Cuphead - Review

Mehr als drei Jahre habe ich auf Cuphead gewartet - und nun, da ich es zuhause auf meinem PC spielen konnte, war es bereits nach etwa sieben Stunden vorbei. Für ein Spiel, das sich abseits einer Handvoll an Jump'n'Run-Levels nur um Bosskämpfe dreht, ist das trotzdem ein stolzer Wert, zumal Cuphead von einem kleinen zweiköpfigen Team erdacht wurde. Chad und Jared Moldenhauer und ihr Studio MDHR haben aber nicht nur einen tollen Bosskampf-Marathon kreiert, sondern auch etwas, das in dieser Form fast einzigartig ist: einen spielbaren Cartoon im Stile der 30er Jahre.

Cuphead erzählt die Geschichte zweier Tassen - Cuphead und Mugman -, die sich im Casino von Erfolgsträumen blenden lassen und einen ganz schlechten Deal mit dem Teufel eingehen: Um ihre Schulden zurückzuzahlen, müssen sie dem gehörnten Casino-Besitzer die Seelen all seiner Schuldner erbringen. Das wars eigentlich schon, denn viel mehr zu erzählen gibt es bis zum Ende hin nicht. Und das ist auch völlig okay so, denn in bester Oldschool-Cartoon-Manier bilden die kurzen und reduzierten Standbild-Sequenzen einen passenden Rahmen, der das eigentliche Geschehen in einen liebevoll inszenierten Kontext setzt. Micky-Maus-Cartoons hat man sich damals wie heute schließlich auch nicht wegen der Geschichte angeschaut. So ist das auch bei Cuphead.


Cuphead
Das war kein guter Deal: Der Teufel verlangt, dass ihm Cuphead und Mugman die Seelen seiner Schuldner erbringen.


Pakt mit dem Teufel



Wie kommen Cuphead und Mugman an die Seelen der Schuldner? Klar: indem sie sie zum Kampf herausfordern - und im Optimalfall auch bezwingen. Dass das nicht ganz so einfach ist, wie es sich zunächst anhört, war ja schon im Vorfeld groß thematisiert worden und habe ich auch schon einige Male auf der gamescom in Köln feststellen dürfen, als ich mir an den Demo-Bossen regelrecht die Zähne ausgebissen habe. Heute, nach dem Durchspielen, kann ich aber Entwarnung geben: Cuphead ist bei weitem nicht so verteufelt schwer, wie man das überall liest. Wer in der Vergangenheit schon ein bisschen Erfahrung mit einigen etwas anspruchsvolleren Platformern gesammelt hat und sich ein wenig im Bullet-Hell-Genre auskennt, der braucht und sollte sich von Cuphead nicht einschüchtern lassen. Klar: Einfach ist das Spiel trotzdem nicht. Aber das Tutorial, der nicht-lineare Level-Verlauf und der sekundenschnelle Level-Neustart sind nützliche Komfort-Funktionen, die perfekt auf das Spielgeschehen vorbereiten und dafür sorgen, dass man auch nach ein, zwei, fünf, zehn oder zwanzig schmerzhaften Niederlagen stets das Gefühl hat: Ein Versuch geht noch. Irgendwann ist auch die härteste Nuss geknackt - sei es nun der Clown in der Achterbahn oder die tanzende Sonnenblume im Vorgarten. Und sollte man doch einmal an einem Boss oder Level verzweifeln, ist das auch kein Problem - dann versucht man sich eben erst an einem anderen oder schaltet für diesen einen Kampf in den Einfach-Modus.

Der Trick, um Cuphead zu beherrschen, ist dabei erstaunlich simpel. Denn streng genommen funktioniert jeder Kampf gleich: Man startet das Level, stürzt sich kopfüber in das Duell, weicht so gut wie möglich den Angriffen aus und versucht, sich die Muster des jeweiligen Endgegners einzuprägen - bis man ihm so viel Schaden zugefügt hat, dass der Kampf in die nächste Phase übergeht. Ist die letzte Phase vorbei, heißt es Lebewohl für den Schuldner und man darf seinen wohlverdienten "Soul Contract" begutachten; je nachdem, wie gut man gespielt hat, gibt es vorher noch einen Ergebnisbildschirm mit einer Bewertung. Das, was ich gerade geschrieben habe, bedeutet aber auch: Kein Boss in Cuphead ist ein "Rätsel" oder erfordert erst einmal eine bestimmte Strategie. Cuphead ist Arcade-Action pur, bei der man permanent auf den Widersacher drauflosballert, bis er sich endlich seinem Schicksal ergibt. Stumpfes Auswendiglernen bringt allerdings nichts, denn welche Angriffe der Boss zu welcher Zeit auspackt, wird zufällig entschieden - eine gute Lösung, die auch das erneute Spielen von Bosskämpfen spannend macht.


CupheadCuphead
Die Schuldner rücken ihre Seelen nicht freiwillig heraus - dafür muss man sie erst einmal im Kampf besiegen.


Shoppen, Schießen, Springen, Sterben



Je nach gewählter Ausrüstung und Waffe ändert sich auch die Art, wie man an Kämpfe herangeht. Denn Cuphead und Mugman schießen nicht nur mit dem Standard-Peashooter in die acht Richtungen, sondern können auch eine zweite Waffe anlegen - zwischen beiden kann man dann jederzeit intuitiv per Knopfdruck wechseln. Und sie können pinke Projektile parieren, wodurch sich gleichzeitig eine Spezialleiste auflädt, mit der man einen verheerenden Super-Angriff feuern kann. Wer es ganz einfach will, kauft sich bei Porkrind den "Chaser", eine Dauerfeuerwaffe mit automatischer Zielsuche, muss dann aber mit etwas geringerer Schadenswirkung auskommen und dementsprechend länger überleben - umgekehrt teilt die Waffe "Spread" deutlich kräftiger aus, trifft jedoch nur auf kurze Entfernung. Durch den Wechsel zwischen beiden Waffenslots gewinnen die Kämpfe enorm an Dynamik, da man sich ständig hin und her bewegt, um auszuweichen und die beste Position für einen eigenen Treffer zu finden.

Großartig ist nicht nur das Design der Bosse (und generell des ganzen Spiels), in das ich mich schon damals im allerersten Trailer verliebt habe und das eigentlich gar keiner Worte mehr bedarf, sondern auch die Entwicklung über den Kampf, also der Übergang zwischen den einzelnen Phasen. Ich will nicht zu überschwänglich klingen, aber was Studio MDHR alles an Kreativität und Ideen schon in einen einzigen Bosskampf buttern, ist eine Klasse für sich. Wir reden hier nicht einfach nur von Gegnern, die in der zweiten Phase plötzlich wütend werden, zusätzlich Feuer spucken oder ein wenig wachsen - hier verändert sich der komplette Kampf, teilweise tritt man gegen einen völlig neuen Feind an. Im Gemüsebeet muss man erst eine Kartoffel erledigen, dann eine heulende Zwiebel, deren schwere Tränen als tödliche Geschosse vom Himmel fallen; in der letzten Phase bricht eine Psycho-Karotte mit rotierenden Augen aus dem Boden, die mit Gedankenwellen auf Cuphead und Mugman schießt. Woanders darf man einen Roboter Stück für Stück in seine Einzelteile zerlegen oder den Niedergang eines Vogels erleben, der in seiner Wut alle seine Federn abwirft und schlussendlich nur noch als trauriges Hühnchen auf einer Krankentrage liegt. Die Vielfalt ist groß und in jedem einzelnen Kampf stecken viel Liebe zum Detail und kreative spielerische Einfälle. Über die exzellente Animation, die mit ihren kräftigen Farben und Filtern perfekt den Charme alter Cartoons repliziert, brauche ich an dieser Stelle kaum noch lobende Worte verlieren - schaut euch einfach die Screenshots im Artikel oder den unten eingebetteten Trailer an. So schön.


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Zwischen den Bosskämpfen gibt es hin und wieder auch kleinere Platforming-Levels wie diese.


Klassische Platforming-Levels sorgen für Auflockerung



Aber es gibt ja nicht nur Bosse: In immerhin sechs kleineren Platforming-Levels muss man sich auch von links nach rechts wie in einem klassischen Sidescroller durch mit Gegnern und Fallen gespickte Hindernis-Parcours kämpfen und auf dem Weg möglichst die fünf Münzen einsammeln, mit denen man bei Porkrind einkaufen kann. Ich will nicht sagen, dass diese "klassischen" Levels schlecht sind, aber gegenüber den großartigen Bosskämpfen fallen sie für meinen Geschmack teilweise doch recht stark ab. Sie sind auch diejenigen Kapitel, in denen ich vermutlich die meisten Tode verzeichnen musste, denn gerade das Hafen-Level hat mich einiges an Zeit und Kraft gekostet - und ja, nach jedem Tod, egal an welcher Stelle, muss man ganz von vorne beginnen. Als auflockernde Abwechslung zu den Bossen erfüllen sie ihren Zweck, aber ich bin doch froh, dass es nicht zu viele von ihnen gibt.

Mein größtes Problem mit Cuphead sehe ich eigentlich nur bei der Spielzeit, die mit knapp sechs bis sieben Stunden zwar für den Preis und das kleine Team schon angemessen ist, angesichts des tollen Designs und dem Spaß, den ich mit dem Spiel hatte, aber auch noch etwas länger hätte sein können - so bleibt es bei gerade einmal drei Welten und einem coolen, wenngleich zu kurzen Finale. Zwar könnte ich mich nun noch daran versuchen, in jedem Level den Rang S zu erreichen bzw. meine eigenen Highscores zu schlagen, aber wirklich motivieren konnte mich das nicht mehr. Ich wünsche mir sehr, dass Studio MDHR nach dem durchschlagenden Erfolg von Cuphead an DLC oder gar einem Nachfolger arbeiten - das Ende deutet zumindest die Möglichkeit eines weiteren Abenteuers mit den beiden Tassenköpfchen an. Eine kleine Anekdote am Rande: 207 Tode bin ich auf dem Weg zu den Credits gestorben. Noch interessanter wäre aber eine Statistik gewesen, um zu sehen, welches Level mich wie viele Versuche gekostet hat. Wenn ich zurückdenke, bin ich sicher, dass dieser fiese Clown weit oben stehen würde ...



Tim

Fazit von Tim:

Cuphead ist ein wunderbares Kleinod im Genre der Arcade-Platformer und ein Muss für jeden, der - wie ich - nicht genug von Bosskämpfen in Spielen bekommen kann. Der fantastische Stil ist so gelungen, dass Bilder und Videos für sich sprechen und ich gar keine weiteren Worte darüber verlieren möchte - so schön ist das Spiel geworden. Dabei darf man auch den jazzigen Soundtrack nicht vergessen, der gemeinsam mit der Animation erst für die richtige Cartoon-Atmosphäre sorgt. Das Debütwerk von Chad und Jared Moldenhauer und ihrem neu gegründeten Studio MDHR ist ein echter Hit - und entgegen der verbreiteten Ansicht auch nicht so schwer, wie es geredet wird. Ich kann jedem nur empfehlen, sich diese kleine Download-Perle zuzulegen und selbst mit Cuphead und Mugman auf die Jagd nach "Soul Contracts" zu gehen - egal ob alleine oder zu zweit. Hoffentlich machen Studio MDHR mit einer Fortsetzung weiter.

Cuphead sieht toll aus, klingt fantastisch und spielt sich darüber hinaus auch richtig gut, ohne jemals zu schwer oder unfair zu werden. Das Debütwerk von Studio MDHR ist ein Hit - dem es am Ende nur an etwas mehr Content mangelt.

Besonders gut finde ich ...
  • fantastische Präsentation mit charmanter Cartoon-Optik
  • perfekt getroffenes Design aller Bossgegner und Figuren
  • Bosskämpfe verändern sich stark über mehrere Phasen
  • motivierendes Arcade-Gameplay mit freier Tastenbelegung
  • angenehm anspruchsvoll, ohne wirklich unfair zu werden
  • sowohl alleine als auch lokal zu zweit im Koop spielbar
  • toller Oldschool-Jazz-Soundtrack von Kristofer Maddigan
Nicht so optimal ...
  • momentan nur in englischer Sprache verfügbar
  • Spielzeit könnte noch einen Tacken länger sein
  • seltene Momente, in denen man nicht ausweichen kann

Tim hat Cuphead auf dem PC gespielt.
Das Spiel für diese Review wurde von Tim selbst erworben.

Cuphead - Boxart
  •  
  • Entwickler:StudioMDHR
  • Publisher:StudioMDHR
  • Genre:Arcade-Action
  • Plattform:PC, PS4, Xbox One, Switch
  • Release:29.09.2017
    (Switch) 18.04.2019
    (PS4) 28.07.2020

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: HerrBeutel, CookieMonster, ATeC, Evoli ... und 6 Gästen.
  • ATeC
    #1 | 10. Oktober 2017 um 23:18 Uhr
    sehr schicke review danke dafür  
  • Philipp
    #2 | 11. Oktober 2017 um 12:18 Uhr
    Bin ja leider noch nicht ganz durch, kann mich aber nur anschließen: Schöne Review zu einem wundervollen Spiel. Empfinde es auch als "knackig", aber nicht "unschaffbar". Ich hoffe sehr, das Ding ist für die beiden Schöpfer erfolgreich  

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