Tropico 6 - Review

Endlich kann ich mir als El Presidente wieder die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Der neueste Teil von Tropico markiert die sechste Inkarnation der Serie und lässt mich ein weiteres Mal über die (Un)Geschicke meines eigenen Eilands richten. Ob Touristenhochburg, Sklavenarbeit, Minenstaat oder Freibeuterfestung: In der brütend heißen Karibik kann ich als alleiniger Herrscher tun und lassen, was ich will ... naja, zumindest fast alles. Den einen oder anderen Wermutstropfen habe ich im Salzwasser dann doch ausmachen können.

Wer schon mal einen der früheren Teile gespielt hat, weiß eigentlich bereits, was hier auf ihn zukommt. Tropico 6 fügt dem bunten Smoothie aus Bananenplantagen, Hotelmanagement und Goldminen noch eine Prise internationalen Charme hinzu und kredenzt diese Tinktur mit dem gewohnten Level-Editor-Sahnehäubchen. Ich exportiere fröhlich draufhin, um meine Staatskasse (und das geheime Konto in der Schweiz) aufzubessern, schicke Spione auf Beutezug, kümmere mich um die Wirtschaft und errichte Monumente meiner Selbst, um den Einwohnern täglich zu zeigen, wer hier der Chef ist. Allerdings fanden sich in dieser Tropen-Idylle auch einige derbe Schnitzer, die mir den Spielspaß durchaus verhagelt haben.


Alles steht und fällt mit El Presidente



Bevor ich mich in den stressigen Alltag meines Alter Egos begebe und das Zepter schwinge, kleide ich den feinen Herrn erst einmal standesgemäß ein. Der Charakter-Editor ist im direkten Vergleich leider deutlich abgespeckt worden und bietet bei weitem nicht die Auswahlmöglichkeiten der Vorgänger. Ein paar Hüte und Oberteile, Bärte, Brillen, Accessoires - das wars dann auch schon. Dies spiegelt sich sowohl in der Auswahl der Klamotten als auch der politischen Ausrichtung wider. In Tropico 5 durfte man seinen Diktator facettenreicher gestalten und auch kleine Charakterzüge formen. Beim sechsten Teil sind diese zu einem großen Oberbegriff zusammengefasst und bieten nur wenige Modifikatoren für den künftigen Herrscher.

Die Kleidung selbst hat übrigens genauso wenig Einfluss auf Statistiken oder Ansehen wie der Palast, den ich erstmalig selbst anpassen darf. Auch hier gibts den Editor wohl nur, damit er da ist. Das freie Verschieben der einzelnen Bausteine ist nicht möglich. Ich darf mir lediglich aussuchen, in welcher Farbe die Fassade meines Prunksitzes erstrahlen soll, ob ich lieber eine Glaspyramide oder einen Garten auf dem Dach haben möchte und ob Fahnen im Hof wehen sollen oder doch lieber Fackeln den Weg erhellen. Schade - hier wurde definitiv Potential verschenkt.


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Ob geschäftige Stadt oder ruhiges Insel-Archipel: Tropico 6 bietet einiges fürs Auge.


Was tut man denn so, als Diktator?



Beim ersten Start von Tropico sehe ich mir gleich die Kampagne an, wenn man sie denn so nennen kann. An und für sich besteht die nämlich nur aus einer Aneinanderreihung von verschiedenen, voneinander losgelösten Szenarien, die den Fokus auf ein Teilgebiet des Gameplays lenken. Mal soll ich eine Touri-Falle aufbauen, mal ist die Insel unfruchtbar und ich muss mich mit den Beutezügen meiner Piraten über Wasser halten. Das alles ist ganz nett und durch einen blassen roten Faden halbwegs miteinander verbunden. Einige Stunden Spielspaß sind durch diese Herausforderungen garantiert. Das Kerngeschäft ist für mich jedoch, wie auch in der Anno-Serie und seinem jüngsten Ableger Anno 1800, der Endlosmodus samt Level-Editor.

Ich kurbele also, genau wie früher, erstmal die Wirtschaft an. Eine Kohlemine da, Bananenplantagen hier, Rinderfarmen dort drüben. Klappt alles problemlos über das Baumenü, welches ich mit der rechten Maustaste oder per Klick auf die Schaltfläche am unteren Bildschirmrand auswählen kann. Gerade zu Beginn werde ich von den zahllosen Reitern, Untermenüs und Optionen förmlich erschlagen. Aber man wächst ja mit seinen Aufgaben und nach ein paar Stunden weiß ich ungefähr, wo welches Gebäude zu finden ist. An welchem Ort ich die jeweilige Produktionsstätte dann am geschicktesten platziere, zeigt mir das farbige Overlay, welches sich über der Karte ausbreitet. Noch ein paar Wohnhäuser und die Grundversorgung ist für meine Inselbewohner gesichert.

Gerade die Kohlen kann ich am Anfang gut gebrauchen, sichern sie mir doch ein verlässliches Handelsmittel und können im weiteren Spielverlauf im Kraftwerk zur Stromgewinnung genutzt werden - zwei Fliegen mit einer Klappe. Was Entwickler Limbic Entertainment etwas geschickter hätte lösen können, ist das multiple Bauen. Um mehrere Wohnhäuser der gleichen Art setzen zu können, muss ich beim Klicken Shift gedrückt halten, sonst springe ich nämlich wieder aus dem Menü heraus. Das hat mich selbst am Ende meiner Spielzeit noch fluchen lassen. So errichte ich mein kleines, aber feines Imperium und hangele mich durch vier Epochen, von der Kolonialzeit über die Weltkriege bis zur Moderne.

Als weiteren Tipp möchte ich die Bibliothek nennen. Wer kann, baut diese so früh wie irgend möglich, da in ihr sogenannte "Forschungspunkte" generiert werden. Auch die kennt man aus vergangenen Teilen, jedoch wird der Ursprung dieser Punkte nirgendwo erläutert. Ohne diese Punkte liegt der gesamte Forschungszweig brach, wodurch einem Verbesserungen für Gebäude und Erlässe vorenthalten bleiben. Der Mangel an Kommunikation seitens des Spiels ist mir nicht nur hier negativ aufgefallen. Trotz tausender Statistiken, Balkendiagrammen und Präsentationen sind zahlreiche Informationen zu Gameplay und Wirtschaft schlicht nicht vorhanden - oder so kryptisch und verworren aufzufinden, dass es zum Beispiel unnötig viele Klicks benötigt, um einen brauchbaren Handelserlass zu verabschieden.


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Wer lange im Amt bleiben will, sollte die Gesuche seiner Einwohner nicht aus den Augen lassen.


Bug oder Feature?



Das erste Problem, was mir in dieser Richtung aufgefallen ist, fand sich schon im Tutorial. Da musste ich lediglich zwei Parkhäuser mit einer Brücke verbinden. Gesagt, getan - aber die Quest wollte einfach nicht als "Erledigt" markiert werden. In meiner Verzweiflung habe ich dann einfach so lange Brücken gebaut, bis der nötige Trigger auslöste und ich mit der Aufgabe fortfahren konnte. War das jetzt ein Bug? Hab ich die Überfahrt falsch zusammengezimmert? Keine Erklärung - das Spiel schweigt.

Auch bei politischen Angelegenheiten geht Tropico 6 sehr bescheiden mit der Informationsweitergabe um. Das haben sie sich wohl bei den Spionen im Kalten Krieg abgeschaut. Um das Verhältnis zu Supermächten und anderen international agierenden Nationen zu pflegen, kann man sie loben, eine Delegation entsenden oder ein Bündnis mit ihnen eingehen. Dabei ist zwar meist von einer Abklingzeit dieser Methoden die Rede, aber es wird nirgendwo aufgeführt, dass sie auch Geld kosten (bzw. wie viel). Das kann gerade in den frühen Spielstunden den Bankrott bedeuten.

Ein richtiges Wimmelbild-Flair will aber auch nach zig Spielstunden nicht aufkommen. Neben einer Handvoll Autos und Booten sind nicht sonderlich viele Einwohner auf den Straßen meiner flimmernden Metropole unterwegs. Das zeigt sich vor allem auf dem Kirmes-Pier, der mit Fahrgeschäften und Zuckerwatte lockt. Hier drehen sich die Karussells und das Riesenrad leider ohne einen einzigen Tropicaner an Bord - selbst wenn der enstprechende Regler im Grafikmenü auf Anschlag steht. Auch der ehrenwehrte Presidente selbst ist von solchen Ausfallerscheinungen betroffen. Als ich ihn kürzlich zur Inspektion einer Fabrik geschickt habe (um dort die Produktion durch seine Präsenz anzukurbeln), kam er im schicken, gepanzerten Wagen angefahren ... nur um den Rückweg zum Palast per pedes anzutreten.

Doch die Blamage geht noch weiter. Wie in alten Teilen ist es möglich, eine Wahlrede zu halten, um unentschlossene Bürger auf die eigene Seite zu ziehen. Die ausgewählten Themen deklamiert El Presidente dann von seinem prunkvollen Balkon - doch keiner hört ihm zu. Anwohner müssen nämlich erst hinlaufen, um dieser flammenden Parole beizuwohnen. Wenn der Palast also etwas außerhalb steht, kann es passieren, dass unser Zigarre rauchender Bartträger ein Selbstgespräch führt (auch wenn die parallel abgespielten Sounds darauf schließen lassen, dass da knapp 1.500 Wähler im Innenhof stehen sollten).

Den letzten Miesepeter muss ich nun noch der Kollisionsabfrage zuschieben. Schiffe clippen durch Brücken, überqueren Strände, Autos durchfahren Häuser und Boote verschwinden einfach im Hafen. Von der hakeligen Kamerasteuerung und dem Zoom-Feature ganz zu schweigen. Diese Macken sind mir bisher in keinem Tropico so gravierend aufgefallen wie in diesem hier.


Tropico 6
Eine willkommene Neuerung: Ich darf mehrere Inseln besiedeln.


Das Zepter hochhalten



Bei all den Macken und kleinen Unannehmlichkeiten macht Tropico 6 aber auch einiges richtig. Zum ersten Mal in der Serie breite ich mich nicht nur auf einer Insel, sondern gleich einem ganzen Archipel aus. Den vernetze ich mit den oben angesprochenen Brücken, bohre Tunnel durch unüberwindliche Gebirgsmassive, errichte zahlreiche Anlegestege oder baue einfach U-Bahn-Stationen. Wäre das mit dem ÖPNV bei uns nur auch so einfach! So kann ich meine Industrie auf die westlichen Inseln auslagern und mich im Osten ganz dem Fremdenverkehr widmen. Wie gut, dass ich mir gleich mehrere Touristenmagneten habe einfliegen lassen. Die Sphinx im Schatten des mächtigen Eifelturms? In Tropico ist alles möglich! Dank der neuen Überfallpunkte kann ich solch monumentale Bauwerke aus aller Welt stibitzen, Piratenbucht oder Spionageagentur vorausgesetzt. Die kosten zwar mitunter ein Heidengeld, bringen aber dauerhaft fette Boni.

Ein weiterer Pluspunkt sind die vielfältigen Ausbaumöglichkeiten für fast jedes Gebäude. Ob Klimaanlage zur Verbesserung der Wohnqualität, Grünschnitthäcksler im Plantagendistrikt oder Kanarienvogel für die Minenarbeiter: Bauwerke aller Art können aufgelevelt werden und bringen so höhere Profite ein (oder stimmen diese lästigen Umweltschützer ruhig). Das Balancing zwischen Schweizer Bankkonto und Bevölkerungszufriedenheit will nämlich stets gewahrt werden, sonst droht der unausweichliche Putschversuch.

Und da wir das Thema Zufriedenheit gerade aufgegriffen haben: Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum Tropico 6 auf den gängigen Review-Plattformen so himmelhoch gefeiert wird. Da ist die Rede vom "besten Tropico aller Zeiten" und einer "Revolution der Städtebau-Sims". Beides muss ich mit einem Kopfschütteln kommentieren und hoffe, dass diese Lobpreisungen den Programmierern des nächsten Ablegers keine rosarote Brille aufsetzen. Denn Baustellen gibt es zur Genüge.



Energiekuchen

Fazit von Tobias:

Um es kurz und knapp zu machen: Der direkte Vorgänger war deutlich transparenter und besser spielbar als Tropico 6. Die kleinen Bugs und größeren Hustenanfälle der Engine summieren sich schlussendlich doch zu einem massiven Störfaktor. Da verlangten bei einer Quest zwei gegnerische Parteien auch mal, dass ich ein und dasselbe Gebäude bauen soll (und wegen strikter Gameplay-Regeln zwangsweise einen der beiden Streithähne verärgern musste). Oder Waren, die partout nicht zu einem wichtigen Gebäude geliefert wurden. Und die umständliche Straßenführung, bei der das Snapping einfach nicht hinhauen will. Es ist wirklich schade drum. Tropico war seit jeher eine meiner liebsten Städtebau-Simulationen. Nicht ganz so ernst, immer mit einem Spritzer Humor und stets übersichtlich. Hier versucht sich nun das insgesamt vierte Entwicklerstudio an der Marke und fügt dem Mix leider mehr negative als positive Punkte hinzu.

Wer Interesse hat, Diktator zu spielen, schnappt sich lieber Tropico 5, spart dabei sogar noch ein paar Münzen - da günstig bei Amazon & Co. zu haben - und wartet mit dem selbstgebrannten Rum in der Hand auf den nächsten Ableger.

Besonders gut finde ich ...
  • das Entwenden seltener Wahrzeichen macht unglaublich Laune
  • Karibikflair von der ersten Minute an
  • der Humor kommt auch in Teil 6 nicht zu kurz
  • die ganzen umliegenden Inseln zu erschließen, bringt immer wieder kleine Teilerfolge
Nicht so optimal ...
  • blasser Presidente mit wenig Ausstrahlung
  • massig Clippingfehler
  • das Spiel kommuniziert wichtige Gameplay-Features nicht
  • keine Fahrgäste auf dem Riesenrad, wenige Arbeiter in Minen oder auf Feldern
  • multiples Bauen bedarf zusätzlichem Tastendruck
  • schlechte Übersicht für Handelsabkommen
  • problematische Zoomstufen und hakelige Kameraführung

Tobias hat Tropico 6 auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von pressakey.com zur Verfügung gestellt.

Tropico 6 - Boxart
  •  
  • Entwickler:Limbic Entertainment
  • Publisher:Kalypso Media
  • Genre:Wirtschaftssimulation
  • Plattform:PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series, Switch
  • Release:29.03.2019
    (PS4, Xbox One) 27.09.2019
    (Switch) 06.11.2020
    (PS5, Xbox Series) 31.03.2022

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: 4 Gästen.
  • Philipp
    #1 | 18. April 2019 um 01:10 Uhr
    Ich liebe ja extrem Aufbau-Strategie und das Setting der Tropico-Reihe hat mich ja generell immer angesprochen; warm wurde ich aber nie damit. Ich kann nicht mal sagen wieso, aber mir hat meist der Einstieg ins Spiel nicht richtig getaugt und ich kam nie so richtig "rein". Wenn ich lese, was du da schreibst, scheint es so, als ... würde mir das hier auch wieder drohen. Nach 6 Ablegern sollte man doch eigentlich ein ordentliches Tutorial raus haben, oder?