Overwatch - Review

Auch wenn ich sehr viele Spiele aller möglicher Genres spiele, so gibt es zwei, die einen festen Stammplatz bei mir genießen: Aufbau-Strategie und Arena- bzw. Team-Shooter. Bei letzeren rede ich nicht von weichgespülten Battlefields oder Call of Dutys, sondern von dem richtig harten Oldschool-Scheiß wie DOOM. Overwatch, der erste Team-Shooter aus dem Hause Blizzard Entertainment, erinnert an diese alten Wegbereiter des Genres. Jetzt, knapp 100 Stunden später, wird es Zeit, ein Fazit zu ziehen: Kann Overwatch die Leere füllen oder scheitert es am bisher recht überschaubaren Inhalt?


Wenn Quake und Team Fortress ein Kind hätten ...



Einleitend findet man normalerweise das übliche Bla-Bla über Story, Spieldauer und Charakterentwicklungen. Das kann ich mir hier allerdings sparen, denn auch wenn Blizzard durch aufwändige Cinematic-Videos den spielbaren Helden in Overwatch durchaus umfangreiche Hintergrundgeschichten um einen Aufstand der Roboter in einer hoch modernisierten Welt spendiert hat, findet man im eigentlichen Spiel nicht viel davon. Die Videos beschränken sich auf Promo-Zwecke und finden keinen Gebrauch im eigentlichen Spiel. Abgesehen von einem gelungenen Tutorial und diversen KI-Spielmodi ist Overwatch ein reinrassiger Online-Team-Shooter, den pure Solisten am Besten einfach ignorieren sollten.

Oft liest man auch von einem Moba-Shooter, doch das ist ziemlicher Unsinn. Ja, Overwatch bedient sich bei den - zum Launch - 21 einzigartigen Charakteren der bekannten Helden-Thematik, wie man sie auch in gängigen Mobas wie League of Legends oder dem hauseigenen Heroes of the Storm findet, doch damit enden dann auch die Gemeinsamkeiten: Creeps, Cores, Lanes, Level-Ups oder freischaltbare Skills findet man hier nicht. Vielmehr konzentriert sich das Spiel auf die extrem klassischen Elemente vergangener Team-Shooter wie Team Fortress, Quake oder (wer sich erinnert) Enemy Territory. Würde man die genannten Titel zusammen in einen Raum einsperren und sie hätten daraufhin ein Kind: Overwatch wäre der Name dafür. Gerade das Gunplay offensiver Helden wie der mit einem Raketenwerfer ausgestatteten Pharah dürfte Quake-Veteranen Tränen der Freude in die Augen treiben.


Overwatch
Helden ja, Moba nein: Overwatch ist ein reinrassiger Team-Shooter.


Schnelle, unkomplizierte Action für Jeden



Wenn man Overwatch auf die reinen Fakten herunterbricht, liest sich das erst einmal wenig spektakulär: Vier Spielmodi (Angriff, Eskorte, Kontrolle und ein Angriff-Eskorte-Hybrid) auf zwölf einzigartigen Karten warten auf den Spieler. Während man im ersteren Modus besetzte Punkte des Gegners einnehmen muss, verlangt "Eskorte", dass man ein Fahrzeug von Checkpoint zu Checkpoint ins Zielgebiet begleitet, was das gegnerische Team zu verhindern versucht. Beide Modi werden in Angriff-Eskorte vermischt: Dort muss man erst einen Punkt einnehmen, um danach ein Fahrzeug zu begleiten. Abwechslung bietet hier der Kontrolle-Modus. Dort besteht jedes Karten-Setting aus drei unterschiedlichen Maps, die zufällig gemischt werden. Es geht darum, einen Punkt zu erobern und zu verteidigen, bis der Counter 100% anzeigt. Gewonnen hat das Team, das zuerst zwei aus drei Runden gewinnt. Dazu gesellen sich die eingangs genannten 21 Helden bzw. Heldinnen, die sich in vier Klassen (Offensiv, Defensiv, Tank und Support) unterteilen.

Die Klassen sind allerdings eher zur Orientierung gedacht und nicht "in Stein gemeißelt". Der mächtig gepanzerte Reinhardt ist zwar primär Tank, kann aber sowohl in der Offensive als auch in der Defensive eingesetzt werden, während ein "klassischer" Soldier: 76 zwar in der Offensiv-Kategorie zu finden ist, dank einem Heilkreis aber auch unterstützend das aus sechs Spielern bestehende Team heilen kann. Natürlich gibt es auch Helden, die ihre Rolle etwas ernster nehmen: Mercy ist Vollblut-Heilerin und offensiv so gut wie nicht zu gebrauchen. Das macht aber auch einen großen Pluspunkt des Spiels aus: Wird man in vielen Online-Shootern starr in eine Rolle und Klassenkategorie gepresst, bieten die Helden hier eine gute Mischung aus "kann man machen, muss man aber nicht". Einsteiger sind mit Soldier: 76 gut bedient, weil er sich anfühlt, als hätte man ihn direkt aus Call of Duty entliehen. Wem es an Zielgenauigkeit mangelt, der kann trotzdem Soldier spielen, aber sich eher defensiv einordnen und sein Team mit Heilung unterstützen.

Wenn es so gar nicht laufen will, konzentriert man sich auf andere Helden und unterstützt sein Team z. B. durch aufstellbare Geschütze (Torbjörn) oder bleibt als Heiler komplett außerhalb des Geschehens. Wer jetzt denkt: "Heiler müssen ja sowieso immer langweilig hinten stehen, deswegen spielt man die ja nie!", der irrt sich: Supporter wie Zenyata oder Lucio sind mitten im Geschehen und gerade letzterer ist mit seiner "Ich-kann-an-Wänden-laufen"-Fähigkeit extrem flexibel auch an der Front einsetzbar. Worauf ich hinaus will: Egal ob man gerade eher Lust auf Front-Action hat oder doch lieber den offensiven Part den anderen im Team überlassen will: Jeder Held bietet genug Flexibilität, um nicht zu unter- oder überfordern. Einsteiger werden genauso schnell Zugang zu Overwatch finden wie Veteranen, die mit Arena-Shootern aufgewachsen sind. Dank komplexeren Helden wie der extrem schnellen Tracer oder dem flexiblen Genji werden auch erfahrene Spieler ausreichend gefordert.


Overwatch
Ob Anfänger oder Veteran: Unter den 21 Figuren findet man auch "seinen" Helden.


Das "T" steht für Teamplay



Doch egal ob Einsteiger oder Profi - wer auf eigene Faust unterwegs ist, kann zwar an seiner Kill-Statistik arbeiten, doch nützt diese nichts, wenn man als Team nicht funktioniert. Auch wenn die Helden sehr individuell und zumeist variabel spielbar sind, gilt ein klassisches Schere-Stein-Papier-Prinzip: Für jeden Helden gibt es einen oder mehrere Gegenparts. Auch wenn einige Helden aktuell noch das eine oder andere Balancing benötigen (Roadhog!), ist niemand wirklich "overpowered". Wenn die Gegner sich in ihrer Verteidigungsphase mit Geschützen und mehreren Bastions - einem Held, den man am besten als "Gatling mit Beinen" beschreibt - eingemauert haben, helfen schnelle Helden wie Genji, Tracer und Reinhardt mit seinem Schild, um die Verteidigung wirksam zu durchbrechen. Dadurch entwickelt sich eine stetige Dynamik auf den Karten, da man ständig in der Pflicht ist, sich auf das Verhalten und die Helden der Gegner einzustellen. Wenn man stirbt und in der Basis steht, kann - und sollte - man beliebig zwischen den Helden wechseln.

Die Gegner mauern sich ein? Legt den Fokus auf offensive, schnelle Helden. Das gegnerische Team reagiert mit Scharfschützen und Flächenschaden? Deckt euch mit defensiven Helden und Heilern ein. Da jedes Team andere Taktiken und Helden spielt, garantiert das auch nach der zwanzigsten Runde auf Hanamura noch spannende und nie dagewesene Gefechte. Da jeder Held im Schnitt nur über zwei, drei Fähigkeiten verfügt, sollte man mit Bedacht wählen und auf Rücksprache wechseln. Gerade der Einsatz der "ultimativen Fähigkeit" ist oft spielentscheidend und daher gewissenhaft einzusetzen. Diese Fähigkeit hat teilweise eine lange Aufladezeit; setzt man sie unbedacht in den Sand, kann das schlimmstenfalls den Sieg kosten. So kann Mercy durch den Einsatz ihrer Fähigkeit gefallene Teamkollegen wiederbeleben und dadurch den entscheidenden Impuls setzen, um die Gegner vernichtend zurückzuschlagen.

Dass Rambos und Solospieler nicht gerne gesehen sind wird auch in den abschließenden Statistiken deutlich: Neben einem Highlight, das die beste Aktion in einem Spiel mit einer Wiederholung für alle Spieler prämiert, werden die besten Teamspieler beider Teams honoriert: Auch wenn man als Heiler wenig Kills macht, kann man dennoch mit seiner Leistung in den Charts auftauchen und so ggf. einen Soldier: 76 verdrängen, der außer einigen Headshots nichts für sein Team geleistet hat. Das hat zusätzlich den Effekt, dass man sich selbst als Verlierer-Mannschaft trotzdem als Gewinner fühlen kann. Nachteil an der Geschichte: Wenn man nicht mit Freunden, sondern komplett nur mit Fremden spielt, kann das trotz integrierter Voice- und Kurzbefehl-Funktionen frustrierend werden. Viele Spieler weigern sich, Helden zu wechseln - meistens auch aus Angst heraus, die Komfort-Zone zu verlassen. Wenn man dann in der dritten Runde im Angriff mit zig Scharfschützen unterlegen ist, weil niemand gewillt ist, den Helden zu wechseln, dann leidet auch Overwatch am Fluch der Unfähigkeit anderer Spieler. Das kann dann sehr schnell zu Frust führen und den Spaß am Spiel komplett verhageln. Wer also Overwatch kaufen will, sollte sich umhören, ob eventuell auch einige Freunde das Spiel haben (wollen). Es macht mit denen nämlich viel mehr Spaß und erspart auch das wütende Einprügeln auf die Tastatur bzw. den Controller. ;-)


Overwatch
Nichts für Solisten: Nur wer im Team spielt, kann selbiges zum Sieg führen.


Preis, Umfang und Langzeitspaß - Eine Frage der Perspektive



Ein Punkt, der sehr oft kritisiert wird, ist der geringe Umfang zum Launch: Ein Ranked-Modus ist aktuell nicht zu finden, weil er nach dem negativen Feedback der Beta momentan noch überarbeitet und erst im Laufe der nächsten Wochen wieder seinen Weg in das Spiel finden wird. Zu den oben genannten vier Standardmodi kommt auch noch der "Brawl" dazu. Das ist ein wöchentlich neu ausgerichteter Modus, der die normalen Regeln etwas auf den Kopf stellt, indem alle Helden z. B. einheitliche Lebenspunkte haben und der Schaden um 150% erhöht wird - oder es ist "Heldinnen-Woche", bei der nur weibliche Figuren gespielt werden dürfen. Das ist, zusammen mit dem Trainings-Parcours und Gegen-die-KI-Modus eine nette Auflockerung. Kernelement sind aber die vier Hauptmodi sowie die aktuell zwölf Karten.

Unabhängig davon, dass neue Karten, Helden und Modi angekündigt sind: Wer einen Abend lang intensiv zockt, der wird relativ schnell alles mal gespielt haben. Ist das zu wenig für einen Vollpreis-Titel (40€ auf PC, 60€ Konsolen)? Das ist jetzt eine recht persönliche Sache. Wie für das kalifornische Entwicklerstudio üblich ist der gelieferte Umfang dafür nahezu perfekt: Die Modi sind hervorragend ausbalanciert, die Helden benötigen nur noch minimales Feintuning, die Karten sind bis in die kleinsten Ecken liebevoll gestaltet und auch Performance und Spielfluss sind fantastisch. Ich ziehe dies jederzeit einem überladenen, unfertigen Release mit doppeltem Content vor. Ich habe lieber zwölf Karten zum Perfektionieren und Auswendiglernen vor mir als gefühlte 40, von denen am Ende nur zwei oder drei wirklich spielbar sind.


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Geschmacksfrage: Kosmetische Lootboxen sind auch gegen Echtgeld erhältlich.


Gerade in einem teambasierten Shooter mit definierten Aufgaben, bei dem man alle Ecken und Besonderheiten der Karten genauestens kennen sollte, um einen entscheidenden Vorteil zu erlangen, unterstützt das für mich den Reiz, das Map-Verständnis zu perfektionieren. Ein Counter-Strike hat vielleicht hunderte Maps zur Verfügung, doch wirklich gespielt werden davon nur de_Dust und de_Dust2. Wenn ihr jetzt sagt, dass ihr lieber ganz viele Karten habt, weil euch visuelle Abwechslung im Spiel wichtiger ist als das Erlernen und Perfektionieren des Teamspiels, dann dürfte Overwatch tatsächlich Grund zur Kritik liefern. Ich persönlich finde den Preis und den gebotenen Content fair, kann aber verstehen, dass hier jeder die Prioritäten etwas anders legt. Lasst euch aber sagen, dass ich (inklusive Beta) bereits über hundert Stunden in Overwatch gesteckt habe - und damit mehr Zeit investiert habe als z. B. in The Witcher 3.

Etwas kritischer beäuge ich allerdings den Ingame-Shop. Wer einen Profil-Rang aufsteigt, erhält eine Lootbox mit vier zufälligen Items (Sprays, Sprüche für die Helden, Ingame-Währung oder Skins für die Helden). Gegen Echtgeld kann man diese Boxen auch kaufen. So könnt ihr für knapp 40 Euro insgesamt 50 Lootboxen erwerben - wie das Auspacken abläuft und viele weitere Videos zu Overwatch findet ihr zum Beispiel im YouTube-Kanal der HighScore Heroes. Das halte ich für ein wenig absurd, aber immerhin sind alle Inhalte der Boxen rein kosmetischer Natur. Ein befürchtetes "Pay-to-Win" gibt es nicht. Die Mechanik ist mit dem Shop von Heroes of the Storm vergleichbar. Natürlich kann man jetzt fragen, ob in einem Vollpreis-Titel so ein Shop nötig ist, aber solange - wie bereits angekündigt - alle zukünftigen Content-Updates wie neue Helden, neue Karten und frische Modi kostenlos bleiben, muss das jeder Spieler für sich selbst ausmachen, ob er Blizzard für optische Extras wirklich nochmal Geld geben will, zumal alles auch durch fleißiges Spielen freischaltbar ist. Das haben andere Spiele schon schlechter gelöst.



HerrBeutel

Fazit von Philipp:

Overwatch ist so ziemlich das geworden, was ich mir seit vergangenen Enemy-Territory-Zeiten gewünscht habe: ein schnörkelloser, fast schon klassischer, Objective-Based-Team-Shooter mit schnellem Gunplay und diesem "Nur-noch-eine-Runde"-Prinzip. Die zahlreichen Helden sorgen dafür, dass für jeden Geschmack an Spieler etwas dabei ist und sich sowohl der offensive Shooter-Veteran als auch der eher passive Heiler wohl fühlen. Die Helden sind generell sehr abwechslungsreich und gut ausbalanciert, sodass kaum Langeweile in den Matches aufkommt und jede Team-Zusammenstellung ganz neue Herausforderungen zu bieten hat. Wichtig ist nur, dass Blizzard regelmäßig neue Maps, Modi und Helden veröffentlicht, um die Spieler bei Laune zu halten - aber in Anbetracht von Blizzards sonstiger Produktpflege mache ich mir hier wenig Sorgen. Overwatch ist für mich definitiv einer der spaßigsten Multiplayer-Titel dieses Jahr und ich glaube, dass da nicht mehr viel kommen wird, das ihm diesen Titel streitig machen könnte. Ich muss dann auch wieder los, meine Tracer-Skills trainieren.

Besonders gut finde ich ...
  • "easy to learn, hard to master"
  • hübscher, zeitloser Grafikstil
  • gut ausbalancierte Helden
  • schnelles, klassisches Gunplay
  • motivierendes Level-System
  • hohe Einsteigerfreundlichkeit
  • Brawl-Modus sorgt für Abwechslung
  • faires Belohnungssystem am Matchende
  • hohe Langzeitmotivation
Nicht so optimal ...
  • überschaubare Anzahl Maps
  • mit "Random"-Spieler frustrierend
  • Ingame-Shop (Lootboxen)
  • Ranked-Modus fehlt (noch)
  • Matchmaking in Gruppen etwas langsam

Philipp hat Overwatch auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Blizzard Entertainment zur Verfügung gestellt.

Overwatch - Boxart
  •  
  • Entwickler:Blizzard Entertainment
  • Publisher:Blizzard Entertainment
  • Genre:Action
  • Plattform:PC, PS4, Xbox One, Switch
  • Release:24.05.2016
    (Switch) 15.10.2019

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: Knirps, ATeC ... und 5 Gästen.
  • SaschaW
    #1 | 6. Juni 2016 um 23:12 Uhr
    Danke für die Verlinkung meines Videos.

    Allgemein stimme ich dir in fast allen Punkten zu. Ja, in "fast" allen Punkten. Persönlich halte ich Overwatch auch ohne Gruppe für gut spielbar und das deckt sich mit der Meinung derjenigen, die in meinem Freundeskreis fast immer alleine spielen.

    Voice Chat wird gerade auf US-Servern viel genutzt. In Europa ist das durch die europaweiten Server immer schwieriger. Jedoch findet auch dort Teamwork statt. Finde es teilweise sogar entspannt alleine zu zocken. Auch wenn es ein Teamspiel ist und dieser Aspekt klar im Vordergrund steht. Lediglich bei Ranked wird es kompliziert.

    Zweiter Punkt den ich nicht unterschreibe, ist der Negativpunkt bei den Mikrotransaktionen. Ja, ich bin kein Fan davon aber sie sind nicht immer böse. Hier ist es nur kosmetischer Shizzle. Den man mit entsprechender Spielzeit auch ohne Investition von Echtgeld erhält. Erklärt du ja auch ganz gut. Jedoch finde ich es als Negativpunkt nur bedingt fair.

    Ansonsten ein schöner Test.
  • Darius
    #2 | 9. Juni 2016 um 19:32 Uhr

    SaschaW: Danke für die Verlinkung meines Videos.


    Bitte   

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