Pokémon Tekken - Review

Nicht, dass man von der Pokémon-Serie keine kuriosen Spin-Offs gewöhnt wäre - da gab es schon einiges, was wohl nicht mal in der nerdigsten Fan-Fiction erdacht worden wäre. Aber Pokémon Tekken, konzipiert und entwickelt von Bandai Namco, sogar mit dem großen Namen Tekken im Titel? Das klingt zunächst zu schräg, um wahr zu sein, wird aber in dieser Woche in Form eines bunten Beat'em-Ups für die Nintendo Wii U tatsächlich Realität. Ich habe in den vergangenen Tagen mit meinem Gengar fleißig Pikachus, Gewaldros und Knackracks geklatscht - zufrieden bin ich trotzdem nicht.

Das liegt vor allem in einem Problem begründet, das sich Pokémon Tekken mit einem anderen aktuellen großen Beat'em-Up - Street Fighter V - teilt: Es bietet viel zu wenig Inhalt. Wo bei Street Fighter aber wenigstens noch eine Menge kostenfreier DLC in Aussicht gestellt wird, ist bei "Pokken", wie es überall außer Deutschland so schön heißt, nichts dergleichen angekündigt. Lokaler Kampf, Online-Duelle in Form von Rang- und Freundesmatches, ein Trainingsmodus und ein kurzer, eintöniger, unspektakulär inszenierter "Story-Modus" sind alles, was das Spiel zu bieten hat, Unlockables mitgezählt, denn die umfassen lediglich zwei Kämpfer und eine Reihe an Support-Pokémon. Zum Vollpreis ist das ganz schön mau - zumal die Kämpferriege mit gerade einmal 16 Pokémon sowieso schon wenig Fleisch besitzt. Dieses grundsätzliche Problem ist deshalb auch der größte Schwachpunkt von Pokémon Tekken.


Pokémon Tekken
Im "Limit-Modus" entwickeln sich Pokémon zu Mega-Pokémon und werden kurzzeitig extrem stark.


Arcadig im schlechten Sinne



Warum ist der Umfang so karg? Um das zu verstehen, muss man einen Blick hinter die Kulissen werfen und die Entwicklungs- bzw. Entstehungsgeschichte des Spiels kennen. Ursprünglich war Pokken Tournament als ein Arcade-Titel für Spielhallen in Japan erschienen. Erst aus dieser Arcade-Version ist dann die Wii-U-Umsetzung entstanden - und was wir nun auf der Disc finden, ist genau das: eine leicht erweiterte Umsetzung der Arcade-Version, ergänzt um Online-Modi, eine Handvoll neuer Kämpfer und eine zweckmäßige Menü-Struktur. Was für Arcades in Sachen Umfang ausgereicht hat (wenngleich nicht den nötigen Erfolg brachte), ist für Konsolen im Jahr 2016 dann doch ziemlich enttäuschend.

Nun sagen Quantitätsangaben freilich nur wenig über die eigentliche spielerische Qualität aus und bei einem Crossover zwischen Pokémon und Tekken, entwickelt von Bandai Namco unter der Leitung von Katsuhiro Harada, Producer der Tekken-Serie höchstselbst, erwartet man zunächst selbstverständlich viel, mindestens jedoch ein ausreichend komplexes Kampfsystem und ein gelungenes Balancing. Erkenntnisse über letzteres dürften sich logischerweise erst einige Wochen nach Launch und spätestens mit der EVO 2016 einstellen - zumindest bei ersterem kann ich euch aber jetzt schon versichern, dass es richtig viel Spaß machen kann. Kann deshalb, weil das ausschließlich für Kämpfe gegen andere menschliche Spieler gilt und nicht für die jämmerlich schlechte KI, mit der man es in allen anderen Modi zu tun bekommt.

Das wiederum liegt an zwei Entscheidungen im Spieldesign. Einerseits daran, dass es im Singleplayer keine Möglichkeit gibt, den Schwierigkeitsgrad anzupassen - so klopft man in der "Ferrum-Liga", einer Auswahl aneinandergereihter belangloser Kämpfe, selbst ohne große Mühe und Übung fast alles nieder, was einen zum Kampf herausfordert. Andererseits - und das ist das viel wichtigere Thema - gibt das Kampfsystem gar keine spannenden Duelle mit der KI her, weil ein Schere-Stein-Papier-System Glück als spielentscheidendes Element einbindet.


Pokémon Tekken
Gluraks feurigem Atem ist auch in einer dreidimensionalen Arena nur schwer auszuweichen.


Zugänglich, aber tiefgründig



Drei unterschiedliche wichtige Manöver gibt es in Pokémon Tekken, die zusammen das erwähnte Kräftedreieck darstellen - Konterangriffe, Grabs und "gewöhnliche" Schläge, Tritte und Spezialattacken. Ein Konter kontert erwartungsgemäß einen Angriff, ein Grab schlägt einen Konter und ein Angriff einen Grab. So weit ist das nicht besonders komplex. Aber es geht dabei auch viel mehr um etwas anderes: Anders als in zum Beispiel Street Fighter oder (Achtung!) Tekken ist hier das Reagieren nicht entscheidend, weil dafür gar nicht erst die Zeit da ist. Vielmehr setzt das Kampfsystem darauf, dass man seinen Gegner liest, dessen Kampftaktik antizipiert, dass man einen Angriff bereits erwartet und genau deshalb einen Konter startet - denn wenn der Gegner den Angriff gestartet hat, ist das Zeitfenster für die Konter-Reaktion viel zu knapp. Das ist per se kein schlechtes System, zumal man durch Ausweichen, Springen und den klassischen Block natürlich noch andere Möglichkeiten besitzt, dem Aufeinanderprallen der Fäuste zu entgehen. Aber es funktioniert nur gegen menschliche Spieler gut, weil die künstliche Intelligenz in der Ferrum-Liga einfach nicht nachvollziehbar agiert. Wenn ich selbst nach zwei Kampfrunden noch kein Gefühl für die Taktik meines Gegners bekommen habe, dann fällt es schwer, meine eigene darauf abzustimmen.

Das soll das Kampfsystem in Pokémon Tekken jedoch nicht schlechter reden als es ist. Nein, gegen menschliche Gegner funktioniert es wie gesagt ganz prima, macht auch unter den richtigen Umständen (kein Buttonmashing, ein erfahrener Kontrahent) richtig viel Laune, selbst Genre-Neulinge kommen durch das Schere-Stein-Papier-Prinzip schnell zu erfreulichen Erfolgen. Das System ist simpel und doch geht es an den richtigen Stellen angenehm in die Tiefe - durch tiefe Schläge und Luftangriffe etwa, durch Distanzattacken und ein Manöver, bei dem man schnurstracks und auf direktem Wege auf seinen Gegner zueilt und ihm direkt eins auf die Fresse gibt. Letzteres ist vor allem wichtig, weil Pokémon Tekken gemäß der Tekken-Vorlage natürlich in einer dreidimensionalen Arena abläuft und dort Positionierung und Abstand zueinander eine ganz wichtige Rolle spielen. Besonders schwere Treffer hingegen bewirken das Wechseln des Kampfes in die "Duellphase", also in eine zweidimensionale Arena á la Mortal Kombat, in der der Nahkampf in den Mittelpunkt rückt. So hauen sich Gewaldro, Machomei, Suicune und Konsorten also sowohl in 2D als auch 3D aufs Maul, wobei beide Phasen ständig wechseln. Das sieht cool aus, ist spielerisch auch dank ausreichender Zahl an Angriffen durchaus abwechslungsreich und macht, das kann man ruhig so sagen, häufig viel Spaß.


Pokémon Tekken
Pokémon-Fans wird vor allem optisch einiges geboten, allerdings nicht genug Abwechslung.


Für die Fans



Es gibt aber noch mehr Alleinstellungsmerkmale im Kampf. Zum Beispiel den obligatorischen Supermodus, hier "Limit" genannt, nach dessen Aktivierung (die das Aufladen einer Leiste erfordert, natürlich) das jeweilige Pokémon zu seiner Mega-Evolution wächst und Schaden austeilt, der um ein Vielfaches höher ist als der übliche. Keine Frage, dass auch der dazugehörige Superangriff nicht fehlen darf, der - wie jeder andere auch - selbstverständlich für jeden Kämpfer spezifisch ausfällt. Mega-Gengar etwa verschlingt seinen Gegner in einem bildschirmfüllenden Spektakel komplett; Mega-Glurak badet sein Opfer in einem tosenden Flammeninferno. Großes Kino für Pokémon-Fans, die ja nicht alle Tage die Gelegenheit bekommen, ihre Lieblinge bildhübsch animiert auf dem großen Fernseher zu bestaunen, in knackiger HD-Auflösung und bei butterweichen 60 Frames. Ein bisschen wirken die Limit-Elemente deshalb auch wie "Fanservice", da sie spielerisch nicht wirklich viel am Kampfgeschehen ändern - hier ging es wohl hauptsächlich um die visuelle Komponente. Aber die rockt, so viel steht fest, schöner wurden Pokémon noch nie in 3D dargestellt!

Und doch bietet auch diese Front so viel Angriffsfläche für Kritik - auf technischer Ebene wie auch auf stilistischer. Den Blick auf die Hintergründe und das dort wie Pappfiguren dastehende, grässlich gezeichnete Publikum sollte man am besten komplett vermeiden, auf die immerzu gleichen Siegesposen ebenfalls nicht achten. Gerade in einem Spiel, das doch in erster Linie von seinem Service für die Fans lebt, wäre genau hier mehr (optische) Abwechslung wichtig gewesen. Zumal die erwähnten 16 Kämpfer trotz spielerischer Unterschiede bei einem Pool von 751 Pokémon eine viel zu kleine Auswahl repräsentieren. Und als langjähriger Fan der Taschenmonster wünscht man sich eher einen Kicklee als einen Skelabra, würde lieber ausnahmsweise mal einen Sichlor spielen als immer nur den mittlerweile langweilig gewordenen Lucario. Natürlich unterscheiden sich hier die Geschmäcker, aber ich denke schon, dass man hier eine etwas buntere und vor allen Dingen größere Auswahl hätte treffen können.



Tim

Fazit von Tim:

Ist Pokémon Tekken der neue Stern am Beat'em-Up-Himmel? Die Antwort lautet klar Nein, wobei das vermutlich auch niemand ernsthaft erwartet hat. Viel wichtiger ist doch, dass es das erste wahre Prügelspiel im bunten Taschenmonster-Universum ist und dass es als solches dennoch nicht nur Fans der Serie, sondern auch Neulingen richtig viel Spaß machen kann. Und doch bin ich nicht so recht glücklich mit dem, was Nintendo und Bandai Namco da fabriziert haben - zu sehr lebt das Spiel von "Style" anstatt inhaltlicher und spielerischer "Substance", zu einfach machen es sich die Entwickler mit dieser Wii-U-Umsetzung, indem sie spartanische und hässliche Menüs ergänzen anstelle auch außerhalb der Arena kreative Akzente zu setzen. Ich hatte online wie offline stets großen Spaß dabei, mit meinem Gengar andere Pokémon zu verdreschen, und natürlich ist alleine der Anblick dieses grafisch beeindruckenden Spektakels für jeden Serien-Fan Anlass genug, einen Kauf zumindest in Erwägung zu ziehen. Was Pokémon Tekken letztlich zu einem sehr guten Beat'em-Up fehlt, sind Umfang, Abwechslung und Feinschliff im Drumherum. Ein gutes Pokémon-Spiel ist es aber allemal - und wenn ihr euch von der mageren Auswahl an Spielmodi nicht abschrecken lasst, könnt ihr viel Spaß haben. Kurz: ein Spiel für die Fans.

Kein Beat'em-Up, das den Kings des Genres Konkurrenz machen könnte - aber dafür ein toll inszeniertes, zugängliches, unterhaltsames Pokémon-Spiel für die Fans.

Besonders gut finde ich ...
  • eingängiges Kampfsystem mit genug Tiefe
  • cooler Wechsel zwischen den Feldphasen
  • Pokémon-Kämpfer unterscheiden sich stark
  • schöne Grafik und Präsentation im Kampf
  • ausführliche Tutorials mit Profi-Tipps
Nicht so optimal ...
  • Ferrum-Liga nur eine Reihe an Kämpfen
  • kein Schwierigkeitsgrad einstellbar
  • einfallslose, generische Menüstruktur
  • Geld ausschließlich zum Klamottenkauf
  • überschaubarer Umfang, kaum Spielmodi
  • nervtötende Kommentatorin (abschaltbar)

Tim hat Pokémon Tekken auf der Nintendo Wii U gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Nintendo zur Verfügung gestellt.


Pokémon Tekken - Boxart
  •  
  • Entwickler:Bandai Namco Games
  • Publisher:The Pokemon Company
    Nintendo
  • Genre:Beat 'em up
  • Plattform:WiiU
  • Release:18.03.2016

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