Assetto Corsa - Review

Nicht erst seit dieser Konsolengeneration werben Entwicklerstudios stets damit, dass ihr Titel die absolute Rennerfahrung böte. Selbstverständlich macht auch das Team von Kunos Simulazioni keine Ausnahme, beschreitet aber wissentlich einen anderen Weg und fordert mich und alle Käufer von Assetto Corsa zu einem unfassbar heftigen Duell heraus. Eine solche Grenzerfahrung wurde selten geboten. Gleichzeitig stellt sich dennoch die Frage, ob zu viel Anspruch den Spielspaß nachhaltig stört?

Beinharte Rennsimulationen sind vorwiegend auf dem Rechenknecht beheimatet und glänzen dort nicht zuletzt durch eine starke Mod-Community. Durch die langjährigen Serien Gran Turismo (PlayStation) und Forza Motorsport (Xbox) sind diese auch auf Konsolen salonfähig geworden. Nach dem im letzten Jahr erschienenen Project Cars gesellt sich auf der PlayStation 4 und Xbox One nun auch Assetto Corsa hinzu, welches für das kleine italienische Entwicklerstudio Kunos Simulazioni auch gleichzeitig ihr Konsolen-Debüt darstellt. Von vielen PC-Spielern wird Assetto Corsa bereits seit geraumer Zeit als die beste Rennsimulation bezeichnet, nun tritt man den Kampf gegen die ganz Großen an. Anders als in den eben genannten Genre-Vertretern wird hier jedoch nicht einfach vorne weggefahren. Die Simulation fordert euer gesamtes Können und zeigt nicht selten die eigenen Grenzen auf. Trotz Vorkenntnissen aus der schon 2014 veröffentlichten PC-Version benötigte ich einiges an Eingewöhnungszeit - und diese habe ich mit dem Start in den Karrieremodus begonnen.


Assetto Corsa
Der Fuhrpark umfasst knapp 100 Fahrzeuge von 21 bekannten Automarken.


Spannende Inszenierung geht anders



Jene starte ich mit einem atmosphärischen Trailer, der die ganze Bandbreite des Spiels abdeckt. Ohne Umschweife und somit ebenso ohne Zwischensequenzen oder irgendwelche Tutorials begebe ich mich über ein langweilig anmutendes Kachel-Menü ins erste Rennen, welches ich in einem kleinen Kompaktwagen bestreiten muss. Ähnlich der Gran-Turismo-Reihe ist die Karriere in verschiedene Cups unterteilt, welche nach und nach freigespielt werden müssen. Die dazugehörigen Fahrzeuge sind fest mit dem jeweils anstehenden Rennen verknüpft, sodass sich eine eigene Garage mit großem Fuhrpark erübrigt. Hier greift der erste Kritikpunkt: Ohne eigenen Fuhrpark fehlt die Motivation, diverse Rennen zu wiederholen, um an Credits oder ähnliches zu kommen, welche ich später in das Tuning oder neue Boliden investieren kann.

Vor jedem Rennen gibt es stets die Möglichkeit, den Schwierigkeitsgrad sowie die üblichen Fahrhilfen zu konfigurieren. Ohne Qualifikation, freies Training oder Einführungsrunde geht es direkt ins Fahrerfeld. Das besteht wiederum aus ähnlichen Fahrzeugen wie meinem, wenngleich sich die anderen Fahrer selbst auf einfachstem Schwierigkeitsgrad als sehr fordernde Zeitgenossen herausstellen. Das liegt vorwiegend an der überaus realistischen Fahrphysik, welche jedes noch so kleinste Detail mitberechnet. Während andere Simulationen stets Gnade walten lassen, bestraft mich Assetto Corsa bei zu viel Gas im Kurvenausgang direkt mit einem Abflug. Selbstredend gestaltet sich der Einstieg in die knackige Karriere holprig, zumal es zu allen angebotenen Einstellungen in der Garage keinerlei Informationen zu finden gibt.

Ohne große Probleme lassen sich wiederum die Zeitrennen meistern, welche zwischen den Rennen die Karriere auflockern sollen. Im Verhältnis dazu sind die einzelnen Herausforderungen ziemlich unausbalanciert und lassen sich, seit dem letzten Patch, auch mit dem Gamepad problemlos bewältigen. Dennoch kostet jeder kleine Fehler enorm viel Zeit und lässt die KI-Gegner, welche sich stets im Nacken befinden, in Windeseile vorbeiziehen. Ist dieser Fall eingetreten, gibt es nahezu keine Chance wieder aufzuschließen. Selbst wenn man sich einige Runden vor den Gegnern halten kann, machen diese keinen Halt vor gefährlichen Crashs, die sofort das Rennende bedeuten. Besonders frustrierend wird das dann, wenn die karierte Flagge bereits zu sehen ist und die Gegner, die mich auf gerader Strecke fast schon stehen lassen, absichtlich Unfälle provozieren. Entsprechend zäh laufen die statisch inszenierten Rennen ab und lassen so schnell die Lust vergehen.


Assetto CorsaAssetto Corsa
Die KI-Kollegen setzen gerne alles daran einen Crash zu provozieren.


Echtes Rennfeeling gibt es eben doch nur mit einem Lenkrad



Dank dem vor kurzem eingeschobenen Patch klappt die Steuerung mit dem Gamepad nahezu tadellos. Für das richtige Rennerlebnis empfehle ich dennoch den Griff zum Lenkrad. Nur damit lässt sich das richtige Feeling simulieren und tief in die Welt des Motorsports abtauchen. Jedes Auto verfügt über seine eigene Dynamik und verhält sich bei verschiedenen Streckenbedingungen völlig unterschiedlich. Die Trägheit der einzelnen Fahrzeuge wurde klasse implementiert und selbst die Unterschiede mit einem Front- oder Heckantrieb sind glaubhaft umgesetzt. So entsteht für jedes Fahrzeug ein ganz eigenes Gefühl, welches sich erst über eine längere Spieldauer voll entfalten kann. Weiterhin sehen die knapp 100 Fahrzeuge authentisch aus. Schade, dass die Entwickler hier nicht an einen Foto-Modus gedacht haben: Gerne hätte ich meinen Lieblingssportwagen auf einer der 16 Strecken näher begutachtet und die Screenshots meinen Freunden geschickt.

Überhaupt bietet die Rennsimulation leider sehr wenige Strecken, sodass sich schnell Ermüdungserscheinungen breitmachen. Zwar sind alle 16 Strecken mit eigenen Varianten ausgestattet, über den fehlenden Umfang in dieser Hinsicht können sie allerdings kaum hinwegtäuschen. Außerdem vermisse ich spektakuläre Stadtkurse oder anstrengende Bergrennen. Assetto Corsa beschränkt sich nur auf einen kleinen Teil von Rennstrecken, welche im Übrigen allesamt in Europa vorzufinden sind.


Assetto Corsa
Die Fahrzeuge sind ihren echten Abbildern sehr detailgetreu nachempfunden.


Communityarbeit zahlt sich aus



Abseits des öden Karriere-Modus gibt es standesgemäß die Möglichkeit, sich mit Spielern aus aller Welt zu messen. Hier verpassen es die Entwickler allerdings, private Lobbys zu ermöglichen, und zwingen mich in öffentliche Lobbys, welche meist von crashwütigen Spielern überschwemmt sind. Diese sind zwar seit dem letzten Patch weniger anzutreffen - ein Lenkrad stellt sich im Wettkampf gegen menschliche Spieler dennoch als fast unverzichtbar heraus. Wer keines zu Hand hat, hat die Möglichkeit die Steuerung für das Gamepad in speziellen Menüs mühevoll anzupassen. Das klappt bisweilen ganz gut und lässt selbst den bockigsten Boliden auf der Strecke kleben. Aus technischer Sicht wandelt Assetto Corsa weit unter dem Niveau des kürzlich veröffentlichten F1 2016. Die Texturen sind unscharf, die Weitsicht sehr eingeschränkt und ohne Zwischensequenzen oder gar einer Siegerehrung kommt selten richtige Rennatmosphäre auf. Ferner gibt es keine dynamische Ideallinie, sodass Anfänger große Schwierigkeiten damit haben werden, überhaupt eine saubere Runde abschließen zu können.

Selbstverständlich steigt die Lernkurve über längere Spieldauer an, sie setzt allerdings schon zu Beginn ein zu hohes Verständnis für Fahrzeug und Strecke voraus, weshalb der geneigte Gelegenheitsrennfahrer schnell tiefe Falten auf der Stirn bekommt. Simulationspuristen werden hingegen bestens bedient und bekommen abseits der Konkurrenz einen einzigartigen Titel geboten.



Predator

Fazit von Kevin:

Die herausragende Physik, welche selbst den Reifendruck und Abtrieb genauestens simuliert, fordert mich als Spieler insbesondere in den ersten Rennen enorm. Dabei ist es wenig hilfreich, ohne dynamische Ideallinie auf den Rundkursen unterwegs zu sein. Auch hätte dem Spiel ein Tutorial zu den wichtigsten Einstellungen am Auto gut getan, um so auch weniger versierte Spieler besser in die Welt des Motorsports integrieren zu können.

Selten war eine Fahrphysik derart realistisch abgebildet wie hier. Entsprechend werden Fehler hart bestraft, sodass der Schwierigkeitsgrad hoch und die Lernkurve möglicherweise zu fordernd sind. Die überarbeitete Gamepad-Steuerung sowie die angepasste KI machen es absoluten Beginnern dennoch schon wesentlich leichter, in die Motorsportwelt abzutauchen, als noch zu Release. Visuell muss sich Assetto Corda deutlich hinter dem kürzlich veröffentlichten F1 2016 einordnen und wer eben mal nur kurz eine Runde fahren möchte, ist dort ohnehin besser aufgehoben. Erst nach einiger Einarbeitungszeit lässt sich die vielleicht beste und am ehesten realistische Fahrphysik auf Konsolen wirklich genießen. Hier spielt Assetto Corsa aber in einer eigenen Liga und lässt selbst Rennspielveteranen ins Schwitzen kommen.

Sehr löblich: Die Entwickler bemühen sich, nah mit der Community zusammenzuarbeiten, und haben mit dem kürzlich erschienenen Patch gezeigt, dass sie das Spiel weiter auf die richtige Bahn lenken wollen. Wenn die Jungs hier am Ball bleiben und weiterhin Bonus-Content nachschieben, bietet sich Assetto Corsa durchaus als Alternative zu anderen Genre-Vertretern auf Konsolen an. Das gilt ebenso für Simulationspuristen wie Anfänger, wenngleich letztere sich erst einmal durch die harte Lernkurve kämpfen müssen. Umso größer sind aber die Glücksgefühle, wenn eine fehlerfreie Runde oder die Bestzeit unterboten wird.

Besonders gut finde ich ...
  • fantastisch realistische Fahrphysik
  • Strecken wurden mit Laser gescannt
  • klasse Motorensounds
  • hübsch nachempfundene Fahrzeuge
  • kostenloser Bonus-Content
  • Zusammenarbeit mit der Community, um an Fehlern zu arbeiten
Nicht so optimal ...
  • unausbalancierte Karriere
  • keine dynamische Ideallinie
  • keine Zwischensequenzen
  • keine Tutorials oder Erklärungen zu Einstellungen
  • teilweise nervige Bildrateneinbrüche
  • keine privaten Lobbys im Online-Modus
  • gerade einmal 16 Strecken
  • sehr trockene Inszenierung der Rennen
  • statische KI, die gerne Unfälle provoziert

Kevin hat Assetto Corsa auf der PlayStation 4 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Kunos Simulazioni zur Verfügung gestellt.

Assetto Corsa - Boxart
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  • Entwickler:Kunos Simulazioni
  • Publisher:Kunos Simulazioni
    505 Games
  • Genre:Rennsimulation
  • Plattform:PC, PS4, Xbox One
  • Early Access:08.11.2013
  • Release:19.12.2014
    (PS4, Xbox One) 25.08.2016