Fallout 4 - Review
Von Mutanten, Kronkorken und Tea Partys.
Endlich ist es soweit: Bethesda schickt euch wieder in die Weiten der Wastelands. Nach Washington D.C. und Las Vegas spielt der neuste Ableger der Reihe im Großraum Boston. Doch knapp 200 Jahre nach dem atomaren Unglück ist nur noch wenig übrig von der einst kulturell so reichen Stadt. In gewohntem und unverkennbaren Artstyle, mit viel Liebe zum Detail, verschlimmbesserter Technik und mit neuen Features erwarten euch weit über 100 Stunden Spielspaß. Dass sich der Kauf von Fallout 4 lohnt sei demnach vorweggenommen. Trotzdem möchte ich euch dazu einladen, meinen Erfahrungsbericht zu lesen.
Ein Neuanfang
Tag 1: Oben angekommen erblicke ich eine völlig fremde Welt. Die einst dichten grünen Wälder sind krank und ausgedünnt, der Boden ist erdig – von grünem Gras keine Spur – und die Fahrzeuge rosten traurig vor sich hin. Ich gehe den Weg in Richtung meines früheren Hauses, nicht in der Hoffnung noch auf jemanden zu treffen, sondern in der Hoffnung, brauchbare Gegenstände zu finden. Dort angekommen werde ich von meinem alten Haushaltsroboter Codsworth überrascht, welcher trotz der schrecklichen Geschehnissen seinen britischen Charme nicht verloren hat und höchst erfreut ist, mich wieder zu sehen. Er klärt mich über die Vorkommnisse auf und auch darüber, wie lange ich in Kryostase war. Ich lasse ihn weiter die einst schöne Siedlung bewachen und begebe mich in Richtung der nächst gelegenen Ortschaft, um dem Schicksal meiner Familie nachzugehen. Auf dem Weg dorthin komme ich an einer alten Tankstelle vorbei und treffe auf einen neugierigen Vierbeiner, den besten Freund des Menschen, der sich zusammen mit mir gegen einige mutierte Ratten oder Maulwürfe oder was auch immer das waren verteidigen muss. Wir waren die längste Zeit allein. Fortan durchstreifen wir zusammen die weiten Ödlande.
OOC: Das Live-Action-Intro von Fallout 4 bringt euch die Geschichte des Fallout-Universums näher. Die Worte "War – war never changes" wecken Erinnerungen und man fühlt sich sofort zuhause in der Welt von Nuka Cola und mit Brennstoffzellen betriebenen Haushaltsrobotern. Zu Beginn des Spiels befindet ihr euch noch in einer heilen Welt und blickt in den Spiegel. Die Charaktererstellung ist dabei innovativ gelöst und derart komplex, dass es online mittlerweile ganze Sammlungen gibt, die zeigen, wie originalgetreu Schauspieler und diverse fiktive Figuren nachmodelliert werden können. Auch das persönliche Schicksal beim anschließenden Eintritt der Katastrophe ist gut inszeniert, nur leider konnte es mich nicht so sehr begeistern, wie es Fallout 3 getan hat. Die ersten Schritte als Baby und später der erste Blick über die weiten Ödlande – das war einfach phänomenal! Trotzdem: auch Fallout 4 hat es geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen.
Das erste Feuergefecht
Tag 2: Auf meinem Weg durch die kleine Ortschaft treffe ich auf eine Gruppe von Leuten, die sich in einem alten Museum verschanzt haben. Sie werden von Plünderern angegriffen, die mit improvisierten Waffen und Lederrüstungen ausgerüstet sind. Mein vierbeiniger Begleiter und ich greifen an. Während sich Dogmeat in den Beinen dieser Halunken verbeißt, nutze ich das Zielsystem meines Pip-Boys mit der Bezeichnung V.A.T.S., um die wenigen Patronen, die mir noch bleiben, so effektiv wie möglich zu nutzen. Nachdem das Leben auch aus dem letzten Plünderer gewichen ist, gehen wir in das alte Museum und stoßen zu der Gruppe. Der Anführer ist ähnlich gekleidet wie ein US-amerikanischer Soldat zu Zeiten des Unabhängigkeitskrieges. Er stellt sich als einer der letzten Minutemen vor. An seiner Seite sind ein Mechaniker mit Koteletten und Elvistolle, eine alte Dame, die eine Vorliebe für Betäubungsmittel hat und zwei weitere Begleiter, die weniger kommunikativ zu sein scheinen. Ich führe die Gruppe in die Siedlung zu Codsworth und erkläre mich bereit, ihnen zu helfen. Dann ziehe ich mit Dogmeat weiter.
OOC: Ähnlich wie bereits bei Fallout 3 und Fallout: New Vegas trefft ihr überall auf Personen, die eine interessante Geschichte zu erzählen haben - oder zumindest eure Hilfe benötigen. Oft handelt es sich um Fraktionen mit den skurrilsten Hintergründen und Weltanschauungen. Die Dialoge sind dabei gut geschrieben und haben den Fallout-typischen Humor – er ist vor allem schwarz! Sogar eure Begleiter bringen euch mit ihrer Schlagfertigkeit immer wieder zum Schmunzeln - Dogmeat mal ausgenommen. Auch die deutsche Synchronisation ist gut gelungen, nur leider passt das Gesprochene meist nicht zu den Lippenbewegungen der Personen. Trotzdem ist es nicht zwingend notwendig, Fallout 4 auf Englisch zu spielen, denn Mimik und Emotionen sucht man sowieso vergebens. Da stört das asynchrone Gefasel auch nicht weiter. Was eure Entscheidungsmöglichkeiten anbetrifft, steht es euch völlig frei, ob ihr den Leuten eure Hilfe anbietet, oder ihnen kurzerhand den Hals umdreht und sie um ihr Gepäck erleichtert. Wem ihr helft bleibt also euch überlassen, bedenkt jedoch, dass eure Handlungen und Entscheidungen auch Folgen auf das weitere Spielgeschehen haben können.
Ein Stück Zivilisation
Tag 7: Nach gut einer Woche Abenteuer in den Weiten der Ödlande, komme ich endlich in Boston – oder besser gesagt in den Ruinen Bostons - an und werde prompt von einigen Plünderern überrascht, die jedoch den Kürzeren ziehen und meiner Feuerkraft maßlos unterlegen sind. Ich nehme ihr Hab und Gut an mich und gehe weiter in Richtung Innenstadt. Die meisten Gebäude sind eingestürzt und in den Straßen stehen kreuz und quer Autos, die wohl seit Jahrhunderten nicht mehr fortbewegt wurden.
Aus der Ferne sind Schüsse zu hören. Ich entscheide mich dafür, in Richtung des Schusswechsels zu rennen, um ggf. einer der beiden Parteien meine Unterstützung anzubieten. Dort angekommen, sehe ich, wie Stadtwachen sich im Kampf mit Mutanten befinden. Hier fällt die Entscheidung leicht und ich nehme den hässlichen Kopf eines Mutanten ins Visier. Nach einigen verschossenen Magazinen nutze ich – schwer angeschlagen – einen Stimpak, um meinen gesundheitlichen Zustand zu verbessern. Anschließend durchsuche ich die zersiebten Körper der Mutanten nach etwas Brauchbarem, finde jedoch nichts als menschliche Überreste, von denen diese Ungeheuer sich scheinbar ernähren. Noch etwas desorientiert von dem Feuergefecht, frage ich die Stadtwachen nach dem Weg in Richtung Innenstadt.
Zwei Blocks weiter komme ich in Diamond City an, einer der letzten Hochburgen der Menschheit, bei der man noch von so etwas wie einer Zivilisation sprechen kann – so die Erzählungen. Vor den Stadtmauern treffe ich auf eine Journalistin, die großes Interesse an meiner Geschichte zeigt. Sie hat dunkle Haare, trägt einen roten Ledermantel und einen klassischen Pressehut der 1940er Jahre. Nach einem kurzen Disput zwischen ihr und dem Bürgermeister, suche ich sie in ihrem Haus auf und stelle mich für ein Interview zur Verfügung. Im Gegenzug bietet sie mir ihre Hilfe an und begleitet mich fortan. Zeit für Dogmeat, nach Hause zu gehen.
OOC: Die komplette Welt ist mit sehr viel Liebe zum Detail gestaltet. Fallout 4 hat seine ganz eigene Ästhetik und verleiht dem – eigentlich – schrecklichen Szenario eine gewisse Romantik. Immer wieder bleibe ich stehen und beobachte die karge Landschaft oder begutachte die Überreste eines alten Diners. Niemals erweckt etwas den Eindruck, als Platzfüller zu dienen und bereits anderweitig verwendet worden zu sein. Dementsprechend abwechslungsreich bleiben auch die Wanderungen durch die Weiten des Ödlandes und spätestens dann, wenn es wirklich langweilig zu werden scheint, wird man von irgendwo her angegriffen oder sieht ein Ufo abstürzen. Chapeau!
Die eigenen vier Wände
Tag 10: Meine neue Begleiterin Piper ist mittlerweile gut ausgerüstet. Sie trägt einen Militärparka, Lederrüstungsteile an Brust und Schultern, und einen Helm. Zudem ist sie mit einer langläufigen Schrotflinte bewaffnet; allerdings täuscht das gefährliche Aussehen. Das zarte Gemüt folgt ganz ihrem Kodex und redet erst, bevor sie schießt. Ich muss mir meiner Taten bewusst sein, andernfalls könnte ich sie verärgern – was ich nicht will. Sie ist nicht so treu wie Dogmeat und bestimmt auch nicht der unterhaltsamste Begleiter, aber sie kann mir dabei Helfen, dem Schicksal meiner Familie nachzugehen. Doch zuerst ...
Wir gehen zurück zu meinem ehemaligen Zuhause und unterstützen beim Bau der Siedlung. Gänzlich eingestürzte Gebäude werden entfernt und überall, wo die tragenden Wände noch stehen, wird entrümpelt. Im Anschluss werden Betten aufgestellt und diverse Apparaturen mit Strom versorgt. Zur Verteidigung baue ich entlang des Flusses, der in Richtung der Tankstelle führt, einige Geschütztürme. Zu guter Letzt lege ich einen Garten an, in dem zukünftig Melonen, Tomaten und Mais angebaut wird. Die Einwohner zeigen sich erkenntlich und beginnen mit der Gartenarbeit. Ich gehe auf einen kurzen Dialog bei Codsworth vorbei, streichle noch kurz Dogmeat und ziehe anschließend mit Piper weiter.
OOC: Das neue Feature des Siedlungsbaus ist ebenso unterhaltsam, wie es auch überflüssig ist. Ihr habt die Möglichkeit, Personen, die sich euch anschließen, zu verschiedenen Siedlungen zu schicken, die unter eurer Kontrolle stehen. Dort könnt ihr zerfallene Gebäude entfernen, neue Gebäude einrichten und letzten Endes ganze Verteidigungsanlagen aufbauen. Das Problem ist, dass ihr daraus nahezu keinen Nutzen zieht. Der Siedlungsbau ist somit völlig optional, kann aber trotzdem für viele Stunden Unterhaltung sorgen – eine gewisse Affinität zu den Sims vorausgesetzt.
Fazit von Kai:
Fallout 4 ist ein echtes Kunstwerk - voller Makel und doch wunderschön. Von technischer Seite aus sprechen wir von einem aufgewärmten Brei, den wir bereits vor 7 Jahren vorgesetzt bekommen haben und der auch damals schon leicht versalzen war und für Schluckauf sorgte. Zwar wird im Vergleich zu den direkten Vorgängern eine modifizierte Version der Engine genutzt, allerdings scheint die Modifizierung mehr technische Features als optische Politur umfasst zu haben. Charakteranimationen wirken unnatürlich und steif, Mimik ist nahezu nicht vorhanden und allgemein fallen die Bilder pro Sekunde viel zu häufig in den Keller, sowohl auf der Konsole, als auch am PC. Wenn wir ehrlich sind, haben wir es aber gar nicht anders erwartet. Was Fallout 4 zu einem so guten Spiel macht sind ganz andere Eigenschaften.
Zum einen liebe ich den Artstyle und die Inszenierung. Angefangen bei der unverkennbaren, fiktiven Zukunft im Gewand der 1940er und 1950er Jahre, über den schwarzen Humor hinaus bis hin zur völlig übertriebenen Brutalität: Fallout ist einzigartig und Teil 4 der bisher beste seiner Reihe. Ein weiterer Punkt ist die Abwechslung, welche Fallout 4 bietet. Einfach überall gibt es etwas Neues zu entdecken und dabei scheint es nie langweilig zu werden. Viel zu oft habe ich mich dabei erwischt, wie ich die Zeit vergessen hatte und es sich schon fast nicht mehr gelohnt hat, noch ins Bett zu gehen. Viel zu schnell verliere ich mich in den Weiten des Fallout-Universums und schalte alles um mich herum ab. Die Langzeitmotivation sucht definitiv ihresgleichen!
- verschiedene Begleiter und mögliche Beziehungen
- gute Dialoge und schwarzer Humor
- verschiedene Fraktionen mit eigenen Aufgaben
- grandioser Soundtrack
- gute deutsche Sprachausgabe
- Bau eigener Siedlungen als neues Feature
- unnatürliche Charakteranimationen
- fast keine Mimik
- teilweise schlechte Bildrate
- matschige Texturen
- noch ganz viel weiteres Technikgeschwurbel
Kai hat Fallout 4 auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Bethesda Softworks zur Verfügung gestellt.
#1 | 25. November 2015 um 19:12 Uhr
#2 | 25. November 2015 um 20:22 Uhr
#3 | 25. November 2015 um 20:26 Uhr
#4 | 27. November 2015 um 21:18 Uhr
Woran ich mich aber viel mehr störe ist das Kampfsystem ihrer Spiele. Während ich bei Skyrim das unüberlegte Schwertgefuchtel dank Zauber noch tolerieren kann fand ich das Shooter-Grundgerüst aus Fallout 3 (und NV) absolut enttäuschend (selbst entsprechend geskillt) und auf VATS reduziert waren die Kämpfe für mich einfach nur langweilig. Fallout 4 klingt daher für mich alleine schon deswegen so viel interessanter, weil das Grundgerüst endlich einmal (besser) funktioniert. Trotzdem warte ich aber noch ein paar Mods und Patches ab, das Spiel kann dadurch eigentlich nur besser werden