Attack on Titan: Wings of Freedom - Review

Irgendwann in den vergangenen Jahren habe ich meine Leidenschaft für Animes entdeckt. Und über kurz oder lang bin ich natürlich auch auf Shingeki no Kyojin gestoßen, hierzulande besser bekannt unter seinem westlichen Titel Attack on Titan. Das Aufbäumen der Zivilisation gegen die gigantischen menschenfressenden Titanen hatte mich damals so mitgerissen, dass ich die Serie in kürzester Zeit regelrecht verschlungen habe. Und nun schickt sich Tecmo Koei an, das Epos mit Attack on Titan: Wings of Freedom als Videospiel neu aufleben zu lassen, bevor nächstes Jahr endlich die zweite Staffel folgt. Als Fan des Animes konnte ich mir Wings of Freedom nicht entgehen lassen und berichte live vom Schlachtfeld, ob der Funke überspringen kann.

Das Wichtigste vorweg: Attack on Titan: Wings of Freedom - bzw. A.o.T., wie es seltsamerweise offiziell heißt - erzählt die Ereignisse der ersten Anime-Staffel nach, stoppt aber punktgenau am Ende der letzten Episode, ohne die nachfolgende Staffel auch nur anzukratzen. Wings of Freedom nimmt sich demnach eben nicht den Manga zur Vorlage und wer sich - wie ich - zumindest einen kleinen Teaser in die Zukunft der Geschichte erhofft hat, kann diese Hoffnungen gleich wieder begraben. Das soll freilich kein Kritikpunkt am Spiel selbst sein, denn das gibt sich redlichst Mühe, der großen und äußerst populären Vorlage gerecht zu werden (mit Erfolg!). Es sei an dieser Stelle lediglich angemerkt, um falschen Erwartungen vorzubeugen. Immerhin warten wir schon seit nunmehr drei Jahren auf die zweite Staffel.


Attack on Titan: Wings of Freedom
Die Katastrophe beginnt, als der kolossale Titan auftaucht und die äußere Mauer durchbricht ...


Worum geht es in Attack on Titan? Um einen harten und verzweifelten Überlebenskampf der menschlichen Zivilisation gegen die mysteriösen und titelgebenden Titanen - gigantische Menschenfresser mit überdimensionierten Männerkörpern, die irgendwann aus dem Nichts aufgetaucht waren und die Menschheit Stück für Stück ausgelöscht hatten. Nur ein Bruchteil konnte sich in einer großen, aus drei riesigen Mauern bestehenden Festung retten. Nachdem für lange Zeit Ruhe herrschte und die Titanen die Mauern nicht durchbrechen konnten, kommt es natürlich zwangsläufig irgendwann zur Katastrophe, als der kolossale Titan erscheint und die äußerste Mauer Rose mit geballter Kraft eintritt. Der Kampf gegen die Titanen beginnt nicht nur erneut, sondern wird erst jetzt zur wahren Herausforderung, denn die Menschheit sieht sich zunehmend in ihrem Territorium eingeengt - und holt langsam, aber sicher unter führenden Persönlichkeiten wie Eren Jäger, Mikasa Ackermann und Levi zum Gegenschlag aus.


Nicht mehr ganz David gegen Goliath



Und hier darf man Tecmo Koei und Entwickler Omega Force ein dickes Kompliment aussprechen, denn von der sehr gelungenen 3D-Ästhetik über die perfekt getroffenen Charaktere bis hin zu den Zwischensequenzen ist Attack on Titan ganz genau so, wie man es aus dem Anime kennt. Die Vorlagentreue ist beeindruckend und gerade weil man Lizenzspielen sonst eher skeptisch gegenübersteht, freue ich mich umso mehr, dass hier offensichtlich Fans am Werk waren, denen das AoT-Universum und die Nähe zu diesem am Herzen liegen. Selbst die Musikuntermalung passt wie die Faust aufs Auge, obgleich weder Serienkomponist Sawano am Werk war noch Stücke des originalen Soundtracks vorhanden sind - einzig den hervorragenden Titelsong "Feuerroter Pfeil und Bogen" habe ich etwas vermisst. Im Anschluss an die Kampagne kann man sich in der Galerie dafür allerlei Infos und Hintergründe ansehen.

Einen Kompromiss muss man allerdings hinnehmen. Denn die Gefahr, die schon von einem einzelnen Titanen im Anime ausgeht, lässt sich so nur schwer in einem Videospiel replizieren. Wings of Freedom ist kein Warriors, aber dennoch sind die Titans vor allem dann gefährlich, wenn sie in Gruppen auftreten. Das mag den einen oder anderen Fan der Vorlage stören, ist aber so gut wie nicht anders lösbar, zumal es ja auch in der Serie häufig Situationen gibt, in denen die Riesen geradezu abgeschlachtet werden. Im Spiel ist das der Regelfall, obwohl sich die Entwickler einiges überlegt haben, um sie nicht zum Kanonenfutter verkommen zu lassen.


Attack on Titan: Wings of Freedom
Die Schwungmechanik mit der 3D-Manöver-Ausrüstung funktioniert klasse und macht viel Spaß.


Schwingen und schlitzen



Bevor ich diese Kniffe weiter ausführen kann, muss ich kurz das Kampfsystem erklären - was ehrlich gesagt keine leichte Aufgabe ist. Grundsätzlich gilt, dass man auf dem Schlachtfeld zumeist mit seiner 3D-Manöver-Ausrüstung umherschwingt, wobei ein bis zwei Drähte in Strukturen in der Umgebung eingeschossen und dann ruckartig eingezogen werden, was die Hauptfigur wiederum mit rasantem Tempo nach vorne schnellen lässt. Sind keine Strukturen zum Einhaken vorhanden, reitet man auf seinem Pferd - auch das kennt man aus dem Anime.

Wozu braucht man diese Drähte und die 3D-Manöver-Ausrüstung? Um einen Titan bezwingen zu können, muss man ihn an einer exakten Stelle am Nacken treffen, denn alle anderen zerstörten Körperteile regenerieren sich innerhalb weniger Minuten wieder komplett; folglich müssen die Einheiten der Mauergarnison und des Erkundungsteams äußerst beweglich sein. Und das Kampfsystem greift diese Agilität auf: Nachdem man in den Kampfmodus gewechselt ist, visiert man einen Titan automatisch an und kann nun Drähte in spezifische Körperteile schießen, um auf diese loszustürmen und sie abzutrennen. Je nachdem, auf welche Art und wie effizient ein Titan besiegt wird, gibt es eine bessere Kampfbewertung, mehr und seltenere Ressourcen und mehr Geld - schlussendlich muss aber immer der Nacken zerstört werden.

Zusätzliche Herausforderung kommt also dadurch auf, dass man einen Titan zum Beispiel erst auf den Boden drücken muss, indem man ihm beide Beine absäbelt. Manche Titanen wiederum schützen ihre verwundbare Stelle mit den Armen, sodass diese ebenfalls vernichtet werden müssen. Wiederum andere können bestimmte Körperpartien verhärten, um sich vor Attacken zu schützen. Und parallel zu alledem muss man ja auch darauf achten, nicht von dem riesigen Menschenfresser gepackt oder getreten zu werden - daher umkreist man seine Feinde geschickt mit ebenjener Schwungausrüstung. Anfangs wirkt das alles noch etwas eigenwillig und ungewohnt, doch hat man den Dreh einmal raus, ist das Navigieren im dreidimensionalen Raum ein Kinderspiel und macht eine Menge Spaß. Omega Force hat hier wirklich ein System entwickelt, welches die Quintessenz von Attack on Titan erfasst. Noch besser wäre es aber, wenn die Kameraführung nicht so häufig zicken würde - gerade in engen und kompakten Umgebungen geht die Übersicht oft verloren. Nichtsdestotrotz: Der Flow im Kampf ist klasse!


Attack on Titan: Wings of Freedom
Natürlich kann man auch selbst einen Titanen steuern, was sich aber cooler anhört als es ist.


Das Warriors-Syndrom



Um diesen Flow und die dringend notwendige Agilität gegenüber den Titanen aufrecht erhalten zu können, ist es wichtig, die Ressourcen stets hoch zu halten. Hier kommt eine taktische Komponente ins Spiel: Klingen und Gasvorrat müssen regelmäßig neu bestückt und gewechselt werden; ist das Inventar geleert oder kurz davor, muss man auf dem Schlachtfeld einen Logistiker aufsuchen, der die Vorräte neu befüllt. Wie es sich für ein Spiel von Omega Force gehört, gibt es natürlich auch eine Vielzahl an Exemplaren für jede Ausrüstungskategorie - und je nachdem, welchen Spielstil man bevorzugt, bietet sich auch hier ein nicht zu unterschätzender Spielraum zum Experimentieren. Nehme ich lieber superscharfe Klingen, die enormen Schaden anrichten, aber schnell zerbrechen? Trage ich eine Scheide mit großem Gasvorrat, aber nur wenigen Klingenfächern - oder umgekehrt? Wähle ich die 3D-Manöver-Ausrüstung, deren Drähte sich enorm schnell aufwickeln, oder diejenige, deren Drähte die höhere Reichweite haben? Die Eigenschaften der jeweiligen Ausrüstungsteile nehmen dabei durchaus spürbaren Einfluss auf die Art, wie die Schlacht geführt wird - sehr schön.

Allerdings hat man es versäumt, aus dem Drumherum mehr herauszuholen. Denn so spaßig das Titanenschlachten auch ist: Auf Dauer fehlt einmal mehr die Abwechslung. Zwar ist die Vielfalt über die etwa achtstündige Kampagne gerade so ausreichend - immerhin kann man später auch selbst einen Titanen steuern -, aber in den Expeditionsmissionen geht dem Gameplay zu schnell die Luft aus. Obwohl es eine motivierende Game Loop zum Freischalten neuer Ausrüstungsteile und mehrere spielbare Figuren mit individuellen Talenten gibt, laufen die meisten Missionen langfristig zu ähnlich ab. In meiner Testphase habe ich zudem noch keine Mitspieler gefunden, sodass ich nicht abschätzen kann, inwiefern der 4-Spieler-Coop dem etwas hinzufügen kann - abseits von "mit Freunden macht alles mehr Spaß als alleine".




Tim

Fazit von Tim:

Der Funke ist übergesprungen! Wings of Freedom transportiert die Story, Atmosphäre und selbst das Kampfgefühl auf tolle Art und Weise in das Medium Videospiel, ohne sich zu weit vom Original zu entfernen. Ich hatte großen Spaß dabei, mit Eren, Mikasa, Levi, Armin & Co. auf Titanenjagd zu gehen und dabei zu helfen, die Zivilisation vor den menschenfressenden Riesen zu beschützen oder es zumindest zu versuchen - wie das Ganze ausgeht, lässt das Spiel leider gemäß der Anime-Vorlage offen. Nichtsdestotrotz ist Wings of Freedom auch oder gerade für Kenner des Universums spannend. Denn zum einen ist es die aktuell wohl beste Überbrückung der Wartezeit auf die zweite Staffel, zum anderen ist es auch ein richtig gelungenes Spiel, das den Flow der Kämpfe und damit die Quintessenz der Serie prima einfängt. Über die Degradierung der eigentlich so mächtigen Titanen zu relativ ungefährlichen Individuen muss man im Kontext des Mediums wohl hinwegsehen - anders ließe sich Attack on Titan wohl nicht in ein Spiel transferieren. Die Kameraprobleme in kompakten Umgebungen, speziell den Straßen der Städte, sowie die sich langfristig einstellende Gleichförmigkeit hätte man allerdings beheben können. Aber diese Kritikpunkte sind verschmerzbar - nicht zuletzt deshalb, weil es sich hier abgesehen davon um eine starke und vorlagentreue Lizenzversoftung handelt. Nach Wings of Freedom bin ich jedenfalls noch gespannter auf die weitere Entwicklung dieses spannenden Universums!

Wings of Freedom erzählt die Story des Animes vorlagentreu nach und fängt mit seinem Kampfsystem, der 3D-Grafik und der treibenden Musik die Atmosphäre prima ein - häufige Kameraprobleme und Eintönigkeit trüben die Freude jedoch etwas.

Besonders gut finde ich ...
  • Kampagne erzählt Geschichte vorlagentreu nach
  • tolles Schwunggefühl mit 3D-Manöver-Ausrüstung
  • mehrere spielbare Figuren mit Unterschieden
  • Wahl der Ausrüstung hat spürbaren Einfluss
  • gelungene Ästhetik mit leichtem Comic-Touch
  • sehr gute, eigens komponierte Musikuntermalung
  • großer Umfang inklusive Expeditions-Missionen
  • opulente Galerie mit Infos zum Universum
Nicht so optimal ...
  • spielerisch auf Dauer etwas zu abwechslungsarm
  • oft Kameraprobleme in kompakten Umgebungen
  • die Titanen werden nur in der Menge gefährlich
  • uninteressante Hubs und Nebenmissionen

Tim hat Attack on Titan: Wings of Freedom auf der PlayStation 4 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Koei Tecmo zur Verfügung gestellt.

Attack on Titan: Wings of Freedom - Boxart
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  • Entwickler:Omega Force
  • Publisher:Koei Tecmo
  • Genre:Action
  • Plattform:PC, PS3, PS4, Xbox One, PSVita
  • Release:26.08.2016