Tearaway Unfolded - Review
Mit dem heiligen DualShock auf dem Weg zum Wesen in der Sonne
Eigentlich ist es paradox: Im Nachhinein würde ich den Untertitel "Unfolded" lieber an die Vita-Version vergeben anstatt an die Neuauflage für die PlayStation 4. Denn sein wahres Potential entfaltet Tearaway nicht mit dem DualShock 4, sondern mit der PlayStation Vita und ihrem Touchscreen, der integrierten Kamera, dem Gyrosensor und dem Rückseiten-Touchpad. Nicht, dass Tearaway Unfolded nicht auch seine Stärken hätte. Die hat es definitiv. Und wer Media Molecule kennt, der weiß, wie viel Kreativität man auch von der Konsolenfassung erwarten kann. Aber ein wenig ist der Zauber weg.
Was ist Tearaway?
Um zu verstehen, wieso Tearaway sich auf der PlayStation 4 nicht so entfalten kann wie auf der Vita, muss man zunächst das Rad zurück drehen – und verstehen, was Tearaway auf der Vita so besonders gemacht hat. Denn auch wenn es auf den ersten Blick danach aussehen mag: Tearaway ist kein einfaches Jump’n’Run oder Action-Adventure. Es ist vielmehr ein Erlebnis, regelrecht eine Reise. Als kleines Postmännchen (oder Postweibchen – je nachdem, ob ihr Iota oder Atoi wählt) zieht man in ein Abenteuer durch eine kunterbunte Welt. Mit einer ganz wichtigen Mission: dem seltsamen "Wesen" in der Sonne eine Nachricht zu überbringen. Dieses Wesen in der Sonne: Das war ich. Auf der Vita war mein Gesicht am Himmel zu sehen. Übertragen über die integrierte Frontkamera des Handhelds. In Tearaway Unfolded ist das Wesen am Himmel nur ein heller weißer Fleck, umrahmt von einer gelben Sonnenkontur.
Denn ich besitze keine PlayStation Camera – ohne die Kamera kann mein Gesicht folglich auch nicht im Spiel auftauchen. Und hier beginnen die Probleme von Tearaway auf der PlayStation 4. Wo das Spiel auf der Vita noch die Grenzen zwischen virtueller und realer Welt verschwimmen ließ, baut Unfolded eine Distanz zwischen ihnen auf. Ein weiteres Beispiel: Tippte man auf der Vita mit dem Finger auf das Rückseiten-Touchpad, brach ein virtueller Finger in die Welt des Postmännchens ein. Das fühlte sich an, als griffe man tatsächlich mitten ins Spiel hinein – als sei man selbst ein Teil seiner Welt. Und auf der Konsole? Da drücke ich auf das Touchpad. Es werden Trommeln angestoßen. Mehr passiert nicht.
Zwei Welten
Tearaway lebte auf der PlayStation Vita von dieser Verschmelzung zwischen Realität und Virtuellem; es lebte von den vielen Überraschungen und Erfahrungen, die man während seiner Reise sammeln konnte. Ein besonders aufregendes Spiel war es nie gewesen – es war weder herausfordernd noch war das Gameplay in irgendeiner Hinsicht revolutionär. Aber darum war es ja auch nie gegangen. Auf der PlayStation 4 hingegen ist die Distanz zwischen Spieler und Spiel so groß, dass das Spiel präsenter wird. Und das ist etwas, das Tearaway nicht gut tut.
Diese "Distanz", von der ich spreche, ist gleichzeitig metaphorisch wie auch real vorhanden – eine Vita ist zwangsläufig näher am Spieler als es ein Fernseher je sein könnte. Media Molecule sind sich dieses Problems allerdings durchaus bewusst gewesen! Nicht ohne Grund ist eines der besten neuen Elemente, Gegenstände aus dem Spiel heraus "in den Controller" zu schmeißen – kippt man den DualShock dann in den Händen hin und her, ertönt durch die integrierten Lautsprecher ein Klacken oder gar ein Quieken, wenn man beispielsweise ein kleines Erdhörnchen durchschüttelt. Streichelt man sanft über das Touchpad, hört man das putzige Ding glücklich vor sich hin brummen – man spürt, wie es die Streicheleinheit genießt. Und wenn man die Leuchtleiste des Controllers auf den Fernseher richtet und eine bestimmte Taste drückt, erscheint im Spiel ein kräftiger Lichtstrahl, der aus der Ferne, von außerhalb der virtuellen Welt zu kommen scheint. Das sind tolle Ideen! Und sie verkürzen gekonnt die Distanz zwischen Spieler und Spiel. Aber sie reichen nicht, um beide Welten zu verschmelzen.
Das Beste, was möglich war
Media Molecule haben alle Register gezogen, alle Ideen verwirklicht, alles Menschenmögliche getan, um Tearaway auf die PlayStation 4 zuzuschneiden. Und ich bin überzeugt: Viel besser geht es nicht mehr. Tearaway Unfolded ist das Maximum an Tearaway, was auf der Heimkonsole mit dem DualShock 4 möglich gewesen ist – aber die ursprüngliche Vision dieses Abenteuers gibt es nur auf der Vita. Auch das Zeichnen und Basteln ist ein Zeuge dieser Limitierung. Auf dem Touchscreen des Handhelds konnte ich intuitiv, bequem und präzise Linien ziehen und Formen malen. Mit dem Touchpad des DualShock hingegen kommt meistens nur verzerrtes Gekritzel heraus. Ja, sicher: Ich könnte ein Tablet zur Hand nehmen und über die Companion App dort Schmetterlinge, Federn und Kronen entwerfen. Aber erstens habe ich kein Tablet – ebenso wenig wie eine PlayStation Camera. Und zweitens ist es genau dieser Punkt, der Unfolded nur zum Tearaway zweiter Wahl macht: Es braucht zwingend zusätzliche Hardware, um das Spielerlebnis der Vita zu simulieren. Und wenn die Hardware vorhanden ist, ist zwar die Simulation gelungen - die Distanz zwischen Spieler und Spiel nimmt aber zu.
Tearaway Unfolded ist ein gutes, ein spannendes, ein immer noch sehr unterhaltsames, liebenswertes und exotisches Spiel – eine aufregende Reise durch eine mysteriöse Welt voller putziger Wesen, kreativer Falze und märchenhafter Gebiete. Ich lege es jedem von euch nahe, der mangels einer Vita noch nicht in den Genuss des Abenteuers kam. Wirklich: Spielt es. Genießt es. Lasst es auf euch wirken! Es macht Spaß, es sieht toll aus, und es bietet sogar einige zusätzliche Levels und Spielelemente - wie das supercoole Gleiten auf Papierfliegern.
Habt ihr jedoch eine Vita daheim und Tearaway bereits gespielt, dann vermittelt Unfolded lediglich eine einzige Botschaft: Die PlayStation Vita ist tot. Und das umhüllt das eigentlich so fröhliche und farbenfrohe Spiel mit einem dünnen Schleier von Melancholie.
Fazit von Tim:
Tearaway Unfolded wäre ein fantastisches Spiel, wenn es die PlayStation Vita nicht gäbe! Auf den ersten Blick bringt es alles mit, was das Originalspiel ausgezeichnet hat: die märchenhaft schöne Grafik, die herrliche Liebe zum Detail, die Ideen, die Innovationen, die Kreativität. Eigentlich ist alles da - und doch will der Funke nicht so überspringen, wie das noch am Handheld der Fall war. Das liegt daran, dass Unfolded zwangsläufig eine Distanz zwischen Spieler und Spiel aufbaut - im übertragenen Sinne wie auch in der Realität. Wo die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt auf der Vita noch verschmolzen bis komplett verschwanden, sind sie in Unfolded spürbar, stellenweise gar sichtbar. Kein Wunder: Schließlich befindet sich ein Fernseher unvermeidlich weiter vom Spieler entfernt als eine Vita. Und Media Molecule haben ihr Bestes gegeben, um diese Distanz zu überbrücken - beispielsweise mit dem Einbinden der Leuchtleiste, dem Gyrosensor und dem coolen "Aus-dem-Fernseher-hinaus-Werfen" von Gegenständen. Das sind tolle Ideen! Und Spaß macht Unfolded auch, keine Frage. Für jemanden wie mich, der das originale Tearaway genossen hat, wirkt die Konsolenfassung allerdings limitiert - limitiert in ihrer Vision. Ich bezeichne es daher auch ganz klar als das Tearaway zweiter Wahl. Habt ihr keine Vita zur Hand, greift zu! Spielt Unfolded, genießt es, habt Spaß damit. Für Kenner bleibt allerdings ein etwas fader Beigeschmack. Und es ist paradox, dass ausgerechnet die Version von Tearaway, die sich selbst als "entfaltet" bezeichnet, gegenüber dem Original den Kürzeren zieht.
Tearaway entfaltet sich nicht, sondern legt sich durch die neue Plattform ein kreatives Korsett an und reißt Spieler und Spiel auseinander. Ein gutes, spaßiges, liebevolles Spiel ist es nach wie vor - als Abenteuerreise aber nicht mehr so spannend wie auf der PS Vita.
- fantastisch anzuschauende Papierkulissen
- durchgängig eine enorme Liebe zum Detail
- um neue Levels & Spielelemente erweitert
- coole Spielereien mit dem DualShock 4
- toller Epilog regt zum Nachdenken an
- Distanz zwischen Spieler und Spiel
- spielerisch nur durchschnittlich
- gelegentliche Soundbugs mit Headset
Tim hat Tearaway Unfolded auf der PlayStation 4 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Sony CEE zur Verfügung gestellt.
#1 | 2. Oktober 2015 um 18:04 Uhr
#2 | 4. Oktober 2015 um 22:32 Uhr
#3 | 6. Oktober 2015 um 19:10 Uhr
#4 | 7. Oktober 2015 um 16:12 Uhr
#5 | 9. Oktober 2015 um 00:02 Uhr
Fetzig: kann die ps4 kamera nicht auch durch die companion app auf dem handy/dem Tablet ersetzt werden?
Nein, wohl nicht ganz - siehe auch hier: [youtube.com]