Made in Poland: Virtual Reality, Roguelike und ein Höllentrip

Wer auf der gamescom 2016 in den Kölner Messehallen umherschlenderte, nahm dort vor allem drei Dinge wahr: Menschenmassen, Lärm und Triple-A-Spiele aus den großen Publisher-Häusern wie Electronic Arts, Activision Blizzard, Microsoft, Sony oder Ubisoft. Im Business-Bereich ging es angenehm ruhiger zu - doch selbst dort konnte man beim Umherlaufen einiges Spannendes entdecken. Wie etwa den großen Booth der Indie Games Poland Foundation, an dem sich zahlreiche Indie-Entwicklerstudios aus Polen zusammengefunden haben, um ihre Projekte zu präsentieren. Ein paar habe ich mir angeschaut und stelle euch diese hier kurz vor.

Schon am Messedienstag hat die Indie Games Poland Foundation die diesjährige gamescom wunderbar mit einer sympathischen kleinen Pre-Party eingestimmt - leckeres Grillfleisch und gutes polnisches Bier inklusive. An den darauffolgenden Tagen ging es dann aber um das Wesentliche: die Spiele. Vier davon habe ich mir am Sammelbooth der Foundation angeschaut. Und sie könnten verschiedener kaum sein: Während das Team der Anshar Studios mit Detached ein Space-Exploration-Adventure in Virtual Reality präsentierte, gab es beim Awesome Game Studio mit Badass Hero ein ebenso awesom-es (und knallhartes) Roguelike-Geballer zu sehen. Das Team von Carbon Studio hingegen stellte mit Alice VR ein Puzzle-Abenteuer in der Tradition von The Vanishing of Ethan Carter vor. Und den Abschluss machte Madmind mit dem schon jetzt ziemlich derben und gerade deshalb faszinierenden Survival-Horror-Titel Agony, einem buchstäblichen Gang durch die Hölle, von dem ich froh bin, ihn nicht in VR erlebt zu haben. Von so manchem Spiel habt ihr vielleicht schon gehört, doch welche sollte man auf dem Radar behalten?


Detached: Der große weite Weltraum und das Ding mit der Motion Sickness



Wie fühlt es sich an, als Astronaut frei im Weltall herumzuschweben und sich einfach treiben zu lassen? Der Großteil von uns wird das vermutlich nie am eigenen Leib erfahren. Detached von den Anshar Studios will uns aber genau dieses Gefühl vermitteln. Ich konnte das Spiel bereits etwa eine halbe Stunde ausprobieren - auf meinem Kopf war ein Oculus Rift - und Detached kommt meiner Vorstellung davon ziemlich nah. So nah, dass einigen Spielern dabei schlecht werden könnte. Denn wenn man sich erst einmal um die eigene Achse dreht, über Kopf schwebt und das Ganze auch noch rückwärts stattfindet, dann findet man recht schnell heraus, ob man selbst für Motion Sickness anfällig ist oder nicht. Zumal gerade am Anfang die Navigation im dreidimensionalen Raum eine echte Kunst ist - immerhin dreht man seinen Kopf "im echten Leben", während die Steuerung des virtuellen Körpers mit den Analogsticks des Controllers erledigt wird. Nach einer Weile kam ich aber bereits ganz gut damit klar und konnte dann fast ohne Probleme durch die verlassenen Raumstationen und die Weiten des Weltalls gleiten, Schalter aktivieren und mir meinen Weg durch das Level bahnen.


Detached
Wollt ihr wissen, ob ihr für Motion Sickness anfällig seid? Spielt mal Detached von den Anshar Studios.


Aber in Detached soll es nicht nur um das reine Erleben in Virtual Reality gehen: "Die meisten VR-Titel, die bisher erschienen sind, sind im Wesentlichen nur Techdemos, die darauf abzielen, das VR-Erlebnis zu maximieren - das Gameplay ist bislang nebensächlich" analysierte einer der Entwickler während unseres Gesprächs. Detached dagegen drehe sich um beides. Und es gibt sogar einen PVP-Spielmodus, in dem es das Ziel ist, ein bestimmtes Objekt einzusammeln und rechtzeitig zur Basis zurückzubringen, bevor der Gegenspieler einschreiten und es mir entreißen kann. Wer es schließlich abliefert, gewinnt die Runde. Die kurze Partie, die wir auf der Messe gespielt hatten, war soweit ganz nett - rein spielerisch aber ziemlich simpel. So ist es eigentlich etwas ironisch, dass ich ausgerechnet bei diesem Spiel, in dem das Gameplay überzeugen soll, vor allem das VR-Erlebnis als solches genossen habe. Detached soll dieses Jahr für den PC erscheinen und dann sowohl Oculus Rift als auch HTC Vive unterstützen.


Alice VR: Ein "Walking Simulator" mit Kniff



Wesentlich ruhiger und weniger anstrengend ging es bei Alice VR zu - einem dieser Spiele, die man heutzutage gerne als "Walking Simulator" verpönt und die sich nicht immer besonders gut für kurze Messepräsentationen eignen. Anders als beispielsweise ein Gone Home oder Ethan Carter ist Alice aber in einzelne, voneinander unabhängige Levels geteilt. Das Gameplay schien mir - in den drei gespielten Demo-Levels - erwartungsgemäß simpel zu sein: Man erkundet die Umgebung, drückt hier und da einen Schalter, um neue Wege zu öffnen, oder löst ein kleineres Puzzle, wird aber zu keiner Zeit in irgendwelchen Reaktionstests oder ähnlichem gefordert. Ein bisschen wie in The Witness sind die Umgebungen selbst die Puzzles: So beeindruckte ein Level mit Magnetpfaden, mit denen man an Wänden und Decken entlanglaufen konnte - in diesem verdrehten Szenario musste ich erstmal herausfinden, welcher Weg mich schließlich weiter Richtung Missionsziel führen würde. Als reines Virtual-Reality-Spiel kommt freilich auch der Erfahrungswert der neuen Dimension nicht zu kurz.


Alice VRAlice VR
Auch wenn Alice VR mich nicht ganz überzeugen konnte - die Kulissen sind schon jetzt sehr schick.


So war es irgendwie ja schon verdammt cool, dass ich mich, um mich im Spiel zu drehen, auch im echten Leben um 360° drehen musste - deshalb saß ich auch gleich auf einem Drehstuhl. Bis auf das Kabel von Oculus Rift, das öfter mal im Weg war, tat das der Immersion absolut gut, so seltsam es von außen auch ausgesehen haben muss. Faszinierend war auch ein Moment, in dem mein virtuelles Alter Ego einfach mal auf Mäusegröße schrumpfte und die Umgebungen plötzlich zu gigantischen Bauwerken anwuchsen. Hier zeigt sich wieder einmal, wieso VR wirklich eine besondere Erfahrung ist. Das Spiel Alice VR selbst blieb in der Demo abgesehen davon aber vergleichsweise blass, zumal es auch noch keine wirkliche Story gab.


Badass Hero: Dauerfeuer mit großen Köpfen



Mehr oder weniger spontan habe ich mir noch ein anderes Spiel angeschaut, das absolut nichts mit Virtual Reality am Hut hat und auch sonst einen krassen Kontrast zu den beiden vorigen Titeln darstellt: Badass Hero, ein Roguelike-2D-Platfomer mit Contra-Einschlag. Man stapft mit seinem persönlichen Badass Hero, der sich durch einen übergroßen Kopf auszeichnet, durch zufallsgenerierte Levels und streckt im Comic-Stil mit Shotgun, SMG, Scharfschützengewehr und Granaten alles nieder, was da kreucht und fleucht, wobei man mit der Maus das Fadenkreuz in 360° durch die bunte Umgebung navigiert. Die Geschwindigkeit ist immens und schnell schon stellte sich ein angenehmer Flow ein, zumal man in fast jedem Raum neue Hilfsmittel wie Waffen- oder Rüstungsupgrades findet. Am Ende der Karte warten dann jeweils Zwischen- und größere Endbosse wie beispielsweise eine gefräßige Riesenspinne - insgesamt knapp 40 an der Zahl im finalen Spiel. Das Anspielen hat mir tatsächlich viel Spaß gemacht und wer Roguelikes und schnelle 2D-Shooter mag, kann sich Badass Hero durchaus vormerken. Aber Vorsicht: Das Ding ist höllisch schwer und nichts für jedermann! 2017 soll es erscheinen - nicht nur für den PC, sondern auch digital für Xbox One und PlayStation 4.


Badass HeroBadass Hero
In Badass Hero wird permanent geballert. Der Roguelike-Platformer macht schon jetzt viel Spaß.


Agony: "Some players said, it messes with your head ..."



Und dann war da ja auch noch dieses eine andere Spiel, vor dem ich mich im Vorfeld schon ein bisschen gefürchtet habe: Agony. Denn das Survival-Horror-Spiel von Madmind Studio ist buchstäblich ein Marsch durch die Hölle. Aus unbekanntem Grund landet unser Protagonist nämlich genau dort und muss irgendwie von dort verschwinden und auf seinem Weg nach draußen herausfinden, was genau eigentlich mit ihm geschehen ist. Ich konnte auf der gamescom eine sehr frühe Version des Spiels sehen und auch für einige Minuten selbst durch die verstörende Spielwelt stapfen, allerdings sei das Vorgestellte laut des Entwicklers noch nicht vorzeigbar - deshalb gab es auch einige kleinere Bugs und technische Probleme, was für so eine frühe Version natürlich selbstverständlich und kein Grund zur Beunruhigung ist.

Deshalb kann und will ich auch gar keine Einschätzung zum Spiel abgeben, sondern nur so viel sagen: Die Welt von Agony ist so ziemlich das, was man sich unter der Hölle verstellt. Überall brennt etwas, liegen Fleischberge herum, alles ist düster und dunkelrot gefärbt, Blut fließt und Knochen säumen den Weg - und natürlich wird die Hölle auch von finsteren, barbrüstigen Dämonen bevölkert. Schon jetzt machen Kulisse und Brustphysik dabei einen ziemlich gelungenen Eindruck. Vom Horror war in all dem Messelärm noch nicht allzu viel zu spüren, aber auch das war wohl zu erwarten. Wer auf kranke Szenarien wie dieses steht und Outlast mochte, darf sich Agony jedoch schon einmal vormerken. Hier ein kleiner Vorgeschmack:



gamescom 2016AgonyAlice VRDetachedBadass Hero

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: 12 Gästen.
  • Darius
    #1 | 6. September 2016 um 02:14 Uhr
    Agony, Agony! Alter, Agony! Tim lag mir bestimmt gefühlt eine Woche lang vor dem Termin, den ich ihm im Hinblick auf VR in sein Schedule gelegt habe, während er in Thailand abgetaucht ist, in den Ohren. Auf dem Weg zur gamescom, während der gamescom und immerzu "Agony!" - mit dem Unterton der Ängstlichkeit vor ein bisschen Horror. Einmal mit Profis =D

    Hauptsache überlebt und so schlimm war es ja gar nicht. Er hätte euch übrigens auch den sogenannten UNCENSORED Trailer verlinken können, der ... nunja. [Agony - gamescom 2016 Trailer | pressakey.com]   

    Auf jeden Fall haben die polnischen Entwickler einiges zu bieten, auch fernab der Gallionsfigur CD Projekt Red oder 11 bit studios, die sicherlich einiges zur Popularität des Landes als Gamingstandort beigetragen haben.

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