Beyond Blue - Review

Das Abtauchen ins tiefe Blau, das schwerelose Gleiten unter der Oberfläche, das Erforschen einer riesigen Welt unter Wasser: Elf Jahre lang, seit Endless Ocean 2, hatte sich kein Videospiel mehr daran versucht, diese Faszination des Tauchens und Vielfalt der aquatischen Fauna zu simulieren. Beyond Blue von E-Line Media ist nun das erste Spiel seiner Gattung in einer verdammt langen Zeit - und es inszeniert fabelhafte Momente zwischen Korallenriffen, Pottwalschulen und Mantarochen, die jedem Taucher das Herz erwärmen. Aber fernab der schillernden Optik, vor allem in Sachen Exploration, ist dieser viel zu kurze Tauchgang seicht wie eine Pfütze.

Ich erinnere mich gerne an Endless Ocean und seinen nicht minder gelungenen Nachfolger zurück. Das Tauchspiel aus dem Hause Arika ist für mich nicht nur eine der zu Unrecht vergessenen Perlen der Wii-Ära - es ist auch ein Grund dafür, warum ich vor ein paar Jahren den PADI Open Water Diver gemacht und gleich auch noch den Advanced drangehängt habe.

Auch wenn ich leider kaum zum Tauchen komme, fasziniert mich die Welt unter Wasser wie kaum etwas anderes auf dieser Erde. Und Endless Ocean hat diese Faszination damals verkörpert wie kein anderes Spiel vor ihm: Die Simulation von Geräten und Bedingungen war beeindruckend und zugänglich zugleich, die Präsentation verliebt bis in das letzte Detail, die Fauna der Ozeane so vielfältig wie in mancherlei realem Korallenriff.

Von Beyond Blue erwarte ich zehn Jahre später mindestens das gleiche in schöner - immerhin reden wir von einem Sprung von der Nintendo Wii zum wohl letzten Jahr von PlayStation 4 und Xbox One. Vielleicht bin ich deshalb auch teilweise selbst schuld daran, dass mich Beyond Blue unter dem Strich enttäuscht hat.


Beyond Blue
Beyond Blue fängt die Atmosphäre unter Wasser mit tollen Lichtstimmungen und Blautönen exzellent ein. Aber ...


Der Zauber der Meere



Denn Beyond Blue ist vor allem eines: seicht, und zwar in jeglicher Hinsicht. Auf den ersten Blick und auch während meiner Anspielsession auf der gamescom 2019 schien es noch, als wäre das Werk von E-Line Media, das immerhin in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und dem Team hinter dem famosen Blue Planet II entstand, die Kulmination dessen, was Endless Ocean einst begann. Wenn man zum ersten Mal mit Hauptfigur Mirai abtaucht, fühlt sich das für einen Meeresfan wie mich an wie ein wahrgewordener Traum: Die Sonnenstrahlen tanzen im Blau des Ozeans, die Korallen im Riff des Atolls schimmern in bunten Farben, zwischen ihnen tummeln sich Dutzende Fische, ziehen in Schwärmen umher oder sich einzeln in kleine Höhlen und Gänge zurück.

Auch Mirai lässt sich präzise durch das Wasser navigieren. Am Horizont erspähe ich einen riesigen Mantarochen, ein paar Meter weiter taucht eine andere Silhouette auf. Ein Walhai! Ich tauche langsam hin, bewundere diese Majestät der Meere, scanne ihn für die Datenbank ab und frage mich, welche Wunder ich in Beyond Blue wohl noch alle erleben werde.

Die Antwort ist: gar keine. Denn bald merke ich, dass das alles nur Fassade ist und dieses Spiel ganz anders als Endless Ocean nicht von Erkundung und Vielfalt lebt, sondern von einem stupiden und auf Dauer langweiligen Abklopfen von Wegpunkten, die zu allem Überfluss auch noch unübersehbar mit aggressiven orangenen Markern gekennzeichnet sind. Wie soll ich mich in dieser optisch so wunderbaren Unterwasserwelt fallen lassen, wenn ich ständig zum nächsten Punkt geschickt werde?


Beyond Blue
Als Meeresforscherin verbringt Mirai viel Zeit im Wasser und sieht ihre Familie kaum - das ist Teil der Story.


Unterwassertourismus



Das größte Problem an Beyond Blue ist, dass seine Welt nicht lebt, nicht reagiert - weder auf mich noch auf andere Tiere - und vollständig von Skripts abhängig ist, die ausgelöst werden, sobald ich eine bestimmte markierte Stelle erreiche. Bis auf eine einzige Ausnahme gegen Ende des Spiels läuft jeder Tauchgang so ab, dass ich nach einem Ladebildschirm direkt im Wasser bin - eine Filmsequenz für das Eintauchen gibt es nicht -, zu einer Boje schwimme und über das Sonar nach Geräuschquellen suche - die in 99 % aller Fälle großeen Meerestieren wie Walen, Delfinen oder selten mal Haien zugeordnet werden können. Dann schwimme ich zum Marker hin, darf eine interessante Szene beobachten, zum Beispiel die Jagd von Buckelwalen inmitten eines riesigen Fischschwarms, und dann zum nächsten Marker übergehen. Unterwassertourismus, wenn man so möchte: Von einer Sehenswürdigkeit geht es zur nächsten, fernab des Weges gibt es nichts zu entdecken.

Natürlich sind das schöne und stellenweise beeindruckende Momente, die Beyond Blue technisch fabelhaft inszeniert, und dahinter stecken Wunsch und Absicht des Spiels, Wissen zu vermitteln und für die Bedeutung und Zerbrechlichkeit des Ozeans sowie seiner Lebewesen zu sensibilisieren. Das ist eine tolle Sache! Und auch die 18 enthaltenen Kurzdokus mit großen Namen wie etwa Sylvia Earle habe ich gespannt angeschaut. Aber ich fühle mich als virtueller Taucher die meiste Zeit überflüssig - und hätte mir alternativ auch einfach eine "echte" Doku ansehen können und dabei mehr gelernt.


Beyond Blue
Im Atoll gibt es viele schöne Bilder, aber - wie im Rest des Spiels - leider äußerst wenig Substanz und Inhalt.


Eine Vielfalt wie im Aquarium



Beyond Blue ist weder Fisch noch Wal, als Doku zu dünn und als Spiel zu seicht. Wo ich in Endless Ocean 2 über 350 Tiere finden konnte und die Enzyklopädie immer weiter wuchs, das Erkunden der Unterwasserwelt nicht nur möglich, sondern gerade das große Highlight war, sind es hier nicht einmal 50 Tiere. Der Großteil davon: Wale, Haie, Delfine, Tintenfische; der einzige Rochen im Spiel ist der Manta. Taucherin Mirai, deren persönliche Geschichte übrigens mehr langweilt als fasziniert, interessiert sich vor allem für die Pottwalschulen und das Kalb Andrea, was per se - und vor dem Hintergrund der Gefährdung der Wale - zwar okay ist. Aber ihrem Interesse ordnet sich der Rest der Fauna im Spiel unter.

Papageifische und der eine oder andere Kaiserfisch sind das höchste der Gefühle, wenn man auch den bunten Mikrokosmos unter Wasser jenseits der großen Säuger und Fische kennenlernen möchte. Pinzett- und Mandarinfisch, Flunder, Schnecke, Stachelrochen? Krabben, Krebse, Seestern? Das gibt es alles in Endless Ocean, nicht aber in Beyond Blue. Scannbare Korallen? Auf so etwas warte ich bis heute. Und das vielleicht größte Übel: Tiere werden auf Collectibles reduziert. Ein gescannter Mola Mola ist schön, aber erst für 18 Stück gibt es das Achievement. Das ist weder das, wofür man das Spiel spielt, noch etwas, das zu den eigenen pädagogischen Ambitionen passt. Das aufgeblähte Scannen um des Scannens willen ist sogar schädlich für die Atmosphäre.

Dieser mit knapp drei Stunden auch sehr kurze Tauchtrip kann immer noch Spaß machen, hat seine schönen Seiten und mag den einen oder anderen, der sich noch nicht viel mit der größtenteils unerforschten Welt der Meere beschäftigt hat, mit den tollen Bildern womöglich sogar begeistern. Dass Beyond Blue gegenüber einem mehr als zehn Jahre alten Tauchspiel für die Nintendo Wii so ein massiver Rückschritt ist, hätte ich vorab aber nicht zu glauben gewagt. Schade.



Tim

Fazit von Tim:

Keine fünf Minuten hat es gedauert - ich war sofort in diese Unterwasserwelt verliebt! Mit den herrlichen Farbtönen, starken Lichtstimmungen und dem endlosen Blau am Horizont fängt Beyond Blue die Atmosphäre und das leicht beklemmende Gefühl, alleine in dieser unendlichen Weite zu sein, hervorragend ein - nicht zuletzt natürlich aber auch wegen seiner detailverliebten Abbildung der Fauna vom Falterfisch bis zum mächtigen Pottwal. Aber dieser positive Eindruck schwindet schnell, sobald man beginnt, den virtuellen Ozean zu erforschen. Denn fast alles an Beyond Blue ist Fassade: Kein Lebewesen reagiert auf mich oder andere Tiere, bald muss man feststellen, dass sich alles Interessante nur dort abspielt, wo der nächste Marker steckt.

Es geht nicht um das Erkunden und das selbtständige Kennenlernen dieses faszinierenden Lebensraums, sondern wie im Unterwassertourismus darum, Spot für Spot abzugrasen und auf dem Weg möglichst viele Tiere zu scannen. Dass es nicht einmal 50 derer gibt, ist gegenüber den mehr als 350 Spezies in Endless Ocean 2 fast schon ein Armutszeugnis. Ja: Natürlich ist Beyond Blue ein anderes Spiel, es möchte in erster Linie aufklären und belehren und kostet weniger als 20 Euro. Aber letztlich ist es in beiden Disziplinen zu seicht: Als Spiel fehlen ihm die Freiheit der Erkundung, die Abwechslung und allen voran die Vielfalt der Welt, als interaktive Doku kratzt es inhaltlich jederzeit nur an der Oberfläche. Unverzeihlich ist außerdem, dass ein echter Fotomodus fehlt - wie gerne hätte ich mir die tollen Bilder wenigstens als Wallpaper gespeichert.

Ich schätze die Arbeit, die in Beyond Blue steckt. Aber unter dem Strich ist es nur ein Schnuppertauchgang mit omnipräsentem Guide. Wer wirklich tief in das Genre und die Welt unter Wasser eintauchen möchte, kommt auch im Jahr 2020 nicht um das nunmehr zehn Jahre alte Endless Ocean 2 herum.

Beyond Blue ist weder Fisch noch Wal und bleibt in jeglicher Hinsicht ein Schnuppertauchgang, der sowohl als Spiel als auch als interaktive Doku nur an der Oberfläche des Möglichen kratzt.

Besonders gut finde ich ...
  • wunderschönes und glaubwürdiges Abbild der Unterwasserwelt mit tollen Lichtstimmungen, Panoramen und Farben
  • fast fotorealistisch inszenierte und animierte Tiere (v.a. Wale)
  • tolles Zurschaustellen von Jagden, Fütterung oder Symbiosen
  • mehr als 15 lehrreiche Video-Dokumentationen freischaltbar
  • gute Steuerung, authentische Physik von Mirai unter Wasser
Nicht so optimal ...
  • null Exploration: Man wird von Marker zu Marker gelotst und ortet von Boje zu Boje immer wieder nur Geräusche
  • unsägliche "Questmarker" können nicht abgestellt werden
  • überflüssige und bisweilen nervige Story um Mirai und Crew
  • äußerst geringe Vielfalt an Tieren und Umgebungen
  • Tiere als Collectibles ("2/38 Rippenquallen gescannt")
  • Hintergrundinfos gehen nicht ausreichend in die Tiefe
  • kein Fotomodus

Tim hat Beyond Blue auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von E-Line Media zur Verfügung gestellt.


Blog-Archiv Juli 2020#BeyondBlue#Indiegame#Diving#WorldOceansDay
Beyond Blue - Boxart
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  • Entwickler:E-Line Media
  • Publisher:E-Line Media
  • Genre:Exploration-Adventure
  • Plattform:PC, PS4, Xbox One, Switch, iOS
  • Release:22.04.2020
    (PC, Konsolen) 11.06.2020
    (Switch) 12.11.2021

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: Evoli ... und 7 Gästen.
  • Darius
    #1 | 7. Juli 2020 um 18:00 Uhr
    Wirklich schade, dass es spielerisch doch eher eine Enttäuschung geworden ist. Das mit dem fehlenden Fotomodus ist natürlich gerade bei so einem Spiel auch ziemlich traurig =(
  • Jari
    #2 | 8. Juli 2020 um 10:56 Uhr
    Finde ich auch Schade, da ich zum einen das Tauchen im Videospiel liebe und im Vorfeld eigentlich einen guten Eindruck hatte.