Sherlock Holmes: Crimes and Punishments - Review

Eine Studie in Scharlachrot, Das Zeichen der Vier oder Der Hund von Baskerville - die vom britischen Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle entwickelte Kunstfigur Sherlock Holmes hat viele Abenteuer erlebt. Geschichten rund um Mord, Verschwörung und sogar seinen eigenen Tod samt Wiederauferstehung. Kein Wunder also, dass Mister Holmes nicht nur als Vorlage für weitere Kriminalromanfiguren dient, sondern gleichzeitig in Form von Serien, Filmen und Videospielen einen Auftritt hat. Bereits seit 1985 dürfen Spieler auf der ganzen Welt in Adventures oder Wimmelbilder in die Rolle des berühmten Helden schlüpfen. Und weil das bekanntlich ja nicht langweilig werden kann, gibt es mit Sherlock Holmes: Crimes & Punishment eine mehr oder weniger direkte Fortsetzung zum Adventure "Das Testament des Sherlock Holmes". Bewaffnet mit Lupe und Notizbuch habe ich versucht, die Verbrechen an der Menschheit und an der Konsole aufzudecken.

Neues Abenteuer = neuer Sherlock? Zu viel neue Dinge wären ja albern und genau deshalb präsentiert Entwickler Frogwares einen eher klassischen Sherlock: Grisgrämigkeit, Sarkasmus und analytisches Denken der Superklasse gehören an die Tagesordnung. Fast schon wahnsinnig anmutende Aktionen, wie das blinde Schießen auf Vasen, kommen (leider) nur bedingt vor. Eine Kopie der beliebten BBC- oder CBS-Serie sollte man also nicht erwarten, wenn man sich in Trenchcoat und Baskenmütze wirft. Dennoch kann der Protagonist dank seines ruhigen Auftretens und seiner perfekten Synchronisation sofort alle Sympathiepunkte gewinnen. Punkte, die er auch nötig hat, denn trotz Veröffentlichung auf den immer noch so bezeichneten Next-Gen-Konsolen gibt es einige Elemente, die den Spielspaß verderben, weil sich die Entwickler vielleicht nicht genügend Zeit genommen haben oder dachten, dass der fehlerhafte Charme des Vorgängerspiels sich auch im neuen Zeitalter gut macht. Und damit sei noch nicht mal die Geschichte hinter Sherlock Holmes: Crimes & Punishment gemeint.


Sherlock Holmes: Crimes and Punishments
"Fantasy-London" von seiner schönsten Seite.
Mysteriöse Fälle gepaart mit einem professionellen Holmes - was kann da noch schief gehen?



Es geht mysteriös im alten London zu



Mysteriöse Kriminalfälle gibt es ja wie Sand am Meer, vor allem wenn man die bewegte Vergangenheit unseres Hauptprotagonisten im Blick hat. Es sollte also nur klar sein, dass sich die Entwickler nicht an den Büchervorlagen orientieren, um ein authentisches Spiel mit einem modernen Sherlock auf den Markt zu bringen. Gesagt, getan und so präsentiert man hier im Gegensatz zum 2012 erschienenen "Das Testament des Sherlock Holmes" sechs einzelne Fälle. Diese präsentieren sich so vielseitig, wie das Leben nur sein kann und so muss ein geheimnisvoller Mord aufgeklärt werden oder es gilt das Verschwinden eines Geister(?)-Zugs aufzudecken. Dank der vielzähligen Entwicklungsmethoden, der sich immer mehr verdichtenden Hinweise samt Randinformationen und der Zwischensequenzen kommt schnell Stimmung auf - auch wenn die allumfassende Geschichte etwas vermisst wird. Jeder Fall hat seinen ganz eigenen Charme, seine eigenen Verdächtigen und spielt in anderen Gebieten, sodass für Abwechslung im Storybereich gesorgt ist.

Hinzu kommen die unzähligen Möglichkeiten, einen Fall aufgrund der entsprechend gesammelten Hinweise zu lösen. Beeilt man sich und achtet kaum auf die klitzekleinen Hinweise, kann eine Akte schnell in 30 Minuten geschlossen werden. Je nachdem wie die einzelnen Details kombiniert werden, zieht sich eine Auflösung aber ganz gern über die drei oder vier Stunden hin, vor allem wenn die Entscheidung zwischen Verurteilung und Verschonung schwer fällt: Zwar kann eine Kerbe im Hochzeitsring auf einen wilden Kampf mit Todesfolge hindeuten, aber die Liebesbriefe im Gartenhaus zeigen eine ganz andere Richtung auf - sollte deshalb der vielleicht liebende Mann, der nur durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse zur Tat gedrängt wurde, verurteilt werden oder bietet es sich an, mit Hilfe von Bruder Mycroft und seinen internationalen Beziehungen die Tat zu vertuschen? Mit Hilfe des Deduktionswerkzeuges, mit welchem sich alle Hinweise und aus den Verdächtigen herausgekitzelte Aussagen verknüpfen lassen, werden schnell Wege aufgezeigt, die eine entsprechende Richtung andeuten. Es liegt nun am Spieler zu entscheiden, ob eine sogenannte Moralentscheidung das optimale Ende des Falls ist oder ob weitere Hinweise von Nöten sind. Zum Glück gibt es mit einem Drücker auf das PS4-Touchpad eine Hilfe, ob alles entdeckt wurde. Übrigens: Je nach eigener Entscheidung oder Auswahl eines Verdächtigen ändert sich die eigentliche Geschichte, sodass der Wiederspielwert garantiert ist.


Sherlock Holmes: Crimes and Punishments
Eine durchweg schöne Grafik, vor allem wenn man näher an die Gesichter gelangt.
Leider hat dies ihren Preis.



Immer diese unsichtbaren Tische



Während die Geschichte genügend Möglichkeiten bietet - entsprechende Hinweise vorausgesetzt - hat das Entwicklerteam im technischen Aspekt leider Potenzial verschenkt: Gut, im Vergleich zum letzten Spiel sind die Animationen flüssig, die Gesichter sehen wunderbar detailliert aus und die Bewegungen fühlen sich realistischer an, aber das war es dann auch schon. Im direkten Vergleich mit der PC-Version sehen die Texturen auf der Konsole jedoch weniger scharf aus, die Personen sowie Kulissen sind matschig und überhaupt fehlt das gewisse Etwas. Wirklich negativ fallen aber die flackernden Schattenkanten auf und wem das noch nicht reicht, der dürfte sich über die Ladezeiten tierisch aufregen. Stetig muss geladen werden, das Umschalten im Menü geht nur mit 1-2 Sekunden Wartezeit und selbst während der kleinsten Sequenzen ruckelt das Geschehen, da anscheinend nachgeladen werden muss. Unverständlich, da Sherlock Holmes: Crimes & Punishment nun nicht das grafisch anspruchsvollste Spiel der Welt ist.

Leider gibt es auch Macken während des Spielens, die mit fortschreitendem Spielverlauf immer mehr stören. Eine träge Mauszeigersteuerung ist da schon aus dem Vorgänger bekannt und es bleibt auch hier unklar, wieso die Eingaben nicht auf Anhieb funktionieren. Allzu oft musste mehrmals gedrückt werden, um eine einzige Aktion auszuführen - nervig. Gleichzeitig ist zentimetergenaues Positionieren wichtig, wenn ein gewisses Element untersucht werden möchte. Da ist es dann fast schon unterhaltsam, wie Sherlock an so gut wie jeder kleinsten Ecke hängenbleibt, da die Kamera nicht immer optimal einstellbar ist. Dank Ego-Perspektive lassen sich die meisten Hürden aber umgehen.


Sherlock Holmes: Crimes and Punishments
Die meisten Fehler sind aber durchaus verkraftbar, wenn man sich auf das Spiel einlässt.



Mit Minispielen den Mörder entlarven



Nach der kleinen Story-Einleitung zum neuen Fall begibt sich Holmes gemeinsam mit Kollege und Freund Watson mehr oder weniger freudig erregt zum Tatort. Dort ist es nun an euch, die versteckten Hinweise zu finden und anhand jener den Gesprächsverlauf zu bestimmen. Nur durch das Kombinieren von jeder Möglichkeit lassen sich weitere Hinweise entdecken. Doch nur durch Reden lässt sich kein Mörder überführen und so muss oftmals ein Blick in das heimische Labor geworfen werden: Hier beginnen Minispiele, die den vielleicht trögen Ermittler-Alltag auflockern. Mal gilt es unter einem Tintenfleck eine wichtige Nachricht zu entschlüsseln, mal müssen verschiedene Gesteine miteinander verglichen werden und mal soll eine Harpune sein Ziel auf einer Schweinehälfte finden. Die Ideen sind vielfältig und machen wirklich Spaß, auch wenn die ein oder andere Aktion gehäuft verkommt. Zum Glück trifft dies fast nur auf das Öffnen von Kisten zu, da hier dasselbe Rätsel, wenn auch immer anders gestaltet, gelöst werden muss. Mein persönliches Highlight ist das Gerücheraten: Anhand von Geruchserinnerungen versucht Holmes einen Hinweis zuordnen zu können. Selber gilt es zum Beispiel ein Schiff in die richtige Form zu bringen, damit deutlich wird, dass der Pfefferminz-Tabak einzigartig ist und nur auf einem besonderen Fleck Erde zu finden ist.

Der Schwierigkeitsgrad ist durchweg angenehm, auch wenn manche Passagen wirklich knifflig sind und aufgrund der manchmal unpräzisen Steuerung zur Geduldsprobe werden. Gleichzeitig müssen die Gesichter und entsprechende Mimiken des Gegenübers genauestens beobachtet werden, sollen alle Fälle zu 100 Prozent gelöst werden: Oftmals helfen die Hinweise kaum weiter und so muss mittels Menschenkenntnis herausgefunden werden, dass der Bahnhofsvorsteher zwar einen kompetenten Eindruck macht, aufgrund seiner Unerfahrenheit aber einiges zum Debakel beigetragen hat. Im bereits angesprochenen Deduktionssystem müssen (oder können sobald ein Hinweis erscheint) die ermittelten Begebenheiten miteinander kombiniert werden, um zu Schlussfolgerungen zu gelangen. Schade nur, dass es ab und an vorkommen kann, dass der richtige Gedanke bereits vorhanden, die entsprechenden Beweise aber noch versteckt sind. In solchen Momenten hilft es, Holmes Sechsten Sinn einzusetzen, um Spuren, die für den Otto-Normal-Bürger unsichtbar sind, zu entdecken. Da das Gehirn von Holmes bekanntlich auf einer anderen Ebene funktioniert, ist dieses bereits aus Vorgängern bekannte Element eine gute Sache.

Generell funktioniert die Erzählweise in Zusammenarbeit mit dem Gameplay ausgezeichnet, auch wenn es hier und da kleinere Fehlerchen in technischer Hinsicht gibt. Zu Beginn sollte man zudem beachten, dass es kein Tutorial wie in "Das Testament des Sherlock Holmes" gibt. Viel eher befindet man sich direkt im Fall und muss mit allen Tools hantieren können. Ein schwieriges Unterfangen, da manche Elemente doch den ein oder anderen Tipp benötigt hätten, um das wirkliche System dahinter zu verstehen.



Fazit von Lenela:

Ein rund um gelungener Nachfolger ist Sherlock Holmes: Crimes & Punishment sicherlich nicht. Dennoch bietet das neueste Videospiel-Abenteuer genügend Anreize, um den Ausflug in das alte London zu wagen: Die mystisch angehauchten Fälle sind fesselnd und können aufgrund der vielen Entscheidungsmöglichkeiten überzeugen; das Flair dank der netten Schauplätze und zahlreichen Ermittlermethoden begeistern und das Deduktionssystem bringt etwas Modernität in den bekannten Spielablauf. Gleichzeitig sehen die Gesichter in der Nahaufnahme sehr detailliert aus, auch wenn die generelle grafische Präsentation nicht gerade „Next-Gen“ ist. Schade also, dass sich unser geliebter Sherlock nicht nur anstrengenden Fällen gegenübersieht, sondern ebenso (kleinen) technischen Problemen und Verwirrung aufgrund fehlender Spielhilfen.

Besonders gut finde ich ...
  • Spannende Fälle mit vielen Enden und Deutungsmöglichkeiten
  • Urige Schauplätze und tolle Gesichtsanimationen
  • Sehr professionelle Vertonung mit entsprechendem britischen Flair
  • Trockener Humor, lustige Experimente und unterschiedliche Individuen
  • Toller Knobelflair mit steigendem Schwierigkeitsgrad
Nicht so optimal ...
  • Durch fehlende Anleitung ist oftmals der Spielablauf unklar
  • Steuerung des Charakters hölzern, steif und ungenau
  • Dialogzeilen wiederholen sich; leider nur englische Sprachausgabe
  • Minispiele kommen bereits in den ersten Fällen doppelt vor
  • Technische Mängel

Lenela hat Sherlock Holmes: Crimes and Punishments auf der PlayStation 4 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Focus Home Interactive zur Verfügung gestellt.

Sherlock Holmes: Crimes and Punishments - Boxart
  •  
  • Entwickler:Frogwares
  • Publisher:Focus Home Interactive
  • Genre:Adventure
  • Plattform:PC, PS3, PS4, Xbox360, Xbox One, Switch
  • Release:30.09.2014
    (Switch) 03.02.2022

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: 2 Gästen.
  • Darius
    #1 | 16. Oktober 2014 um 20:46 Uhr
    Bei "Mimiken des Gegenübers" fällt mir sofort L.A. Noire ein, das leider weit hinter seinen Erwartungen zurückgeblieben ist. Wie muss ich mir denn jetzt den neuen Sherlock, hab die "alten" nicht sonderlich gespielt oder in Erinnerung, vorstellen? Sind denn wenigstens, auch wenn es keine Hilfen gibt, die Fälle ansich logisch aufgebaut, so dass man ggf. auf "gut Glück" und mit einem Grad an Bauchgefühl durchkommt? Hm.
  • Lenela
    #2 | 17. Oktober 2014 um 22:08 Uhr
    Da es echt super viele Enden gibt, kommt man gut mit einem Bauchgefühl durch. Manches Mal ist ein Fall sehr offensichtlich, bei einem anderen braucht man eine gewisse Zeit. So ist es auch mit den Mimiken - gerade beim Armdrücken-Minispiel brauchte ich echt Zeit, um zu wissen, was mir welche Regung sagen sollte.

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