Abzu - Review

Seine kreativen Wurzeln kann und will Abzû natürlich nicht verleugnen. Die meditative Tauchsimulation der Giant Squid Studios, die ausschließlich für PlayStation 4 und PC erschienen ist, hat eine ordentliche Portion Journey in ihre DNA eingespeist. Immerhin gibt es in beiden Spielen sowohl kreative als auch personelle Überschneidungen zu verzeichnen. Der namensgebende Tintenfisch des Studios mag die Macher zum neuen Titel inspiriert haben. Beste Voraussetzungen für eine spannende Reise in die Tiefe des Meeres?

Das Schöne an Spielen wie Abzû ist, dass sie sich jeglicher narrativer Interpretation verschließen und somit das Spoiler-Potential gen Null sinkt. Will heißen: Natürlich kann ich die Reise einer namenlosen – androiden - Taucherin in die Tiefe eines unbekannten Ozeans als eine Art Parabel auf den Kampf eines Naturvolks, das im Einklang mit den Meeresbewohnern lebt, gegen kalte Maschinenwesen sehen; muss es aber nicht. Die Geschichte kann am Ende auch ganz anders sein. Wie schon der geistige Vorgänger Journey verzichtet auch das Unterwassermärchen Abzû auf Dialoge und erklärende Texte in jeglicher Form. Folge: Die komplette Kommunikation mit der Umwelt findet allein und ausschließlich auf emotionaler Ebene statt und vieles (wenn nicht alles) bleibt der Fantasie des Spielers überlassen. Meine rund vierstündige Reise beginnt an der Wasseroberfläche. Am Himmel türmen sich weiße Wolkenberge auf und das sanfte Plätschern der Wellen gibt bereits den Ton des Spiels vor. Die großen Augen der Taucherin wandern suchend und unschuldig umher. Ein Druck auf die rechte Schultertaste und der Abstieg in eine mir unbekannte Welt kann beginnen.


Abzu
Abzû taucht in die Welt der Tiefsee ein.


Wimpelfische, Golftümmler und Buckelwale bevölkern die maritime Welt



Zunächst ist da nichts als sandiger Meeresboden und die tanzenden Strahlen des sich im Wasser brechenden Lichts. Der orchestrale Soundtrack von Austin Wintory setzt ein. In der Ferne sehe ich eine Felsöffnung, die ich dank der Beschleunigung meiner extragroßen Flossen elegant durchschwimmen kann. Dahinter öffnet sich eine grafisch beeindruckende Meereswelt. Was sofort auffällt, sind die kräftigen Farben aus grün, blau und rot, aus denen sich die maritime Umgebung aus Korallen, Seetang und Gräsern zusammensetzt. Meine Schwimmzüge führen mich zu einem leuchtenden Signalfeuer, das sich als eine schlafende Drohne herausstellt. Sobald ich ihren Mechanismus aktiviert habe, umkreist mich der mechanische Helfer und öffnet mir bis dahin verschlossene Durchgänge, um die Quest fortzusetzen. Was gibt es über die Erweckung von Drohnen hinaus noch zu tun? An bestimmten Punkten muss ich Meerestieren, wie dem Gemeinen Delfin oder dem Wimpelfisch, die Freiheit schenken, indem ich per Knopfdruck eine Interaktion auslösen oder versteckte Muscheln aufspüren. Viel wichtiger ist allerdings der bereits im Vorspann angesprochene meditative Aspekt des Spiels.


AbzuAbzu
Neben Buckelwalen bekommt unsere Taucherin auch beeindruckende Landschaften zu sehen.


Die Bauwerke am Meeresgrund haben die Anmutung überfluteter Kathedralen



Innerhalb der insgesamt sieben Kapitel (+ Abspann) sind zwölf Statuen versteckt, die im wahrsten Sinne des Wortes zur Meditation einladen. Meine Taucherin hockt sich auf den obersten Punkt der Steinsäule, woraufhin eine Sequenz beginnt, die allein darauf abzielt, die Stimmung der Meereswelt mit ihren Bewohnern, Pflanzen und (Licht-)Stimmungen passiv aufzusaugen. Ich kann an dieser Stelle lediglich den Kamerawinkel und damit die Perspektive verändern. Die einzelnen Punkte und Kapitel lassen sich nach Ende des Spiels erneut aufrufen. Neben der Meditation und der Erkundung der Umgebung kann ich mich auch an die Flosse eines Wals – oder auch jedes anderen Meerestieres – hängen und per Huckepack durch die Unterwasserwelt schwimmen. Darüber hinaus hält sich Abzû mit den genretypischen Schalterrätseln oder dem Umherschieben von Objekten stark zurück. Auch die Passagen, in denen ich durch eine Art "Golfstrom" gezogen werde, laufen quasi automatisch ab. Wer sich also abseits der stimmungsvollen Atmosphäre ein hohes Maß an Interaktion erhofft, wird sicherlich enttäuscht werden. Zudem wiederholen sich die vorgenannten Aufgaben in nahezu jedem Kapitel; allein das Finale weicht etwas von dieser Formel ab.

Wer sich allerdings abseits der Redundanz auf den stimmungsvollen Tauchgang einlässt, wird beeindruckende Bauwerke entdecken, die überfluteten Kathedralen ähneln. Im Inneren finden sich Wandmalereien, die in ihrer Anmutung an ägyptische Hieroglyphen erinnern und einen Hinweis auf die Herkunft unserer Taucherin geben. Wie gesagt: Die Auslegung der Geschichte muss jeder selbst vornehmen. Angesichts der frappierenden Ähnlichkeit mit den Säulenbauwerken aus Journey hatte ich manchmal das Gefühl, dass es sich um eine gespiegelte Welt handelt, die in diesem Fall aus der Wüste auf den Grund des Meeres transportiert wurde. Dies ist allerdings nur eine von vielen möglichen Theorien. Auch das Dreieckssymbol, das sich auf dem Anzug der Taucherin befindet, ist eine Motiv, das immer wieder auftaucht.

Die musikalische Begleitung trägt ebenfalls dazu bei, dass sich die Reise in die Tiefe zu einem stimmungsvollen Trip entwickelt. Sie folgt dabei immer einer Dramaturgie, sodass stille Phasen von dramatisch untermalten Abschnitten abgelöst werden. Was nicht so schön ist: Manchmal erweist sich die Kamera als extrem bockig, wodurch die Orientierung unnötig erschwert wird. Zudem hätte ich mir gewünscht, dass sich die einzelnen Kapitel in einer fließenden Bewegung entfalten, anstatt durch einen Ladebildschirm unterbrochen zu werden. Dies hat der Immersion dann doch einen kleinen Dämpfer verliehen.



Jari

Fazit von Jari:

Dass Abzû – Achtung Wortwitz – an mangelndem Tiefgang leidet, möchte ich so nicht unterschreiben. Wer sich für Spiele á la Journey oder The Unfinished Swan nicht erwärmen kann oder will, sollte auch um dieses Kleinod einen großen Bogen machen. Alle anderen geben dem rund vierstündigen Tauchgang allerdings eine Chance. Um welche Art von Welt es sich am Ende handelt, bleibt ohne Frage sehr diffus. Doch gerade dies macht für mich den Reiz aus. Wenn an einem der Meditations-Punkte ein Buckelwal majestätisch an mir vorbeizieht und sich über mir der rotierende Wirbel eines riesigen Fischschwarms dreht, dann glaube ich zumindest an die erzählerische Kraft des Videospiels, in der die Schwerelosigkeit des Tauchens zu einer Kunstform erhoben wird. Für mich ist Abzû eine Art Endless Ocean mit philosophischem Überbau. Zudem blitzt in manchen Momenten der Genius von James Camerons Abyss auf, wobei ich mir gewünscht hätte, dass die Macher den Story-Fundus dieses Science-Fiction-Klassikers großzügiger für die Reise der namenlosen Taucherin geplündert hätten. Doch auch so bleibt Abzû unter dem Strich eine atmosphärische und auch lohnende Reise. Eines ist mir auch klar geworden: Für den Markt der VR-Brillen sind Inhalte wie diese geradezu gemacht. Wer jemals die Technik-Demo "theBlu" für die HTC Vive ausprobiert hat, weiß wovon ich spreche. Abzû in einer VR-Version wäre geradezu perfektes Kopf- und Entspannungskino.

Besonders gut finde ich ...
  • wunderschöner Soundtrack von Austin Wintory
  • kräftige Farben formen eine stimmungsvolle Welt
  • imposante Fischschwärme und Meeresbewohner
  • meditative Stimmung erzeugt ein „Flow“-Gefühl
Nicht so optimal ...
  • störrische Kamera
  • teilweise Orientierungsprobleme
  • Spielwelt bleibt sehr diffus
  • redundante Aufgaben
  • Übergänge werden durch Ladebildschirme unterbrochen

Jari hat Abzu auf der PlayStation 4 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von 505 Games zur Verfügung gestellt.

Abzu - Boxart
  •  
  • Entwickler:Giant Squid
  • Publisher:505 Games
  • Genre:Adventure
  • Plattform:PC, PS4, Xbox One, Switch
  • Release:02.08.2016
    (Xbox One) 06.12.2016
    (Switch) 29.11.2018

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: HerrBeutel, Tim, Kithaitaa ... und 5 Gästen.
  • Tim
    #1 | 24. August 2016 um 23:32 Uhr
    Schöne Review. Ich freu mich auch schon wahnsinnig drauf (nachdem es mit dem Tauchen im Urlaub ja leider nicht so toll geklappt hat   ) - nur gibt's im Moment einfach noch zu viele andere Spiele zu erledigen. Finde einfach, dass Abzu wunderschön aussieht und auf die Musik von Austin Wintory bin ich schon sehr gespannt - hab mir den Soundtrack extra auf Spotify vorgemerkt. Das mit den redundanten Aufgaben ist mir aber ziemlich egal, man spielt Abzu ja nicht für das Gameplay. Solange es "magisch" ist, bin ich zufrieden.  
  • Tim
    #2 | 20. Oktober 2016 um 01:18 Uhr
    So. Habe mich gerade an Abzu gesetzt, es in einem Stück durchgespielt und ... tja, ich bin ziemlich begeistert. Für mich sogar das bessere Journey, obwohl der "Überraschungsfaktor" fehlt. Liegt wahrscheinlich dran, dass ich mit der wunderschönen Unterwasserwelt mehr anfangen kann - die haben Giant Squid einfach perfekt eingefangen. Tiere (auch Korallen!) sehen super aus und dann diese Farbenpracht - ganz großes Kino. Am besten gefallen hat mir der Abstieg in die Tiefe neben den Walen, und auch die der ziemlich düstere Part später war cool gemacht. Hatte ich so gar nicht erwartet.

    Was ich etwas schade finde, ist, dass es keine Zusatzinfos zu den Fischen etc. gibt. Klar, Abzu ist kein Endless Ocean, aber das wäre echt nett gewesen und hätte sich angeboten. Auch bissi fail: Der Mondfisch wurde im Deutschen mit "Adlerrochen" betitelt. Da gibt es mal überhaupt keine Ähnlichkeiten.   

    Die lange Wartezeit drauf hat sich aber gelohnt. Es war .. "magisch".   
  • Darius
    #3 | 18. Dezember 2016 um 13:28 Uhr
    Schönes Spiel zum Entspannen für zwischendurch, das ich kürzlich auch nachgeholt hab. Trotz der Faszination der Unterwasserwelt, fand ich Journey dennoch einen Ticken besser, spannender. Gespielt haben sollte man ohnehin beide. Beim Thema Tiefsee fällt mir an dieser Stelle noch Song of the Deep ein, das ich ebenfalls dieser Tage aus den Klauen des Pile of Shame befreit habe. Als Metroidvania sicherlich ein anderes Genre, aber eine wunderschöne Welt die es da zu entdecken gilt.

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