Lost Sphear - Review

Ein gewollt angestaubtes Spieldesign ist die eine Sache. Ein unterhaltsames Spiel ist die andere. Nachdem das allenfalls durchschnittliche I Am Setsuna mich und die Spielerschaft, die lange auf ein solches Oldschool-JRPG gewartet haben, etwas verärgerte, möchten die Tokyo RPG Studios mit Lost Sphear alles besser machen und bedienen sich hierfür weiterhin bei Chrono Trigger & Co. Geboten wird dabei eine durchaus interessante Story mit mehreren Twists, doch stellt sich die Frage, ob die Hommage an längst vergangene Zeiten diesmal auch abseits dessen wirklich gelungen ist?

Stellt euch vor, ihr seid Freitagabend mit euren Freunden unterwegs und lasst es mal wieder richtig krachen. Beim Aufstehen wird klar, dass ihr einen Filmriss habt und ihr gar nicht genau sagen könnt, was gestern passiert ist. Kommt euch bekannt vor? Gut, denn dann könnt ihr euch bestens in Kanatas Situation einfühlen. Dem jungen Kerl hat man nämlich auf mysteriöse Art und Weise sein Heimatdorf quasi über Nacht entzogen. Nichts ist mehr da, wo es sein sollte, und hinterlässt auf der Weltkarte buchstäblich einen weißen nichtssagenden Fleck. Klingt schrecklich? Ist es auch, aber Kanata wäre nicht der Held dieses Spiels, wenn er nicht über eine Gabe verfügen würde, die es ihm ermöglicht, aus Erinnerungen, die er zuvor sammeln muss, verlorene Orte, Gegenstände oder sogar Personen wieder zurückzuholen. Es dauert selbstredend nicht lange, bis er und seine Freunde feststellen, dass nicht nur sein Heimatdorf vom mysteriösen Verschwinden betroffen ist. Da man als Abenteurer ohnehin nichts anderes zu tun hat und von Kanatas Mutter noch jede Spur fehlt, machen er und seine Freunde sich auf in die große weite Welt, um dem Ursprung allen Vergessens auf den Grund zu gehen.


Lost Sphear
Im Kampf gegen das Vergessen ist akribische Arbeit gefordert, um "verlorene" Gebiete wiederherzustellen.


Eine Story zum Vergessen



So interessant das Spielkonzept mit den verlorenen Erinnerungen auch klingt, so schnell verliert es seinen Reiz. Spätestens wenn vor euch ein fetter weißer Felsbrocken liegt, der wiederhergestellt werden soll, um nur einige Sekunden später wieder zerstört zu werden, erfragt sich die Sinnhaftigkeit des Konzeptes. Hinzu kommt, dass sich die Hatz als fürchterlich zäh erweist und schon nach wenigen Spielstunden die Luft raus ist. Fehlende Reminisz?nzen sammelt man durch das Besiegen von Monstern oder Dialogen mit den Dorfbewohnern. Die einzufangende Erinnerung ist in den Textboxen, über welches das Spiel die Story ausschließlich erzählt, markiert und mittels Knopfdruck auf einfachem Weg einzufangen. So vergeht dann schon mal Stunde um Stunde mit langweiligen, ausufernden und äußerst nervigen Dialogen oder wahlweise Kämpfen gegen die immer gleichen Gegner. Dabei wird die ohnehin sehr eindimensional erzählte Story um das Imperium, den sogenannten "Verlorenen" und Kanatas Suche nach seiner Mutter vorangetrieben, indem alles immer den gleichen Abläufen folgt. Oft weiß man schon gefühlte zehn Textboxen im Voraus, welcher Ort oder Charakter als nächstes anzusteuern ist.

Lost Sphear inszeniert einen ewigen und immergleichen Kreislauf: "Suche Person XY, um ein Gespräch zu führen, die kurz vor dem Auffinden natürlich in ein anderes Dorf verschwindet. Kämpfe gegen Monster XY und beachte, dass es im folgenden Dungeon natürlich sehr gefährlich sein kann." Das Schema wiederholt sich über die viel zu lange Spielzeit von 20 Stunden so oft, dass ich schon nach drei Stunden nahezu die Lust verloren habe. Darüber täuschen auch die viel belebteren Dörfer, die nun etwas individueller und abwechslungsreicher aufgebaut sind als noch im geistigen Vorgänger, nicht hinweg. Es entgeht auch nicht, dass durchweg die gleichen Assets verwendet wurden und die zahlreichen Dorfbewohner wohl dem Klonlabor von Albert Wesker entsprungen sind. Entsprechend muss der Geduldsfaden, der benötigt wird, um den überaus zähen Einstieg zu überleben, extrem stark sein. Wer dann noch mit klischeebehafteten Protagonisten, die sich moralisch selbstverständlich immer einwandfrei verhalten, leben kann, darf sich auf zumindest ganz unterhaltsame Kämpfe einstellen.


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Die Suche nach Dorfbewohnern gehört oft zu den nervigsten Aufgaben.


Überladenes Kampfsystem für Taktikfüchse



Diese laufen in bester JRPG-Manier ab und folgen dem Active-Time-Battle-Mode, der aus Spielen wie dem legendären Final Fantasy VI oder Chrono Trigger bekannt sein dürfte. Kanata und seine Mitstreiter verfügen über einen Aktionsbalken, der sich mit der Zeit füllt. Ist jener bis zum Anschlag voll, kann ich mich zwischen einem normalen physischen Angriff, einer erlernbaren Spezialfähigkeit oder dem simplen Nutzen eines Items entscheiden. Charaktere, deren Leiste sich durch verschiedene Attributssteigerungen schneller füllt, kommen somit öfter zum Zug und lassen Taktikern genug Raum, um Angriffe ausgeklügelt zu planen. Besonders gut gefällt mir außerdem, dass man jeden Mitstreiter frei auf dem Kampffeld bewegen kann, sodass bei Fernkämpfern mit der richtigen Positionierung gut und gerne mal fünf Gegner gleichzeitig angegriffen werden können. Das macht Laune und wirkt deutlich dynamischer als die starren Rundenkämpfe in I Am Setsuna. Für jeden Sieg werde ich natürlich mit Erfahrungspunkten, Geld und Items belohnt. Die hart verdienten Taler können dann bei Händlern in neue Waffen und Rüstungen investiert werden, wenngleich klar sein sollte, dass man die besten Waffen nur in abgelegenen Ecken findet.

Neben den bekannten Aktionsmöglichkeiten im Kampf können Attacken gegen den Gegner zusätzlich durch das Drücken der Angriffstaste im richtigen Moment verstärkt werden. Hierfür muss aber zunächst der Momentummodus aufgeladen sein. Die Integration des Features ist den Tokyo RPG Studios allerdings nicht gut gelungen: Oft genügt schon das mehrmalige Betätigen der Angriffstaste vor dem eigentlichen Zeitfenster oder aber getätigte Eingaben werden gar nicht erst erkannt. Entsprechend verkommt diese Option also eher zu einer lästigen Pflicht, die mich als Spieler gefühlt aus dem Kampfgeschehen rausreißt.


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Auch Charaktere, die nicht am Kampf beteiligt sind, erhalten stets Erfahrungspunkte.


Die einsetzbaren Spezialfähigkeiten können zudem durch die aus dem spirituellen Vorgänger bekannten Spritnites erweitert werden. Van, einer der Fernkämpfer, kann so seine Attacke "BLA" mit besonderen Buffs koppeln und sich selbst oder andere Gruppenmitglieder für den Kampf zusätzlich unterstützen. Gekämpft wird im Übrigen meist in Vierergruppen, die sich jederzeit durchwechseln lassen und somit freien Raum für taktische Finessen bieten, welche gegen die teilweise doch ziemlich schweren Bossgegner notwendig sind. Wer dann doch mal Probleme bekommen sollte, kann wahlweise in die sogenannten Vulcosuits steigen, eine Art robuster Kampfanzug mit weiteren verfügbaren Spezialfähigkeiten. Diese garantieren meist den Sieg, sind aber nur für eine bestimmte Dauer verwendbar.

Bei aller Liebe zu diesen Features und Kampfvariationen: Dem Spiel hat man damit keinen Gefallen getan. Es fehlt an Erklärungen, wie die verschiedenen Möglichkeiten wirklich sinnvoll genutzt werden sollen und um es ehrlich auf den Punkt zu bringen: Kein Mensch braucht so viele verschiedene Möglichkeiten, um die immer gleichen Gegner zu besiegen. Meist reichen die perfekte Positionierung und vorausschauendes Handeln aus, um den Sieg mit nach Hause zu nehmen. Die Menüs wirken zudem extrem überladen und unübersichtlich, sodass ich es aufgegeben habe, nach immer neuen Variationen zu suchen. Schade eigentlich, denn hier hätte man mit dem Suchen der Artefakte auf der Weltkarte viel Potenzial gehabt, den Forscherdrang zu wecken - vielleicht beim nächsten Mal.


Kritikpunkte aus dem Vorgänger vorbildlich entfernt



Bei allen negativen Aspekten hat sich gegenüber I Am Setsuna natürlich auch einiges verbessert. Während man die Gruppe stets über die wesentlich abwechslungsreichere Weltkarte - endlich kein Schnee mehr! - steuert, bleiben Zufallskämpfe weiterhin aus. Die Gegner sind nur in den Arealen sichtbar und können teilweise sogar umgangen werden. Durchaus hilfreich kann das werden, wenn euch die Story bereits zum gefühlt fünften Mal durch das gleiche Gebiet lotsen möchte. Ferner gibt es nun eine Schnellspeicheroption, die es ermöglicht, jederzeit an jedem Ort zu speichern. Und wenn die endlosen Dialoge nicht mehr zu ertragen sind, kann man diese mittels Knopfdruck einfach überspringen.

Viel zu entdecken gibt es neben den Artefakten auf der Weltkarte, die zusätzliche Features im Kampf freischalten, nicht. Die leere Welt, untermalt von den weniger melancholischen Klängen aus der Feder von Tomoki Miyoshi, ist ebenso austauschbar wie das Setting des gesamten Spiels. Leider hat es die Tokyo RPG Factory für meinen Geschmack verpasst, mehr aus dem eigentlichen Anspruch zu machen.



Predator

Fazit von Kevin:

Wenn Lost Sphear eines geschafft hat, dann wohl, dass ich es relativ schnell wieder vergessen werde. Das Spiel hat sich zwar im Vergleich zu I Am Setsuna verbessert und bietet nun abwechslungsreiche und schönere Gegenden, das Kampfsystem weiß durchaus zu unterhalten und auch die Schnellspeicherfunktion bietet einiges an Komfort. Dennoch werde ich mit dem Titel immer das fast schon unverschämte Backtracking, die langen Dialoge und die eindimensionalen Charaktere verbinden, die es mir schwer machen, mich würdig an das Spiel zu "erinnern". Vielleicht klappt es beim nächsten Mal und dann beim dritten Anlauf besser.

Lost Sphear macht zwar einiges besser als der spirituelle Vorgänger I Am Setsuna, kann aber durch Längen und eine schwache Erzählweise nicht vollends überzeugen.

Besonders gut finde ich ...
  • Schnellspeichersystem
  • abwechslungsreiche Gegenden
  • deutsche Texte
  • dynamisches Kampfsystem
  • Überspringen der Dialoge möglich
Nicht so optimal ...
  • nerviges Backtracking
  • lange, teils nervige Dialoge
  • Menüs arg unübersichtlich
  • schnell abgenutztes Spielkonzept
  • eindimensionale Erzählweise
  • platte Charaktere
  • vorhersehbare Twists

Kevin hat Lost Sphear auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Square Enix zur Verfügung gestellt.

Lost Sphear - Boxart
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  • Entwickler:Tokyo RPG Factory
  • Publisher:Square Enix
  • Genre:Rollenspiel
  • Plattform:PC, PS4, Switch
  • Release:23.01.2018

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: Evoli ... und 3 Gästen.
  • Tim
    #1 | 17. Februar 2018 um 14:22 Uhr
    Ich finde ja, dass Lost Sphear genauso billig und generisch aussieht wie I Am Setsuna. Deren Studionamen (Tokyo RPG Factory) nehmen die wohl echt wörtlich. Aber hey, immer noch besser als das Remake von Secret of Mana ..

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