Assassin's Creed 4: Black Flag - Review
Aye, Captain: Das beste Freibeuter-Spiel seit Sid Meier's Pirates!
Jedes Jahr ist es das gleiche: Ein neues Assassin's Creed kommt auf den Markt und ganz egal, was Ubisoft auch unternimmt, es wird gemotzt und gemeckert - manche gehen gar so weit und vergleichen die Entwicklung der Serie mit der von Call of Duty. Doch wenn diejenigen wüssten, was sie jedes Jahr verpassen, würden sie vielleicht anders denken. Denn Assassin's Creed IV: Black Flag ist nicht einfach nur irgendein schnell zusammengeschusterter weiterer Ableger der Reihe - es ist der interessanteste seit dem zweiten Teil, das spielerisch stärkste Spiel in der gesamten Seriengeschichte und es ist auch technisch gereift. Und man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass es nicht nur das beste Assassin's Creed ist, das Ubisoft bislang erschaffen hat - es ist gleichzeitig auch das beste Videospiel mit Piratenthema überhaupt, seit sich Sid Meier das großartige Pirates! ausgedacht hat. Also: Lest die Review und hisst die schwarze Flagge! Arrr!
Urlaubsstimmung in der Karibik des 18. Jahrhunderts - und das trotz Piratenkrise.
Klar: Auch Black Flag ist im Kern "nur" ein Assassin's Creed, und wer schon die Vorgänger nicht mochte, den wird auch dieser Teil nicht komplett umstimmen können. Für manche war die Serie seit je her schon zu oberflächlich, zu simpel - für mich hat sie sich immer durch ihre einzigartige Atmosphäre und die grandiosen Spielwelten ausgezeichnet. Das hat sich mit Black Flag nicht geändert. Ubisoft versteht es einfach, längst vergangene Epochen virtuell wiederzubeleben, in einer Liebe zum Detail, die ihresgleichen sucht. Waren es in Teil 2 noch das wundervolle Venedig und in Teil 3 die stimmungsvolle, offene Wildnis, die mich so beeindruckt haben, so ist es in Teil 4 die gesamte Karibik. Es ist nicht mehr so, dass man nur einen bestimmten Abschnitt der Welt in Erinnerung behält - dieses Mal ist die Welt nicht bruchstückhaft zusammengesetzt, sondern wirklich eine Einheit. Wenn man mit der Jackdaw über den Ozean segelt und an zahllosen kleinen und großen Inseln vorbeifährt, die man erkunden könnte, dann ist das schon ein besonderes Gefühl. Und denkt ja nicht, das könnte man mit Assassin's Creed III vergleichen - dort war die ganze Schiff-Mechanik nur ein kleiner Bonus, während sie hier quasi die Hälfte des gesamten Spiels ausmacht. Man verbringt Stunden über Stunden auf dem Meer, und das nicht etwa nur, weil man es müsste, nein - man macht es auch deshalb, weil es einfach nur Spaß macht. Und außerdem kann ich mich auch nach all der Zeit, die ich schon mit dem Spiel verbracht habe, nicht an dieser fantastischen Grafik sattsehen. Vor allem am Wasser, denn kein anderes Spiel schafft es, das kühle Nass so realistisch darzustellen wie Black Flag. Die Spiegelungen, die Wellen, die ganze Physik ...
Auch der Rest der virtuellen Karibik im 18. Jahrhundert ist am PC eine absolute Augenweide - und endlich spielt auch die Technik ganz ohne Bugs und Glitches so mit, wie sie es sollte! Im Vergleich dazu zieht die Wii-U-Version übrigens klar den Kürzeren: Dort sinkt die Framerate ständig auf vielleicht 20-24FPS und dieses leichte, aber gefühlt permanente Ruckeln reißt einen aus der Atmosphäre raus. Wenn ihr die Wahl habt, greift also am besten zur PC-Fassung - denn Black Flag sieht wirklich schick aus.
Der Szenario-Wechsel vom kolonialistischen Nordamerika hin zur piratenverseuchten Karibik hat der Serie auf jeden Fall wirklich gut getan und war vor allem deshalb ein cleverer Schritt, weil Assassin's Creed III bekanntlich nicht überall gut ankam. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen war das Spiel technisch unsauber, zum anderen spielerisch kein besonders großer Fortschritt, zum dritten hatte es Connor Kenway verdammt schwer, in die großen Fußstapfen von Altair und natürlich Ezio zu treten - es ist also nur logisch, dass Ubisoft gleich den nächsten Helden in die Runde schickt. Wobei "Held" vielleicht nicht unbedingt das richtige Wort für Edward Kenway ist, denn der Freibeuter ist arrogant, gierig, machtbesessen und entscheidet sich nicht aus Überzeugung, sondern aus purer Lust am Geld für die Seite der Assassinen - aber erst dann, nachdem er sich als Templer ausgegeben und die andere Seite der Medaille angeschaut hat. Edward ist dennoch ein cooler Kerl und es fällt einem erstaunlich leicht, sich mit ihm anzufreunden - vielleicht gerade deshalb, weil er einfach einen Dreck auf die ganzen gesellschaftlichen Regeln gibt. Aber auch die anderen Charaktere, von Edwards Piratencrew bis hin zum exzentrischen Blackbeard, sind super getroffen und zeigen einmal mehr, wie viel Mühe sich die Entwickler dabei geben, die Vergangenheit erneut zum Leben zu erwecken. Die Story braucht allerdings eine ganze Weile, bis sie endlich richtig Fahrt aufnimmt, und wer sich Hoffnungen auf eine spannende Rahmenhandlung in der "echten Welt" gemacht hat, darf diese gleich begraben - aus dem Animus muss man nur ein, zwei Male raus und dort spielt der Templer-Assassinen-Konflikt keine Rolle. Stattdessen findet man sich bei Abstergo Entertainment wieder, einem Entwicklerstudio für Videospiele, die versuchen, in Desmond Miles' DNA interessante Geschichten für neue Games zu entdecken. Schade eigentlich, aber nunja - dafür ist alles innerhalb des Animus' großes Kino. Dennoch gilt: Potential vertan.
Landratten über die Planke: Die erhoffte starke Evolution gibt's nur auf hoher See ...
Was das Gameplay angeht, gibt sich Black Flag weitestgehend klassisch - an Land ist es ein Assassin's Creed wie jedes andere seit Teil 2, die wenigen Neuerungen und Änderungen sind entweder marginal oder schlicht kosmetischer Natur. Was im Vorfeld relativ groß angepriesen wurde, war eine spielerische "Rückkehr" bzw. Neuorientierung in Richtung Stealth - davon hält das Spiel allerdings nicht viel ein. Zwar muss man immer wieder heimlich ans Ziel gelangen und es gibt mehr Möglichkeiten, sich zu verstecken und Wachen anzulocken, doch ist die KI so abartig schlecht, dass man das Ganze getrost vergessen kann. Die Wachen interessiert es zum Beispiel einen Dreck, wenn vor ihnen eine Leiche liegt oder ein Kollege einfach so verschwunden ist. Selbst wenn man ein ganzes Bataillon der Reihe nach ausgelöscht hat, läuft der letzte Überlebende seine gescripteten Wege ab, ohne sich auch nur ein klitzekleines bisschen über diese Geistesruhe zu wundern. Der grandiose Tiefpunkt ist aber das, was nach dem Einsatz des Blasrohrs geschieht. Wie die Giftpfeile in Assassin's Creed II kann auch Edward Berserker-Pfeile verschießen, die das getroffene Opfer kurzerhand randalieren und alles angreifen lassen, was sich nicht bei 3 auf dem Baum befindet. Es kommt also zum Kampf zwischen den gesunden Wachen und dem Wahnsinnigen, und ist der Kampf dann vorbei und der Psycho getötet, geht's für die Soldaten zurück auf die Ausgangsposition und die Leichen werden einfach liegen gelassen, frei nach dem Motto: "Mir doch egal." Solche Situationen lassen sich überall im Spiel provozieren und es ist einfach unglaublich, wie so etwas im mittlerweile 6. Hauptteil einer Multi-Millionen-Serie mit diesem Budget noch durchgehen kann.
Begrabt also gleich alle Hoffnungen auf halbwegs anspruchsvolle Stealth-Action á la Splinter Cell: Blacklist oder Batman: Arkham City - Assassin's Creed ist weit von spielerischer Herausforderung und dem Wort "Stealth" entfernt. Generell kann man sagen, dass sich spielmechanisch an Land eben kaum etwas getan hat. Das Klettern ist nach wie vor automatisiert, sieht aber toll aus, und die Kämpfe ... darüber darf man eigentlich gar kein Wort mehr verlieren, nachdem Batman & Co. doch so eindrucksvoll vorgemacht haben, wie dynamische Gefechte heute auszusehen haben. Trotzdem tritt Ubisoft nicht komplett auf der Stelle. Denn für Black Flag hat man zwar das Assassinen-Gameplay unverändert beibehalten, dafür aber eine großartige See-Komponente hinzugefügt. Mit seinem eigenen Schiff, der Jackdaw, kann man nicht nur den Ozean bereisen und unbewohnte Inseln erkunden - man kann auch feindliche Schiffe in bombastischen Seeschlachten versenken, sie entern und dann der eigenen Flotte hinzufügen, um sie dann auf Handelsrouten zu schicken. Viele Schiffe transportieren außerdem wertvolle Güter, die zum Upgrade der Jackdaw benötigt werden. Desto stärker das eigene Schiff, desto größer sind die Möglichkeiten: Man kann dann schwere feindliche Küstenforts einnehmen, nachdem man mit ein paar ordentlichen Breitseiten die Verteidigungslinien und Wälle zerschossen hat, oder man kann die mächtigen legendären Schiffe herausfordern, für deren Versenkung einige zehntausend Reales als Belohnung winken. Das Spiel ist quasi in zwei Hälften geteilt (Land und See), die beide per se schon ein eigenes Spiel sein könnten. Und die Stagnation an Land wird durch die Action auf hoher See vielleicht nicht komplett ausgeglichen, aber letztendlich überwiegt die Euphorie der Enttäuschung - Glück für Ubi!
Wie gewohnt liegt die Spielzeit für die Story bei knapp 15-18 Stunden, für den Erkundungsdrang und die Nebenmissionen geht aber locker noch einmal genauso viel Zeit drauf - für sein Geld bietet Assassin's Creed IV also ein ordentliches Paket an Inhalt. Ebenfalls Tradition ist die hohe Abwechslung im Spielverlauf, sodass nie Langeweile aufkommt - sehr schön. Und weil wir gerade bei Traditionen sind, die sich innerhalb der Serie schon seit Jahren halten: Der Soundtrack ist trotz anderem Komponisten abermals ein Genuss für die Ohren. Und wer möchte, kann sich nach dem Durchzocken der Kampagne auch noch am Multiplayer versuchen, der mich allerdings nicht mehr wirklich interessiert hat, weswegen ich ihn gar nicht erst gestartet habe. Viel geändert hat sich gegenüber den Mehrspielermodi in Revelations und Teil III allerdings wohl ohnehin nicht - wer sich dafür interessiert, kann dort aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch einige unterhaltsame Stunden Spielspaß mit Freunden finden.
Fazit von Tim:
Wo Assassin's Creed draufsteht, ist auch Assassin's Creed drin - und langsam sollte wirklich jeder wissen, wo die Stärken der Serie liegen und wo die Schwächen. Stark sind seit je her Story, Inszenierung, Charaktere und die gesamte Spielwelt mit ihrer Atmosphäre, schwach auf der Brust bleiben Kämpfe und Stealth. Black Flag ändert nichts an dieser Balance, fügt aber mit der grandiosen Komponente auf hoher See ein wunderbares neues Gameplay-Element dazu. Ob das Black Flag "objektiv" zum besten Assassin's Creed macht, lasse ich mal dahingestellt - aber rein subjektiv hat mir das Spiel am meisten Spaß gemacht und mich am längsten an den Controller gefesselt. Assassin's Creed ist eine Serie, die vielleicht spielerisch nicht das Maß aller Dinge darstellt, dafür aber so viele tolle Eigenschaften besitzt, die anderen Spielen fehlen: die Liebe zum Detail, die markanten Figuren, die hochspannende Spielwelt. Klar: Irgendwann muss die Reihe aber auch für ihre unglaublich schlechte, geradezu katastrophale KI und ihr oberflächliches Kampfsystem bestraft werden. Doch ich muss ganz ehrlich eingestehen, dass ich beim Spielen fast pausenlos über diese Dinge hinweg gesehen habe. Mir ging es in Assassin's Creed nie darum, spektakuläre Kämpfe zu bestreiten. Ich wollte eine packende Story in einer historisch nahezu korrekten Simulation der Vergangenheit erleben und die Freiheit haben, diese Welt auf eigenen Füßen zu erkunden. Black Flag hat mir genau das geboten - in einer grafischen Schönheit, die ihresgleichen sucht, und ich hatte einfach nur Spaß daran, mit Edward unbewohnte Inseln zu erkunden und mit der Jackdaw über die Meere zu schippern. Und das ist doch das einzige, was unter dem Strich zählt - oder?
Black Flag erfindet Assassin's Creed nicht neu, ergänzt es aber um eine grandiose Schiff-Mechanik und bietet abgesehen davon alles, wofür man die Reihe kennt (und liebt) - inklusive dem vielleicht besten Szenario der gesamten Seriengeschichte. Piraten? Yeah!
- wunderschöne Spielwelt, super Atmosphäre
- großer Entdeckungsdrang durch zig Inseln
- spannende Story mit starken Charakteren
- klasse Gameplay-Komponente auf dem Meer
- dynamisches Wetter: Sturm- & Wellengefahr
- umfangreiche Kampagne plus Multiplayer
- schicke Kulissen, wunderbare Panoramen
- toller Sound und makellose Lokalisierung
- technisch exzellente Wasserdarstellung
- erbärmliche KI macht Stealth überflüssig
- wie immer: dezent schwaches Kampfsystem
- Handlung in den ersten Stunden schleppend
- fragwürdige Rahmengeschichte in "Echtzeit"
Tim hat Assassin's Creed 4: Black Flag auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Ubisoft zur Verfügung gestellt.
#1 | 18. Dezember 2013 um 12:38 Uhr