Mehr Wii als U: Eine Konsole, die ihre Identität nicht finden kann.

Wir brauchen gar nicht lange drumherumzureden, die Wii U befindet sich in einer schwierigen Phase. Oder war das zu freundlich formuliert? Okay, noch ein Versuch: Die Wii U hat Nintendo in die tiefste Krise seit Bestehen der Firma geführt. Das dürfte den Nagel nicht nur auf den Kopf treffen, sondern auch ziemlich gut beschreiben, was der japanische Traditionskonzern um Shigeru Miyamoto, Satoru Iwata & Co. aktuell durchmacht. Gründe für den Misserfolg der Wii U gibt es einige. Zu wenig Spiele vielleicht, zu wenig Marketing definitiv, eine viel zu späte Analyse der Situation auf jeden Fall auch - ich behaupte aber, dass es noch einen weiteren, vielleicht noch viel wichtigeren Grund gibt: Es fehlt der Wii U an einer eigenen Identität - sie wirkt wie eine Wii HD.

Eine eigene Identität? Sowas hört sich immer super an, ist in der Praxis aber nicht wirklich greifbar. Wodurch kennzeichnet sich so eine eigene Identität überhaupt? Ab wann spricht man von einer eigenen Identität? Fangen wir vielleicht mal mit einem kleinen Zitat an. Wie sagte Reggie Fils-Aime, Präsident von Nintendo of America, noch bei der offiziellen Enthüllung der Wii U auf der E3 im Jahr 2011? Das hier ...


"Vielleicht erinnert ihr euch daran, wie der Name Wii plötzlich herrlich logisch war, sobald man es als "We" gehört hat. Es ist offensichtlich, wie viel Spaß wir alle beim gemeinsamen Spielen hatten. Für unsere nächste Konsole wussten wir, dass der Grundgedanke ein anderer sein würde: Ja, der Spaß wäre vielleicht immer noch für uns alle - aber könnte er auch für dich alleine sein? Die Antwort ist: Na klar. Und wir sind so überzeugt davon, dass wir das Pronomen direkt in den Namen gesetzt haben. Daher ... willkommen in der Welt von Wii U."

Originalzitat (englisch): "You might remember how the Wii name made perfect sense once you started hearing it as "We". It was clear how much fun we all had when playing together. For our next console, we knew that the prevailing thought would be this: Yes, the game would probably still be for all of us - but could it also be a perfect fit just for you? The answer is absolutely. And in fact, we are so convinced of it, that we put that pronoun right in the name. So today ... welcome to the world of Wii U."


Die Reaktionen auf den Namen? Gespalten. Manch einer mochte den Namen vielleicht. Die meisten jedoch nicht, und das hat durchaus seine Gründe. Zum einen verbindet nicht jeder Spieler unbedingt positive Assoziationen mit der Wii - wer sich nicht mit der Konsole beschäftigt hat, sah darin nur die verschriene "Fuchtelkonsole", an der Mama, Opa und die kleine Schwester gemeinsam Tennis oder Golf spielen können - zerbrochene Lampenschirme und schweißnasse Klamotten gab's gratis dazu. Und dann war da ja noch Wii Fit, das Massenphänomen Nummer 2: Man kann sich mit der Wii also nicht nur sportlich betätigen, sondern bekommt auf Wunsch auch noch einen persönlichen Body Trainer dazu. Dass dieses Klischee nur weit entfernt der Realität entspricht und dass es auf der Wii durchaus jede Menge hervorragende Games für den klassischen Spieler gab, ist vielen entweder entgangen oder es wurde dem Bash-Faktor zugunsten geflissentlich ignoriert. Und schon stehen wir vor dem Dilemma: Nintendo möchte auf der Wii-Welle weiterreiten, nimmt den berühmten Namen mit in die nächste Generation, und hat sich damit schon das erste große Hindernis geschaffen - von der Verwechslungsgefahr und dem Controller-Chaos mal ganz zu schweigen. Und die eigene Identität, die sucht man irgendwie immer noch vergebens. Denn das, was die Wii U aktuell ist, ist keine Wii 2 oder Wii New, sondern eine Wii HD - eine Konsole, auf der es Nintendo-Spiele in HD gibt. Abgesehen davon hat sich überhaupt nichts geändert, und das ist ein Armutszeugnis und gehört auch zu Recht abgestraft.


An der Konsole selbst ist Nintendo nicht gescheitert, sondern an der eigenen Stur- & Verklemmtheit.


Please understand.



Es ist nicht die Konsole, die das Kernproblem darstellt, sondern es ist Nintendo selbst. Die Wii U hätte das Zeug dazu, ein richtig starkes Spielsystem zu sein, das in jeden sauberen Zockerhaushalt gehört. Die Konsole ist zweifellos auch die innovativste ihrer Generation - wo PlayStation 4 und Xbox One abermals nur auf mehr Polygone, Pixel, Effekte und die mysteriöse Cloud setzen, hat die Wii U ein paar Dinge auf ihrer Seite, die es vorher noch nicht gegeben hat. Da wären das Miiverse auf der einen und natürlich das GamePad auf der anderen Seite. Und was macht Nintendo mit diesen beiden Next-Generation-Features? Ignorieren, vergessen, beiseite schieben. Wenn es die Dritthersteller (genannt seien Ubisoft mit Rayman Legends und ZombiU sowie Warner Bros. mit Deus Ex: Human Revolution - Director's Cut) besser verstehen, das GamePad richtig einzubinden, dann muss man schon die Frage stellen, was bei Nintendo in den Büros eigentlich so besprochen wird. Sicher: Nintendo Land ist der beste Beweis dafür, dass man mit dem GamePad richtig viel Spaß haben kann, wenn man es richtig macht. Aber warum hat man danach damit aufgehört? Und was ist passiert, dass ausgerechnet einer Firma wie Nintendo, die sonst ja für ihren Einfallsreichtum bekannt war, plötzlich die Ideen ausgehen?

Diese Frage habe ich mir schon vor ein paar Monaten gestellt, aber damals noch mit einem "Da kommt noch was!" abgewunken - der Fan in mir mag es einfach nicht akzeptieren, dass Nintendo in einer Krise steckt, haben sie doch unzählige meiner Allzeit-Lieblingsspiele produziert. Aber spätestens nach der letzten Nintendo Direct ist mir klargeworden: Hier stimmt wirklich etwas nicht, irgendwo scheinen die Zahnräder in Nintendos Ideenfabrik festgeklemmt oder eingerostet zu sein. Und zur Zeit habe ich auch nicht den Eindruck, als ob Miyamoto & Co. Lust auf das Ölen hätten. Nirgends merkt man das deutlicher als an der Art und Weise, wie man mit Misserfolgen umgeht. "Please understand", nuschelt Iwata in die Direct-Kamera und verweist darauf, dass die großen Titel, die die Wii U auszeichnen, doch noch kommen werden. Bis dahin spielen wir eben nicht auf einer Wii U, sondern einer Wii HD - einer Konsole, die nichts weiter sein soll als eine Wii mit HD-Grafik. Statt New Super Mario Bros. Wii spielen wir nun eben New Super Mario Bros. U, statt mit Wii Fit trainieren wir mit Wii Fit U, statt mit Wii Party Partys zu feiern, feiern wir eben Partys mit Wii Party U. Achja, und Wii Sports gibt es übrigens auch für die Wii U, nur heißt es da Wii Sports Club - ist aber 1:1 das Gleiche, nur etwas höher aufgelöst und mit Online-Modi.

Das ist schon ziemlich bezeichnend für Nintendos Verständnis des Spielemarktes. Läuft die Wii U nicht, haut man eben den Wii-Fit- und Wii-Sports-Joker raus und zieht dazu noch das Mario-Ass in Form von Super Mario 3D World aus dem Ärmel - doch auch das hat noch nicht richtig geholfen. Und das Gefährliche daran, um das man sich wirklich Sorgen machen muss: Mario 3D World ist noch das einzige Wii-U-Spiel von Nintendo selbst, das sich so anfühlt, als gehöre es definitiv auf diese neue Heimkonsole. Dieses Spiel war so nicht unbedingt auf der Wii möglich und es geht neue Wege. Egal, ob Pikmin 3, The Legend of Zelda: Wind Waker HD oder auch das neue Donkey Kong Country: Tropical Freeze - all diese Konzepte haben wir schon einmal gesehen und der einzige echte Fortschritt, den die Wii-U-Iterationen mit sich bringen, ist eine schönere Optik. Am eigentlichen "scale", sprich: der gefühlten Größe der Spiele, daran hat sich nichts geändert. HD bedeutet für das Nintendo, wie wir es zur Zeit kennen, nicht etwa einen Sprung in größere, offene, vielfältigere Welten, sondern wirklich nur eine höhere Zahl an Pixeln. Es gibt mehr Details, aber der Rahmen der Spiele ist noch genau so groß - oder klein - wie er auf der Wii und teilweise sogar dem GameCube schon war. Einzig X von Monolith Soft verspricht, diesen Rahmen zu sprengen - was andererseits auch keine Überraschung ist, wenn man sich ihr vorheriges Projekt Xenoblade Chronicles ansieht. Genau dieses Xenoblade spiele ich übrigens seit einiger Zeit wieder (Abwärtskompatibilität ist eine wunderbare Sache!) und dabei ist mir nicht nur erneut aufgefallen, was für ein klasse Rollenspiel es ist - sondern auch, dass der Wii U Spiele von genau diesem Kaliber fehlen.


DK ist zweifellos ein superbes Jump'n'Run - aber auch das Opfer von Nintendos Ideenarmut.


Besserung in Sicht?



Was bringt uns die Zukunft? Zunächst einmal bis Ende Mai absolut gar nichts, denn in dieser Zeit herrscht eine unendlich enttäuschende Spieleflaute, in der kein einziges großes Spiel für die Wii U erscheinen wird, abseits vom Download-Titel Child of Light, einer Reihe an kleinen Indie-Spielen und 1-2 LEGO-Ablegern, von denen es ohnehin schon zu viele gibt. Dann ist am 30. Mai Mario Kart 8 an der Reihe. Und wenn Nintendo hier nicht mit den Online-Multiplayer-Funktionen richtig auf den Putz haut (wovon nicht wirklich auszugehen ist) und aus dem blöden 16-neue-und-16-alte-Strecken-Schema ausbricht, dann darf man zu Recht fragen, wozu man das Online-System ausgebaut und die Disc-Kapazität vergrößert hat. Es wäre doch wirklich nicht zu viel verlangt gewesen, zumindest ein einziges In-House-Spiel so zu konstruieren, dass es den Fortschritt in der Online-Technologie repräsentiert. Und wenn Mario Kart 8 über die Ziellinie gefahren ist, bleibt nach aktuellem Infostand nur übrig, die Wartezeit auf das neue Super Smash Bros. (das übrigens auch nicht mehr ist als ein Content- und Grafikupdate) und Bayonetta 2 auszusitzen - von dem zweiteres immerhin mal ein Spiel ist, das so wohl keiner auf der Wii U erwartet hätte. Wie schon bei The Wonderful 101 gilt: Zum Glück hat sich Nintendo Platinum Games gesichert. Trotzdem: Die Aussichten könnten wahrlich besser sein, vorsichtig formuliert.

Man darf mich nicht falsch verstehen. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als einen Erfolg der Wii U, weil ich sie für eine hervorragende Konsole halte. Ich liebe mein Super Mario 3D World, mein The Wonderful 101 und mein Donkey Kong Country: Tropical Freeze. Aber ich wünsche mir das Nintendo zurück, das ich kennen und lieben gelernt habe, und ich hoffe, dass Nintendo die Wii U endlich als eigene Persönlichkeit anerkennt - nicht als eine Wii HD. Um es kurz und knackig zusammenzufassen: Ich wünsche mir mehr U und weniger Wii. Und das so bald wie möglich. Denn die Zeit rennt ihnen langsam, aber sicher davon.

Ihr habt Lösungsvorschläge? Immer her damit. Oder wendet euch am besten gleich selbst an Nintendo.


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Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: HerrBeutel ... und einem Gast.
  • Darius
    #1 | 3. März 2014 um 15:53 Uhr
    tl;dr #erster! #first!

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