Paper Mario: Color Splash - Review

Paper Mario war immer schon eine eher spezielle Nintendo-Reihe - und in den letzten zehn Jahren hat sie sich in eine Richtung entwickelt, die den Fans nicht gefällt. Super Paper Mario für die Wii war wohl noch im grünen Bereich, aber kein Rollenspiel mehr; Sticker Star zwar ein hübsch anzuschauendes Jump'n'Run, verkam wegen seines Sticker-Systems aber zum schwarzen Schaf der Reihe. Die letzten Hoffnungen lagen nun in Paper Mario: Color Splash für die Nintendo Wii U, das sich um das Thema Farben dreht.

Zumindest die Hoffnungen auf ein Paper Mario "der alten Schule", wie es ein großer Teil der Fans gerne hätte, kann man direkt wieder begraben. Denn mit einem Rollenspiel hat Paper Mario: Color Splash rein gar nichts zu tun, und ja, auch das Sticker-System ist wieder mit von der Partie. Für mich ist das kein großes Thema, denn ich habe weder Paper Mario auf dem Nintendo 64 noch Die Legende vom Äonentor ("The Thousand-Year-Door" im Original) für den GameCube gespielt. Insofern habe ich auch absolut kein Problem mit den weithin unbeliebten Stickern - auch wenn ich mir für Color Splash dringend ein besseres und faireres Kampfsystem gewünscht habe als im durchwachsenen 3DS-Vorgänger. Warum ich die Kämpfe dort nicht mochte, kann man in meiner Review zu Paper Mario: Sticker Star nachlesen.

Damals konnte ich gerade noch so über das missratene System hinwegsehen, weil der Rest des Spiels wirklich gut war, aber noch einmal hatte ich darauf ganz bestimmt keine Lust. Und Nintendo glücklicherweise auch nicht - deshalb hat sich im Wii-U-Teil einiges gebessert.


Paper Mario: Color Splash
Das Abenteuer startet mit einem farblosen Toad, der als Postkarte zu Mario und Peach geschickt wird.


Wenn Shy Guys mit Strohhalmen Farbe absaugen, kann nur ein Klempner helfen



Das kunterbunte Abenteuer spielt auf der Insel Prisma, dem Zuhause sämtlicher Toad-Familien des Pilzkönigreichs - anders lässt sich schwerlich erklären, weshalb bis auf Tourist Mario und Farbeimer-Sidekick Farbian (kein Scherz) nahezu alle Charaktere die allseits beliebten wandelnden Pilze sind. Die haben allerdings vor allem zu Beginn der Geschichte wenig Freude auf ihrer berühmten Heimatinsel, denn als Mario und Peach am Hafen anlegen, finden sie anstelle des erhofften Paradieses ein völlig ruiniertes Port Prisma vor. Überall sind grässliche, hellweiße Flächen, und wie wir schon bald herausfinden, hat eine Armee an Shy Guys die Insel überfallen und ihr die Farbe abgesaugt. Schockiert beobachte ich, wie zwei Straßen weiter einer dieser finsteren Shy Guys einem armen Toad mit brutaler Lässigkeit und einem überdimensionierten Strohhalm die Farbe aus dem Körper schlürft. Der Toad wehrt sich nach Leibeskräften, schreit ein paar letzte Worte, bevor sich sein Gesicht langsam auflöst, während der Shy Guy gierig an seinem Strohhalm saugt. Übrig bleibt nur ein klinisch-weißes Stück Papier in Form eines Pilzes mit Armen und Beinen, das langsam zu Boden schwebt.

Nachdem der erste Schock überwunden ist - und das sollte er, denn dieses schreckliche Ritual bekommt man im Spiel häufiger zu Gesicht -, starten Mario und der sympathische Farbeimer ihre Rettungsmission: Mario schnappt sich einen Hammer, Farbian tunkt ihn in Farbe und so werden die Insel Prisma, die weißen Flächen und ihre Bewohner Stück für Stück wieder eingefärbt. Das geht natürlich nicht über Nacht und so dauert es mehr als 20 Stunden, bis die Credits über den Bildschirm rollen. Und ja: Natürlich hat Bowser irgendwie seine Finger im Spiel und Peach wird ebenfalls entführt. Hat da jemand ernsthaft dran gezweifelt?

Besonders spannend oder außergewöhnlich ist die Geschichte nicht - auch das kommt wenig überraschend. Aber das ist kein bisschen tragisch, denn der Humor ist so verdammt gut getroffen, dass er alleine schon völlig ausreicht, um die gesamte Story zu schultern. Ich habe selten in einem Videospiel so oft grinsen und lachen müssen. Situationskomik vom Feinsten, dazu großartig geschriebene Dialoge mit durchgeknallten Toads - man denke an den Professor, der sich einen riesigen Kettenhund ("Ketterinchen") als Haustier hält - und generell eine wunderbare Prise Ironie machen einfach Spaß und sind wieder mal eine der größten Stärken.


Paper Mario: Color SplashPaper Mario: Color Splash
Humor und Abwechslungsreichtum sind - wieder einmal - mit die größten Stärken dieses Spiels.


Mit den Sticker-Kämpfen kommt Paper Mario auf keinen grünen Zweig mehr



Nicht ganz so spaßig sind dagegen - und auch das war fast schon zu erwarten - die Kämpfe, im Vorfeld berechtigterweise das größte Sorgenkind von Color Splash. Noch immer sammelt man überall in der kunterbunten Spielwelt Sticker bzw. Karten und zieht im Kampf gegen Koopas, Gumbas und anderes Getier bis zu drei davon aus seinem Deck, um damit anzugreifen oder zu heilen. Aufgepeppt wird das Ganze mit netten kleinen Reaktionstests, durch die man seine Angriffe verketten bzw. verstärken kann. Und natürlich passt nicht jede Karte zu jeder Situation: Ein Sprung auf einen Shy Guy mit Stachelhelm ist ebenso kontraproduktiv wie ein Geschoss gegen einen elastischen Schild. Das Konzept entspricht weitestgehend dem von Sticker Star, immerhin gibt es mehr und besser verteilte Karten und interessantere Gegner, aber das Kernproblem bleibt: Wozu eigentlich kämpfen? Da es keinerlei Rollenspielelemente und folglich auch keine XP oder eine echte Charakterentwicklung gibt, kämpft man streng genommen nur zum Selbstzweck, ohne dafür wirklich belohnt zu werden.

Anfangs freut man sich noch über die paar Münzen für das Portmonnaie - nachdem der Zähler ins Vierstellige angewachsen ist, jucken einen die paar kümmerlichen Cents aber auch nicht mehr. So verkommt das Kämpfen abermals zur unspannenden Nebenbeschäftigung und man ist die meiste Zeit über froh, die Konflikte vermeiden zu können. Das klingt nach einem Déjà-vu, funktioniert im Gegensatz zum 3DS-Vorgänger aber spürbar besser - und rettet Color Splash davor, ein zweites Sticker Star zu werden. Endlich kann man das Spiel richtig genießen, ohne sich ständig durch ätzende Routinefights zu plagen! Zwar ist es paradox, Color Splash dafür zu loben, dass man ein zentrales Spielelement über weite Strecken fast vollständig ignorieren kann. Aber in diesem Fall muss man das einfach positiv hervorheben, denn fast alles andere ist klasse geworden und es wäre ein Jammer, das neue Paper Mario nur deshalb hart abzustrafen. Schelte muss es trotzdem geben - auch für die Einbindung des GamePads.


Paper Mario: Color SplashPaper Mario: Color Splash
Die Kämpfe sind mühsam, aber weniger lästig als auf dem 3DS und können oft vermieden werden.


Wie ein spielbares Diorama - mit einem Feuerwerk an kreativen Ideen



Ich verstehe ja, dass man den ungewöhnlichen Controller gerade zum Lebensende der Wii U noch einmal auf kreative Art und Weise nutzen möchte. Aber Karten per Swipe-Funktion aus einem fast 100 Stück starken Deck herauszuwischen, ist weder kreativ noch intuitiv - und das Schnippen in Richtung TV-Bildschirm gleich völlig überflüssig. Nun wäre das kein großes Problem, gäbe es Ordner für die Stickerkarten und könnte man alles auch mit den Control-Sticks erledigen. Das war Nintendo aber scheinbar zu einfach. So gibt es keine Ordner oder ordentliche Sortierfunktionen und zwar kann man eine Steuerung über die Sticks aktivieren, die wird aber bei manuellem Durchsuchen des Inventars einfach ignoriert. Kudos an Nintendo: Man muss es erstmal schaffen, eine an sich simple Menü-Navigation so zu verkomplizieren.

Fast schon ironisch mutet es da an, dass wirklich alles andere einfach nur klasse geworden ist! Das fängt schon bei der wahnsinnig schönen Optik an und hört beim treffsicheren Humor noch lange nicht auf. Und lasst mich bitte noch einmal kurz von diesem wunderbaren Grafikstil schwärmen, dem Bilder und selbst Videos nicht gerecht werden - live und in Bewegung ist das einfach eine Augenweide, da kann man schon mal die Superlative auspacken. Es ist ein zeitloser Stil, der vermutlich mit keiner fortgeschritteneren Technik noch besser darstellbar wäre. Alles ist knackscharf, extrem plastisch und fügt sich perfekt in das Gesamtbild ein.

Zum Glück verstehen es Nintendo und Intelligent Systems auch, den visuellen Rahmen für kreative Spielereien zu nutzen. Immer wieder kleben Toads wie Sticker an der Wand, große Papierflächen lassen sich formen, bei Kontakt mit Wasser verschwimmen die Farben. Schon früh im Spiel rollt sich fast der gesamte Level Papieroni-Pfad zu einer gigantischen Walze zusammen, was bizarr klingt, aber sich sehr natürlich anfühlt - schließlich besteht eben die gesamte Welt aus Papier, Karton und anderem Pappwerk. Auch abseits davon steckt in jedem Level mindestens eine ausgefallene Idee: Im Mammutbaum-Forst findet man sich plötzlich als kleiner Zwerg unter Riesengumbas wieder, im Bonsai-Hain dagegen stapft man selbst als Goliath durch das Feld und tritt im Kampf gegen Meuten von Miniaturgegnern an. Ich habe ein verfluchtes Hotel aus einer Zeitschleife geholt, in Parallelwelten riesige Meeresstrudel aufgelöst und Rettungstrupp-Toads zusammengeführt, damit sie sich aneinanderreihen und eine Brücke über gähnende Abgründe bilden. Und habe ich schon die Quizshow erwähnt?


Paper Mario: Color Splash
Es ist nicht weit hergeholt, Color Splash als eines der schönsten Spiele der Wii U zu bezeichnen.


Eine bunte Mischung verschiedenster Genres



Besonders cool: Zwar sind die knapp 40 Levels über eine Karte separiert, aber immer wieder gibt es Verbindungen und angenehmes Backtracking, wodurch ein Gefühl einer zusammenhängenden Welt entsteht. In bereits erkundeten Abschnitten passieren neue Dinge, lassen sich mit frischen Gegenständen oder Informationen neue Pfade öffnen. Jeweils ein Farbstern schaltet den Weg zu einem neuen Level frei und so erweitert man die Karte Stück für Stück. Und anders als in Sticker Star stand ich zu keiner Zeit vor Sackgassen, denn das Spiel gab mir stets subtile, aber aussagekräftige Hinweise, wo ich nach der Lösung suchen sollte - im Notfall kann man immer noch den informierten Zeitungstoad in Port Prisma fragen.

Das neue Paper Mario ist also keineswegs nur ein weiteres Jump'n'Run aus dem Hause Nintendo. Es ist ein Action-Adventure mit Anleihen aus allen möglichen anderen Genres. Manches Level kommt gar fast völlig ohne Kämpfe aus und ähnelt am ehesten einem Point'n'Click-Adventure, ein anderes ist ein einziges großes Puzzle ohne Dialoge, ein drittes wiederum eine Rateshow, in der man bei zu vielen falschen Antworten mit dem Tode bestraft wird. Klingt brutal, aber irgendwas muss man den Zuschauern ja bieten - so argumentiert zumindest der moderierende Shy Guy. Ich will gar nicht zu viel vorwegnehmen, aber freut euch mit Color Splash auf eines der abwechslungsreichsten und detailverliebtesten Nintendo-Spiele seit Jahren. Vor allem aber auf eines, das sich wieder richtig nach Nintendo anfühlt.

Mit ziemlicher Sicherheit ist Paper Mario: Color Splash das letzte, große Exklusivspiel für die Wii U, bevor im nächsten Jahr mit dem ominösen NX die Nachfolgekonsole erscheint. Deshalb und wegen der Sorge und Vorurteile vor dem Release fliegt es weitestgehend unter dem Radar. Aber macht nicht den Fehler und verwechselt es mit einem Spiel, das "noch schnell" für das Weihnachtsgeschäft produziert wurde. Es stecken extrem viel Mühe, Liebe zum Detail und hochwertiger Inhalt drin - und der beste hauseigene Nintendo-Soundtrack seit Mario Kart 8.



Tim

Fazit von Tim:

Was für eine positive Überraschung! Ich bin fast komplett ohne Erwartungen an dieses Paper Mario: Color Spash herangegangen und habe - wie so viele andere auch - ein weiteres Sticker Star erwartet. Und was die Kämpfe angeht, ist das auch gewissermaßen wahr geworden. Zwar sind die Gefechte hier kürzer, simpler und interessanter, aber das Basisproblem bleibt: Kämpfen macht in dieser Form, völlig ohne Belohnungen, einfach keinen Sinn. Immerhin kann man sie dieses Mal angenehmer vermeiden. Aber alles andere an Color Splash ist famos gut: Der Humor sticht immer, Leveldesign, Puzzles und Dialoge sind herrlich abwechslungsreich, die Musikuntermalung ist klasse und über die wunderbare Optik brauchen wir kaum noch ein Wort verlieren - ich habe selten eine derart schöne, derart liebevoll gezeichnete Videospielwelt erkundet.

Wären die Kämpfe ebenso gelungen wie der Rest, ich würde Color Splash uneingeschränkt empfehlen. Nichtsdestotrotz hatte ich einen Wahnsinnsspaß auf der Insel Prisma und wünsche mir mehr Spiele dieser Machart. Obwohl ich kaum etwas erwartet hatte, hat sich dieses kunterbunte Abenteuer auf Anhieb zu einem meiner persönlichen Lieblingsspiele dieses Jahres gemausert - und damit ist es trotz des Kampfsystems ein tolles Paper Mario und ein würdiger Abschied von der Wii U.

Kunterbunt und quietschfidel: Color Splash sprüht nur so vor Kreativität, Spielwitz und Abwechslung und macht trotz abermals schwacher Kämpfe einfach nur Spaß.

Besonders gut finde ich ...
  • bildschöne Optik, in die man sich sofort verliebt
  • etliche gute Ideen und Überraschungsmomente
  • treffsicherer Humor mit vielen Anspielungen
  • klasse designte Levels, oft mit Geheimnissen
  • einfallsreiche Rätsel und kreative Farbspielereien
  • Kämpfe sind vermeidbar und nicht mehr so zäh
  • hervorragende Musik gehört zu Nintendos Besten
  • Levels fühlen sich miteinander vernetzt an
  • lange Dauer von circa 20-25 Spielstunden
Nicht so optimal ...
  • Kämpfe bleiben belohnungsfrei und sinnlos
  • Swipe-Gesten und Kartenmanagement nerven
  • Pilze können nur in Kämpfen genutzt werden

Tim hat Paper Mario: Color Splash auf der Nintendo Wii U gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Nintendo zur Verfügung gestellt.


Paper Mario: Color Splash - Boxart
  •  
  • Entwickler:Intelligent Systems
  • Publisher:Nintendo
  • Genre:Jump'n'Run
  • Plattform:WiiU
  • Release:07.10.2016

Spiele-Reviews und Blogartikel, die dich interessieren könnten

Paper Mario: The Origami King - Review

Paper Mario: The Origami King - Review

Ein Hoch auf die kreative Entfaltung | Paper Mario: Origami King ist ein wunderbares Abenteuer - dem das Recht auf kreative Entfaltung genommen wurde.

Mario & Luigi: Superstar Saga + Bowsers Schergen - Review

Mario & Luigi: Superstar Saga + Bowsers Schergen - Review

Seit 1986 hüpft, rennt und kämpft sich das Klempner-Duo Mario & Luigi durch die unterschiedlichsten Welten, um ihre heiß geliebte Prinzessin aus den Fängen des Koopa-Königs Bowser zu retten - ...

Mario Kart 8 Deluxe - Review

Mario Kart 8 Deluxe - Review

Viel mehr als das kann man von Nintendo innerhalb der ersten beiden Switch-Monate an Spielen eigentlich nicht verlangen. Erst das großartige The Legend of Zelda: Breath of the Wild, jetzt das - ...

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: ATeC, HerrBeutel, Evoli, Fetzig ... und 5 Gästen.
  • Stefan M.
    #1 | 10. Oktober 2016 um 11:16 Uhr
    Sehr schöner Beitrag über ein Spiel, von welchem ich mich wohl in naher Zukunft selber überzeugen werde   Dein Fazit hat mir übrigens auch sehr gefallen, der Artikel liest sich insgesamt sehr gut.

Hinweis: Der Beitrag ist über 5 Jahre alt, die Kommentarfunktion ist daher mittlerweile geschlossen.