EVE-Online-Macher von CCP Games wird verfügbar sein, sobald Oculus Rift und Sony Morpheus im kommenden Jahr in den Handel kommen. Auf der gamescom wurde bereits das finale Spiel gezeigt, verriet mir Lead Game Designer Andrew Willans, der mit einem Team von 30 Mitarbeitern im Studio Newcastle seit zwei Jahren mit Hochdruck an dem Titel arbeitet. Dass der PC über mehr Power als eine Playstation 4 verfügt, haben die Entwickler eingeplant. "EVE: Valkyrie ist für einen mittelstarken Gaming-PC konfiguriert worden, so dass auf beiden Plattformen eine identische Spielerfahrung möglich sein wird", so Willans. Von einem Grafik-Downgrade will er aber nicht reden. Zudem möchten die Macher so viele Eingabegeräte unterstützen wie nur möglich. Neben des von mir genutzten Xbox-Controllers wird auch PlayStation Move zum Einsatz kommen.

Auch für die "mobile" Brille Samsung Gear VR hat CCP Games ein Spiel programmiert. Der Rail-Shooter EVE: Gunjack lief in der Entwicklung zunächst unter dem Namen Project Nemesis. Bei der Brille des Herstellers Samsung dient das Display des Mobiltelefons (in diesem Fall ein Samsung Galaxy S6, S6 Edge oder Note 4) als Bildschirm, indem das Gerät auf das Brillengehäuse gesteckt wird. EVE: Gunjack ist im Grunde der kleine Bruder von Valkyrie und bietet ein vereinfachtes Gameplay, das aber ebenso Laune macht. Während der Spieler mit der Bewegung des Kopfes auf die Gegner zielt, erfolgt das Feuern und Nachladen über ein kleines Sensorfeld an der rechten Seite der Brille. Wer sich auf diese Weise in den Raumkampf begibt, haut sich also permanent gegen die Schläfe und kreist mit dem Kopf umher, um die feindlichen Raumschiffe ins Visier zu nehmen - die Steuerung des eigenen Schiffs im dreidimensionalen Raum übernimmt jedoch das Spiel.

Nachdem ich mich mit der Oculus Rift und dem Samsung Gear VR in die Weiten des Alls begeben hatte, stand mit der HTC Vive noch ein Gerät auf dem Plan, das aus einer Kooperation zwischen dem Mobilfunkhersteller HTC und dem Softwareunternehmen Valve (Steam) hervorgegangen ist. Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer einmal die HTC Vive ausprobiert hat, der will in keine andere virtuelle Realität mehr abtauchen. Zur Erklärung sei gesagt, dass die nun vorgestellten Geräte im Grunde zwei technische Lösungen anbieten, die sich in einem Punkt grundlegend voneinander unterscheiden: Während Sony, Oculus und das Samsung Gear VR auf eine kabellose Variante setzen, ist der Spieler bei der HTC Vive auf diese "Einschränkung" angewiesen. Grundlegend anders ist auch, dass sich der Nutzer – im Gegensatz zu den anderen Geräten – innerhalb eines definierten Raums bewegen kann.

Hierfür wird durch zwei installierte Kameras ein virtuelles Gitternetz aus grünen Lichtbalken aufgebaut, das nur in solchen Momenten sichtbar wird, wenn der Spieler Gefahr läuft, vor die reale Wand zu rennen. Der Start in die virtuelle Realität eines HTC Vive sah der Animus-Erfahrung aus Assassin's Creed frappierend ähnlich. Um mich herum entfaltete sich ein weißer Raum, der nach keiner Seite auch nur irgendeine Begrenzung aufwies. Um sich mit den Steuergeräten – einer Mischung aus Steam-Controller und Wiimote - zurecht zu finden, musste ich zunächst mit dem linken Stick eine Farbe wählen, indem ich mit dem Daumen über eine kreisrunde Fläche strich, um dann mit dem rechten Stick einen Ballon aufzublasen. Klingt langweilig, ist aber absolut faszinierend. Mit der Bewegung des Arms konnte ich den Ballon zudem anstoßen und gen Himmel schicken. Die Physik dahinter funktioniert zu 100 Prozent.




Der wirkliche Wow-Effekt folgte aber mit der ersten Demo "Deep Blue". Plötzlich fand ich mich auf dem Deck eines versunkenen Schiffes und inmitten von Fischschwärmen wieder. Auch sie reagierten auf meine Bewegungen und stoben in alle Richtungen, als ich sie mit der Hand berühren wollte. Nur ein paar Schritte und ich hatte die Reling erreicht. Der Blick in die Tiefe, aber vor allem zur Wasseroberfläche, war atemberaubend. Ich staunte wie ein kleines Kind, das in ein großes virtuelles Bällebad gefallen war. Und spätestens als ein majestätisch anmutender Wal nur wenige Meter an mir vorbeizog und mich mit seinem großen Auge fixierte, hatte mich die Technik am Wickel.

Die weiteren vier Demos waren nur noch schmückendes Beiwerk; wie eine virtuelle Küche, in der ich in Cooking-Mama-Manier Rezepte kochen, aber auch eine Menge Unsinn anstellen konnte. Ein Tisch, auf dem Miniaturfiguren eine Schlacht um eine Burg ausfochten, konnte von allen Seiten betrachtet werden und ich fühlte mich dabei wie der Riese aus Gullivers Reisen. Während ein Mal- und Zeichenprogramm, übrigens von Google entwickelt, als kreatives Tool begeistern konnte, fuhr die letzte Demo nochmal alles auf, was die virtuelle Realität zu bieten hat. Schauplatz war der Items-Shop aus Dota 2. Der Shopkeeper kam zur Tür herein und gab mir ein Licht, das ich aus seiner großen Pranke greifen musste. Mit ihm wurden fünf Symbole aktiviert, die mich unter anderem auf Zwergengröße schrumpfen ließen. Als ich eine riesige Spinne neben mir erblickte, brach ich die Demo sofort ab und stellte mir vor, welches Potential Horrorspiele in diesem Umfeld entfalten können.

Einschätzung: Ich bin von den Möglichkeiten der VR-Brillen absolut begeistert und gespannt, was auf den Konsumenten in den nächsten Monaten zukommen wird. Die Morpheus bietet sicherlich einen großen Vorteil: Die Playstation 4 verfügt mit über 25 Millionen verkauften Geräten bereits über eine große Basis, die Sony für sich nutzen kann. Als Konsolen-Spieler muss ich keinen performanten Gaming-PC kaufen und mir auch keine Sorgen um irgendwelche technischen Konfigurationen machen. Brille anschließen und fertig!

Die HTC Vive und die Oculus bieten eine faszinierende Technik; aber auch hier ist entscheidend (und das gilt natürlich für alle Brillen), welche Inhalte dem Nutzer am Ende geboten werden. Zudem brauche ich eine Menge Hardware-Power und den nötigen Platz, damit die Immersion im Falle der HTC Vive greifen kann. Und nachdem ich die drei Modelle getestet hatte, fragte ich mich auch, ob damit möglicherweise die nächste (bisher unbekannte) Welle an Gamer-Krankheiten auf uns zurollen wird. Eine Nackenstarre, hervorgerufen durch die Strapazen des Weltraumkampfs oder ein gestauchter Knöchel durch den Sturz über den Kabelbaum der HTC Vive, waren nur zwei der potentiellen Gefahren, die mir spontan einfielen. In diesem Zusammenhang mag ich auch noch nicht bewerten, wie schwer sich die Brillen nach einer mehrstündigen Spiele-Session auf dem Kopf anfühlen werden. Die Hersteller haben sich sicherlich ihre Gedanken hierzu gemacht, um entsprechende Empfehlungen aussprechen zu können, wenn die Geräte erst mal im Handel sind. Nach dem Motto: Bitte legen Sie nach XY Minuten eine Pause ein. Auf der gamescom war der Testlauf nach 15-30 Minuten vorbei und die Euphorie über das Erlebte schlug die möglichen Einschränkungen um Längen.

Daher soll dies nach einem ersten Hands-On auch nur ein kleiner Seitenhieb auf eine ansonsten fantastische Technik sein. Jeder Star-Trek- und Holodeck-Fan muss und wird in Jubelstürme ausbrechen angesichts der Möglichkeiten, die sich da vor unseren Augen ausbreiten.




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Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: Kithaitaa ... und 5 Gästen.
  • Tim
    #1 | 26. August 2015 um 16:22 Uhr
    Ich muss es auch öffentlich nochmal sagen: ein sehr schöner Artikel, der anschaulich beschreibt, wie sich VR eben "wirklich" anfühlt, wenn man es das erste Mal ausprobiert.   

    Ich habe das Samsung Gear mit Gunjack auch testen können und fand das persönlich ziemlich enttäuschend - mit dem ständigen An-die-Schläfe-klopfen kommt man sich auch unglaublich blöd vor, vor allem, weil man währenddessen auch noch ständig den Kopf dreht.

    Zum Glück hab ich danach auch noch Oculus VR mit EVE: Valkyrie getestet und ... man, war das geil! Das Ding war einfach Bombe, man hat sich so richtig mittendrin gefühlt. Für mich steht jedenfalls schon fest, dass ich mir eine VR-Brille kaufen werde, alleine schon für Valkyrie - ich tendiere da im Moment zur Morpheus, weil die PS4 ja schon als komplette Konsole dasteht und keine teure zusätzliche Hardware gekauft werden muss.

    Das HTC Vive klingt natürlich auch super, dürfte aber mit den Extra-Kameras etc. noch teurer werden. Hoffentlich gibt es da auch nochmal eine Gelegenheit, das Teil auszuprobieren.

    Fazit: VR ist auf jeden Fall was ganz Großes! Bin gespannt, was die neue Technik für die Immersion bewirkt und welche Spiele dafür optimiert und zugeschnitten werden. Horrorspiele werde ich mir damit aber auch nicht geben - alleine bei der Vorstellung von P.T. oder Outlast in VR bekomme ich das Gruseln   
  • Darius
    #2 | 27. August 2015 um 10:10 Uhr
    Da werde ich ja schon fast ein wenig traurig, dass ich meinen HTC-Termin abgegeben habe   

    Ich bin mal gespannt was der ganze Spaß kosten soll. Bisher gibt es da ja noch keinerlei konkrete Anhaltspunkte. Schätze mal, dass die Morpheus am günstigsten abschneidet, mehr als die Konsole sollte das Teil zumindest nicht kosten. Wobei es da sicherlich noch Bundles mit Move, Kamera & Co. geben wird.

    Und dann muss sich natürlich noch zeigen, was es an passablen Spielen dafür gibt. Eve Valkyrie ist sicherlich ganz nett für zwischendurch, aber jetzt auch nicht wirklich der Systemseller (für mich). Also erstmal noch in der wirklichen Welt entspannt zurücklehnen und abwarten =)

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