Xenoblade Chronicles 2 - Review

Nach weit über 100 Stunden Spielzeit hatte ich mit der Welt von Alrest schon abgeschlossen - und nun finde ich mich doch abermals auf den grünen Wiesen von Gormott wieder, jage Monstern hinterher und steige Stufe für Stufe mit meinen Drivern und Blades im Level auf. Mit Torna - The Golden Country erweitern Nintendo und Monolith Soft Xenoblade Chronicles 2 um ein neues Kapitel, das die Geschichte erzählt, die sich 500 Jahre vor dem dem Hauptspiel zugetragen hat - obwohl wir die Story um Lora und Jin eigentlich schon kennen. Lohnt sich die Zeitreise trotzdem?

Kurz und knapp: Ja. Denn diese Zeitreise in die Vergangenheit von Alrest überliefert nicht nur neue Facetten und Charakterzüge bereits bekannter Figuren wie Lora, Jin und Mythra; sie erzählt auch neue Geschichten, die die Story des Hauptspiels teilweise in anderem Licht erscheinen lassen. Und was vielleicht das Wichtigste von allem ist: Torna - The Golden Country entführt in über 20 Stunden Spielzeit auch auf einen völlig neuen Titanen und krempelt das Spiel strukturell bisweilen so stark um, dass sich das Hauptspiel danach fast schon wie der eigentliche DLC anfühlt. Egal ob ihr Xenoblade Chronicles 2 schon gespielt habt oder in Torna - The Golden Country eure ersten Schritte in die weite Welt von Alrest setzt: Wenn ihr auch nur ein bisschen etwas übrig habt für klassische Rollenspiele aus Japan, dann seid ihr hier, in bester Anlehnung an den Titel formuliert, gold-richtig.


Xenoblade Chronicles 2
Jin und Malos trafen schon 500 Jahre vor den Geschehnissen von Xenoblade Chronicles 2 aufeinander - als Feinde.


Eine neue Perspektive auf die Geschichte, die vor 500 Jahren geschah



Torna - The Golden Country erzählt die Geschichte des "Great Aegis War", der sich 500 Jahre vor den Geschehnissen des Hauptspiels zugetragen hat. Damals waren Rex, Nia & Co. freilich noch gar nicht auf der Welt - dafür trifft man aber auf viele andere alte Bekannte, die durchaus schon viele Jahrhunderte auf dem Buckel haben. Neben dem Quaestor Amalthus und natürlich einigen Blades wie Jin, Brighid oder Aegaeon sind das vor allem die Aegis' Mythra und Malos. Die beiden sind besonders mächtige Blades, deren Macht derartige Ausmaße annimmt, dass im Rahmen des "Aegis War" ganze Titanen - also Kontinente in der Welt von Alrest - zerstört wurden. Wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte, erfährt man im Verlauf der Story, wobei Kenner auch viele andere Erzählstränge mit den Ereignissen aus Xenoblade Chronicles 2 verbinden können.

Falls ihr euch gefragt habt, wieso Jin und Malos 500 Jahre später plötzlich zusammenarbeiten, was es mit dem mysteriösen Mikhail auf sich hatte oder was für ein Typ dieser "Addam", Mythras ehemaliger Driver, eigentlich war - dann findet ihr in dieser Standalone-Erweiterung eure Antworten. Die Geschichte arbeitet kontinuierlich auf ein Ende hin, das man als Veteran natürlich schon kommen sieht, das mich am Ende aber doch emotional mitgenommen und fast schon melancholisch gestimmt hat. DLC-Dasein hin oder her: Qualitativ - gerade in Hinsicht auf die Erzählung - steht Torna - The Golden Country dem Hauptspiel in nichts nach und geht für mich fast schon als ein eigenständiges Spiel durch, das sich nicht nur für Veteranen absolut lohnt.


Xenoblade Chronicles 2Xenoblade Chronicles 2
Malos ist ein hervorragend gezeichneter Antagonist und wäre ein guter Kandidat für Super Smash Bros. Ultimate.


Die Früchte monatelanger Arbeit



Mit dem Release im Dezember des vergangenen Jahres war die Entwicklung von Xenoblade Chronicles 2 für Monolith Soft längst nicht abgeschlossen. Seitdem hat sich verdammt viel getan - mittlerweile ist das Spiel schon bei Version 2.0.0 angekommen und wurde über die Monate um neue Inhalte, jede Menge seltene Blades, neue Quality-of-Life-Updates und Komfort-Funktionen erweitert. All diese Feinarbeit hat ihre Spuren hinterlassen und aus Xenoblade Chronicles 2 ein noch besseres Spiel gemacht. Und das sieht man auch an Torna - The Golden Country, das sogar noch ein paar Schritte weiter geht und einige Grundpfeiler des Hauptspiels komplett auf den Kopf stellt. Dadurch fühlt es sich angenehm anders an - und oft sogar noch eine Ecke besser.

Wenn es eine Sache gibt, das ich an diesem packenden, einnehmenden JRPG-Epos nicht leiden konnte, dann war es das an Lootboxen erinnernde Core-Crystal-System. Zur Erinnerung: In der Welt von Alrest gibt es sogenannte "Driver" und "Blades". Blades sind eine Art lebendige Waffen in Gestalt von Menschen, Tieren oder Monstern, mit eigener Persönlichkeit und Hintergrundgeschichte, die wiederum von den Drivern - etwa Rex aus dem Hauptspiel oder Lora aus der Erweiterung - kontrolliert werden. Blades sind quasi unsterblich und kehren nach dem Tod ihres Drivers in ihren "Core Crystal" zurück, wobei sie alle ihre Erinnerungen verlieren und dann von einem neuen Driver durch Berühren des Kristalls wiedererweckt werden.


Xenoblade Chronicles 2
Nanu? Ist das nicht Jin im Mittelpunkt? Ja, denn in Torna - The Golden Country kann man im Kampf auch Blades steuern.


Endlich ist Schluss mit dem Lottospielen



Diese Verbundenheit zwischen Mensch und Blade ist dabei nicht nur Mittel zum Zweck für das Kampfsystem, sondern auch fundamentale Basis für viele der Beziehungen, die sich im Laufe der Geschichte entwickeln, und die Erklärung dafür, warum einige Blades das tun, was sie tun. Es geht um Verrat, Treue, Loyalität, Freundschaft und auch Liebe zwischen Driver und Blade - das sind spannende und ethisch interessante Themen, mit denen sowohl das Hauptspiel als auch die Erweiterung intelligent umgehen. Aber Xenoblade Chronicles 2 hatte die Core Crystals auch für eine Art Lottosystem verwendet und mich damit oft an den Rand des Wahnsinns getrieben, wenn aus einem seltenen legendären Kristall wieder mal eine gewöhnliche Wegwerf-Blade geschlüpft war. Das ist in Torna - The Golden Country vorbei: Hier gibt es genau drei Driver mit jeweils zwei festen Blades - die allesamt aktiv spielbar sind. Eine radikale Abkehr vom offenen Gruppen-System von zuvor, aber eine, die mir richtig gut gefällt.

So steuert man fortan nicht nur den Driver selbst, der durch die jeweils aktive Blade verschiedene Fähigkeiten erhält; dieses Mal kann man sowohl den Driver, zum Beispiel Lora, als auch seine Blades, in diesem Fall Jin und Haze, direkt lenken und befehligen.

Was zuerst wie eine Vereinfachung klingt (es gibt schließlich nur noch zwei Blades), wird jedoch erst dadurch richtig interessant, dass auch das Positionsspiel eine neue Dimension gewinnt. Denn nun gibt es einen Angreifer und einen Unterstützer, die gemeinsam im Kampf agieren und je nach Position andere Skills zur Verfügung haben. Im Gefecht wechselt man also regelmäßig zwischen Rollen, Blades und Driver, kettet wie schon im Hauptspiel Elemente aneinander, versucht, Feinde durch clevere Combos zum Taumeln und zum Umfallen zu bringen und entfesselt mächtige Angriffsketten und Spezialattacken. Das komplette Kampfsystem zu erklären, das erspare ich mir an dieser Stelle und verweise zum einen nochmal auf meine Review zu Xenoblade Chronicles 2 und fasse zum anderen kurz und knapp zusammen: Die Kämpfe machen riesigen Spaß, sind ansprechend komplex und gewinnen über die Zeit nur an Tiefe hinzu. Egal ob man kleine Turkins oder große Tyrants herausfordert - selbst nach über 20 Stunden entdeckt man noch neue Techniken und Möglichkeiten. Apropos: "Entdecken" ist ein gutes Stichwort ...


Xenoblade Chronicles 2Xenoblade Chronicles 2
Neben dem grünen Gormott ist in der Erweiterung mit dem Titan Torna auch ein brandneuer Kontinent erkundbar.


Torna, das goldene Land



Was wäre ein Spiel mit dem Namen "Xenoblade" im Titel ohne eine große, erkundbare Welt mit verborgenen Schätzen, versteckten Arealen und gigantischen Landschaften mit markanter Flora und Fauna? Natürlich hält sich Torna - The Golden Country auch hier nicht zurück: Zwar sind mit Torna und Gormott "nur" zwei weitläufige Titanen erkundbar und ist letzterer schon bekannt, aber alleine Torna bietet mit vier riesigen, offenen Abschnitten und einer großen Hauptstadt jede Menge zu tun.

Dabei führt das Abenteuer Lora, Addam und Hugo nicht nur durch grüne Wiesen und Wälder, sondern auch durch eine Wüste und finstere Höhlen. Einplanen sollte man etwa 20 Stunden für die Hauptstory und weitere 15-20 für Geheimnisse, einzigartige Monster und Nebenmissionen - wobei Torna - The Golden Country euch allerdings gleich an zwei Punkten in der Geschichte dazu zwingt, ein Mindestpensum an Sidequests zu erledigen, bevor man die Handlung fortsetzen darf. Da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch so gut wie keine auf meinem Konto hatte, durfte ich also erstmal um die 20 Nebenmissionen abarbeiten. Ganz schön mühselig - aber dank einem recht gelungenen Questdesign mitsamt amüsanter Geschichten auch nicht so schlimm, wie ich zunächst befürchtet hatte. Trotzdem kann ich jedem nur raten, im Laufe der Story schon von sich aus die eine oder andere Sidequest zu erfüllen, bevor ihr - wie ich - vor verschlossenen Türen steht und euch nur damit beschäftigen müsst.



Tim

Fazit von Tim:

Eigentlich hatte ich nur mehr vom Gleichen erwartet - und das wäre nach der wunderbaren Zeit, die ich mit Xenoblade Chronicles 2 hatte, auch mehr als genug gewesen. Aber Monolith Soft sind nicht nur einen, sondern gleich mehrere Schritte weiter gegangen und erzählen mit Torna - The Golden Country nicht nur eine auch für Kenner überraschend spannende und interessante Geschichte, sondern haben sogar Spieldesign und Kampfsystem umgekrempelt. Es gibt keine Core Crystals mehr - endlich ist Schluss mit dem frustrierenden Lottospielen! Auch die neue Dynamik im Kampf mit dem Wechseln zwischen Drivern und Blades gefällt mir sehr gut. Und allgemein habe ich das Gefühl, dass diese Erweiterung nicht nur spielerisch "runder" ist, sondern sogar die peinlichen Charakter-Designs aus dem Hauptspiel massiv reduziert.

Zwar ärgere ich mich nun über andere Dinge - etwa über den plötzlichen Zwang zu vermeintlich optionalen Nebenmissionen, um in der Story voranzukommen. Und der Kontinent Torna hätte vielleicht auch noch "einzigartiger" sein können, viele Gegenden erinnerten mich an bekannte Landschaften von Gormott und Mor Ardain. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Torna - The Golden Country sowohl als umfangreicher DLC als auch als Standalone-Erweiterung auf ganzer Linie überzeugt - und mir fast noch besser gefallen hat als das Hauptspiel. Wer Xenoblade Chronicles 2 mochte oder zum ersten Mal in die Welt von Alrest eintauchen will, sollte dieses Ticket nach Torna buchen.

Mit Torna - The Golden Country haben Monolith Soft Xenoblade Chronicles 2 um ein umfangreiches Kapitel erweitert, das sowohl Kennern als auch Einsteigern viel bietet und sich spielerisch noch stärker präsentiert als das Hauptspiel.

Besonders gut finde ich ...
  • überarbeitetes, angepasstes Kampfsystem mit mehr Dynamik
  • sowohl Driver als auch Blades sind im Kampf aktiv spielbar
  • ein komplett neuer, großer, frei erkundbares Titan: Torna
  • tolle Geschichte, die die Story des Hauptspiels gut ergänzt
  • sympathische Figuren, gutes Zusammenspiel von Jin und Lora
  • Malos als hervorragender und interessanter Gegenspieler
  • zahlreiche Sidequests, z.T. mehrstufig mit Geschichten
  • ein paar neue Musikstücke auf der Höhe des Hauptspiels
  • Entschlackung: keine Core Crystals und Wegwerf-Blades mehr
Nicht so optimal ...
  • Story bringt keine größeren Überraschungen ans Licht
  • zwei Mal im Storyverlauf Zwang zu Nebenmissionen
  • technisch durchwachsen: Pop-Ups, schlechte Texturen, ...

Tim hat Xenoblade Chronicles 2 auf der Nintendo Switch gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Nintendo zur Verfügung gestellt.


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Xenoblade Chronicles 2 - Boxart
  •  
  • Entwickler:Monolith Soft
  • Publisher:Nintendo
  • Genre:JRPG
  • Plattform:Switch
  • Release:01.12.2017

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