Gears of War: Judgment - Review

People Can Fly sind ein cooler Haufen. Mit Painkiller und Bulletstorm haben sie zwei astreine Arcade-Shooter abgeliefert, die zwar inhaltlich eher mau waren, trotzdem aber mit ordentlich Over-the-Top-Action und Selbstironie punkten konnten. Ob das allerdings reicht, um für eine große Serie wie Gears of War einen eigenen Ableger (mit)entwickeln zu dürfen? Epic Games war sich scheinbar sicher, dass da nicht viel schief gehen kann. Mein Urteil sieht da etwas anders aus.


Story? Da war doch was ...



Nach Jahrzehnten des erbitterten Krieges brachte der dritte Teil von Gears of War den ewigen Krieg der Menschheit gegen die Locust zu einem jähen Ende; doch aus geschichtlicher Sicht gibt es noch viele offene Fragen zu klären. Aus diesem Grund setzt die Handlung von Judgment in der Zeit vor den eigentlichen Spielen an, die generell mit den Pendulum-Kriegen, den Archipel-Kriegen und dem E-Day genug Material für weitere Spiele bietet. So spielt Judgment 15 Jahre vor dem ersten Teil, die Pendulum-Kriege sind seit kurzem beendet und der E-Day hat auch schon einige Tage auf dem Buckel. Wann genau die Story stattfindet, ist nicht ganz geklärt, zumal auch im weiteren Verlauf einige Events irgendwie etwas durcheinander gewürfelt werden und die geschichtliche Reihenfolge teilweise ignoriert. Die eigentliche Story kennt man dabei sowieso schon von den Trailern: Baird, Cole, sowie die Neuzugänge Sophia (Quotenfrau) und Garron (Quotenrusse) werden in Handschellen einem gewissen Herrn Ezra P. Loomis - seines Zeichens Colonal, Richter und Henker - vorgeführt. Er beschuldigt das Kilo-Squad des Hochverrats, da sie sich willentlich und wissentlich seinen Anweisungen widersetzt haben. Bevor es aber zum Urteil kommt, will er von jedem der vier Mitglieder die Geschichte hören, warum sie sich so verhalten haben. Währenddessen bricht um das Gerichtsgebäude die Hölle los, denn die Locust wollen da auch noch mitreden.


Gears of War: Judgment



So klein und dann schon eine Kampagne



In den nun folgenden 4-6 Stunden Spielzeit von Judgment spielen wir nacheinander die Mitglieder des genannten Kilo-Squads auf dem Weg durch die zerstörte Luxus-Metropole Halvo Bay und auf der Suche nach einer experimentellen Rakete, um Karn - den Obermufti der Locust - auszuschalten. Man kämpft sich durch prächtige Villen über Alleen hin zu Strandanlagen und durch geheime Bunker - immer aus unterschiedlichen Charakterperspektiven. Das hat insofern aber kein großes, spielerisches Gewicht, da sich die Protagonsiten allesamt gleich steuern. Die erste Enttäuschung macht sich allerdings sehr früh breit, besteht die Kampagne nur aus einzelnen, lose zusammenhängenden Missionen, die weder großartig inszeniert noch mit besonderen Höhepunkten glänzen können. Stattdessen gibt es nun ein Sterne-System, das das erfolgreiche Abschließen jeder Mission belohnt und so den Wettbewerb (vor allem im Coop) fördert. Man stelle sich einfach Bulletstorm in GoW-Optik vor: je weniger ich sterbe und je spektakulärer und abwechslungsreicher ich kämpfe, desto schneller verdiene ich die bis zu drei Sterne pro Abschnitt, mit denen ich Auszeichnungen, neue Rüstungen und Waffenskins für den Multiplayer freischalte.

Dieses Konzept zieht sich durch die komplette Kampagne, was den Ablauf extrem repetitiv werden lässt: wir betreten ein stark begrenztes Areal, töten alle Locust, warten den Punkte-Bildschirm ab und können dann wahlweise den Abschnitt in der Hoffnung auf mehr Punkte direkt erneut spielen oder wir machen weiter, offnen eine Tür, betreten ein stark begrenztes ... und so weiter. Hin und wieder gilt es auch, einen Raum zu befestigen und ihn danach gegen anstürmende Gegnerwellen zu verteidigen - "Horde" im Singleplayer, sozusagen. Zwar sind die Kämpfe nach wie vor grandios und die Steuerung intuitiv und präzise, es wirkt allerdings insgesamt eher wie ein Arcade-DLC, denn als vollwertige Kampagne, weil die Story einfach nie in Schwung kommt, geschweige denn das Universum irgendwie weiter bringt. Enttäuschend auch, dass es nur ein neuer Gegnertyp und eine Hand voll neuer Waffen in's Spiel geschafft haben.


Gears of War: Judgment



Es herrscht Eiszeit im Kilo-Squad



Der Flair der Vorgänger fehlt komplett; durch die Sprünge zwischen den Protagonisten kommt kein richtiger Spielfluss zustande, so dass die Locations, genau wie Story und Charaktere, im Prinzip zur leeren Hülle verkommen. Das ist erstmal nicht schlimm, sind auch die Protagonisten in den Vorgängern nicht extrem tiefgründig herausgearbeitet; doch wenn Randfiguren der Vorgänger, wie Carmine oder Anja, in der linken Haarspitze mehr Tiefe haben, als alle Figuren des Kilo-Squad zusammen im ganzen Spiel, dann kann man sich ungefähr vorstellen, was in Judgment schief läuft. Es stellt sich zudem die Frage, was mit Cole und Baird passiert ist, die im gesamten Spiel - wie alle anderen Figuren auch - nur wenige Sätze sprechen. Die One-Line von Baird? Das "WHOOOOO BABY!" von Cole Train? Die ewigen Neckereien der Beiden untereinander, wer jetzt eigentlich der Geilere ist? All das fehlt komplett in Judgment und so ist es unvermeidlich, dass die Symapthiebolzen Cole und Baird so langweilig sind wie Florian Silbereisen ohne seine bunten Pillen. Auch die Zwischensequenzen lassen zu wünschen übrig, bestehen sie zu 90% aus stillen Animationen, in der irgendwer eine Tür öffnet. Geredet wird nur in den längeren Sequenzen am Ende jedes Kapitels und die Dialoge dort sind - selbst für GoW-Verhältnisse - extrem schwach und substanzlos.

Da die meisten Gefechte in Bunkern, Räumen und Gängen stattfinden, fehlen auch die Bombast-Elemente, sowie das Gefühl für die Welt, in der man spielt. Epic Games hatte, trotz immer dem gleichen, streng-linearen Ablauf, stets das Gefühl vermittelt, in einer sich weiterentwickelnden Welt zu spielen. Ständig passierte was im Hintergrund, man betrat grandiose (die brennende Stadt Jacinto) und abgefahrene (das Innere eines gigantischen Wurms) Schauplätze und war gespannt, was noch kommen wird. Die kurzen Fahr- und Flugsequenzen, die das Shoot'n'Cover-Konzept etwas auflockerten, sucht man ebenfalls vergeblich. Lediglich ein Ausflug über die Dächer der einstigen Luxus-Metropole Halvo Bay lässt erahnen, was die Engine eigentlich zaubern kann.


Gears of War: Judgment



Aftermath, Declassified & Multiplayer



Immerhin gibt's durch das Konzept auch einige gute Ideen: so kann man vor jedem Kampf-Abschnitt wählen, ob man ihn zu einer "Declassified Mission" aufwertet, was die Kämpfe deutlich abwechslungsreicher und schwieriger macht. Wie wäre es denn, auf offener Fläche nur mit Pistolen und Schrotflinten gegen Scharfschützen anzutreten oder mit starkem Rauch, der die Sicht einschränkt, während wir von allen Seiten beschossen werden? Durch das aktivieren dieser erschwerten Bedingungen wird es des weiteren auch deutlich einfacher, die nötigen Sterne zu sammeln. Vorausgetzt natürlich, dass man nicht in's Gras beisst, was bei den teilweise unverständlich blöden KI-Kollegen ziemlich oft passiert, da sie lieber zu dritt um mich herumrennen und sich selbst blockieren, statt mir wieder auf die Beine zu helfen.

Mit den Sternen schaltet man dann auch noch das Aftermath frei, ein - wie man munkelt - zurückgehaltener DLC, der eigentlich für Gears of War 3 bestimmt war. Der ist mit knapp 1.5 Stunden Spielzeit zwar nochmal deutlich kürzer als die sowieo schon sehr kurze Judgment-Kampagne, macht aber um ein vielfaches mehr Spaß. Hier merkt man, dass diese ursprünglich von den "richtigen" Leuten bei Epic Games entwickelt wurde: Baird darf endlich wieder seine One-Liner raushauen, Cole darf sich mit ihm in die Haare kriegen und sogar der Quotenrusse Garron hat Momente, in denen er glänzen kann. Die Schauplätze sind zwar auch eher auf Innengebäude beschränkt, bieten aber einige coole Panorama-Blicke, sowie abgefahrene Ideen: einen alten Tanker vom Hochhaus auf's Meer bomben? Hell yeah! Auch die Gefechte sind um ein vielfaches spannender; nicht zuletzt dank den zahlreich vorhandenen "Leuchtenden", die die Gegend unsicher machen. Auf Sterne wurde zudem dankenswerterweise verzichtet, weshalb das Spielgefühl an sich stimmiger und weniger arcade-lastig ist.

Im Multiplayer sorgt der neue "Overrun"-Modus für frisches Futter. Hier spielt man abwechselnd die COG bzw. Locust und muss versuchen, einen Punkt für einen gewissen Zeitraum zu verteidigen, den die Locust einnehmen müssen. Sobald diese den Punkt überrannt haben, geht's von dort weiter zum nächsten Punkt, bis die ganze Karte kontrolliert wird - ähnlich wie Goldrush in Bad Company 2. Danach werden die Seiten getauscht. Das Team, das am schnellsten war, gewinnt. So spaßig dieser Modus auch ist, umso unverständlicher ist es, dass der beliebte Horde-Modus gestrichen wurden, obwohl er - wie oben erwähnt - in der Kampagne mehrmals aufgegriffen wird.



HerrBeutel

Fazit von Philipp:

Punkte- und Sterne-Jagd, lose zusammenhängende Missionen und Horde-Anleihen im Singleplayer: die Kampagne kommt selten über den Eindruck eines überlangen Multiplayer-Tutorials hinweg; auch wenn ironischerweise der Hordemodus ersatzlos gestrichen wurde. Judgment enttäuscht auch sonst auf fast allen Ebenen: so gut wie keine Neuerungen, Rückschritte in der Charakterentwicklung, eine gänzlich nicht vorhandene Story, eine extrem kurze, höhepunktslose Spielzeit und ein enttäuschender Showdown lassen den neuesten Teil von Gears of War stark nach Cashcow riechen.

Klar, das Gameplay ist nach wie vor erhaben, die Kämpfe packend und die Grafik erste Sahne; das alles bekommt man in den Vorgängern aber um ein vielfaches besser, opulenter, spektakulärer und packender serviert. Immerhin ist die Aftermath-Kampagne ein gelungenes Trostpflaster, täuscht aber nicht darüber hinweg, dass Judgment nur mit viel Wohlwollen zu genießen ist.

Gears of War: Judgment macht fast alles schlechter, was die Vorgänger zu dem gemacht haben, was sie waren. Trotz des spaßigen "OverRun"-Modus sollten nur unersättliche Hardcore- bzw. Mutliplayer-Fans zugreifen.

Besonders gut finde ich ...
  • Aftermath-Kampagne
  • Declassified-Missionen
  • Nahezu perfekte Steuerung
  • Overrun-Modus
  • Multiplayer rockt nach wie vor
  • Coop ungebrochen spaßig
Nicht so optimal ...
  • Enttäuschende Präsentation
  • Langweilige Haupt-Kampagne
  • Uninteressante Figuren
  • Fehlende Story
  • Mangelnder Spielwitz
  • Kaum Neuerungen
  • Enttäuschendes Finale
  • Fehlender Horde-Modus
  • KI oftmals strunzblöd

Philipp hat Gears of War: Judgment auf der Xbox 360 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Microsoft zur Verfügung gestellt.

Gears of War: Judgment - Boxart
  •  
  • Entwickler:Epic Games
  • Publisher:Microsoft
  • Genre:Third-Person-Action
  • Plattform:Xbox360
  • Release:22.03.2013

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: Phaz ... und einem Gast.
  • Phaz
    #1 | 26. März 2013 um 10:28 Uhr
    Nur das Fazit gelesen, aber irgendwie habe ich schon mit soetwas gerechnet. Einfach noch ein bisschen Geld rausquetschen!
  • DarkRaziel
    #2 | 28. März 2013 um 23:12 Uhr
    Man(n) kann es spielen, aber viel Erwarten sollte man nicht.
    Aber ich finde es noch gut genug, denn ich habe schon schlimmere Games gespielt.

Hinweis: Der Beitrag ist über 5 Jahre alt, die Kommentarfunktion ist daher mittlerweile geschlossen.