Desperados III - Review

Endlich! Viel zu lange habe ich auf die Rückkehr von John Cooper und seiner Gang gewartet. Fast 20 Jahre ist das gute alte Desperados: Wanted Dead or Alive schon her - seinerzeit eine Perle der Echtzeit-Taktik à la Commandos, dazu noch ein Werk aus Deutschland. "Made in Germany" gilt auch für das Revival, das nun aus der Feder von Mimimi Games stammt. Das sind die Jungs und Mädels, die schon mit Shadow Tactics: Blades of the Shogun echtzeittaktische Zeichen setzen konnten. Wer, wenn nicht sie, könnte ein modernes Desperados III meistern? Das Ergebnis ist ein abermals feines Taktik-Abenteuer - das den Kern der Vorlage knapp verfehlt.

Desperados? Ist das nicht das Tequila-Bier-Mixgetränk oder sogar eine aktuelle Netflix-Serie? Beides stimmt, beides ist aber nicht das, worum es hier geht. Das knapp 20 Jahre alte Desperados: Wanted Dead or Alive dürfte in vielen Köpfen schon vergessen und der jüngeren Spielergeneration erst recht kein Begriff sein - ist aber trotzdem die Vorlage, auf der Mimimi Games ihr neues Werk aufgebaut haben. Während sich die Videospielbranche in dieser langen Zeitspanne ohne Zweifel massiv verändert hat, ist Desperados III so klassisch wie eh und je, sodass man sich als alter Wildwest-Stratege sofort wieder wohlfühlt mit Cowboy-Hut auf dem Kopf, Leder-Boots an den Füßen und dem Revolver in der Hand. Streng genommen hat man zwar nur die Hände an Maus und Tastatur - aber das Wildwest-Setting ist den Münchnern trotzdem gelungen.


Desperados IIIDesperados III
Goldschürfen und die Eisenbahn gehören zu jedem guten Western dazu und dürfen auch in Desperados III nicht fehlen.


Welcome back, John Cooper!



Wenn ihr das fantastische Shadow Tactics: Blades of the Shogun gespielt habt, das ich damals in meiner Review als würdige Wiederbelebung der Echtzeit-Taktik gelobt habe, dann wisst ihr ganz genau, was ihr von Desperados III erwarten dürft - und wenn nicht, dann erklärt dieser Gameplay Overview Trailer das Spiel besser und schneller als ich es in Worten tun könnte.

Die Kurzform: Aus der Vogelperspektive steuert man bis zu fünf Charaktere durch weitläufige Levels voller Gegner, schleicht von Versteck zu Versteck und schaltet mithilfe der individuellen Fähigkeiten jeder Figur der Reihe nach die Feinde aus - alles in Echtzeit, daher auch der Genre-Name. Leichen müssen versteckt, Geräusche unterdrückt und alarmierte Zivilisten möglichst vermieden werden, während das geschulte Auge in der Umgebung immer wieder kleine Lücken zwischen den Sichtkegeln der Widersacher und hin und wieder sogar einen lockeren Felsbrocken oder eine wacklige Brücke entdeckt, die man herrlich als Falle missbrauchen kann. Sind die Halunken erstmal vom Stein zerquetscht oder in den Abgrund gestürzt, ist weit und breit kein Täter zu sehen. Was für ein schrecklicher, aber praktischer "Unfall" - und jedes Mal ein tolles Gefühl, das ich zwar aus Shadow Tactics bereits kenne, im alten Desperados: Wanted Dead or Alive aber damals nicht erleben durfte.

Desperados III baut also wenig überraschend dort auf, wo Shadow Tactics aufgehört hat, und transportiert dessen Spielsystem nach Amerika in den Wilden Westen. Die Gang um Anführer John Cooper reist quer durch die States - vom Byers Pass in Colorado über den Mississippi River bis nach New Orleans und tief hinein in die dortigen Sümpfe. Eine Rückkehr an Locations aus dem Erstling gibt es zwar nicht, dafür aber einige bekannte Gesichter. Neben John, dessen Vorgeschichte erzählt wird (Desperados III ist ein Prequel) sind das Kate O'Hara und der gute alte Doc MocCoy mit seinem Arztkoffer und den Sumpfgas-Fläschchen. Komplettiert wird die Crew durch die Neulinge Hector Mendoza und Isabelle Moreau.

Letztere ist mit ihrem neckischen Auftreten nicht nur als Persönlichkeit eine gelungene Ergänzung, sondern vor allem auch in ihrer Rolle als Sumpfhexe, die Gegner mit Voodoo-Magie täuschen und buchstäblich verhexen kann. Koppelt man per Blasrohr zum Beispiel zwei Gegner spirituell aneinander, erleiden beide das gleiche Schicksal: Wenn ich den einen mit dem Messer absteche, geht auch der andere zu Boden. Strategisch-taktisch ist das eine coole Sache! Für mich passt Isabelle aber nicht so richtig in den eigentlich bodenständigen und glaubwürdigen Wilden Westen, den Desperados fernab davon inszeniert.


Desperados III
Mit 21:9 sieht man mehr vom Spiel und mehr vom Level - und kann sich in aller Ruhe Wege überlegen, die Gegner auszuschalten.


Ist das wirklich noch Desperados?



Sowieso passt für mich bei aller Liebe zur spielerischen Qualität, an der ich eigentlich nicht viel zu mäkeln habe, manches an Desperados III nicht so richtig zusammen, was an dieser Stelle pingelig klingen mag, vor allem dann, wenn man die Vorgänger nicht kennt. Im Kern geht es um Folgendes: Desperados III ist mir zu wenig Desperados und zu viel Shadow Tactics. Ich verbinde Desperados (und übrigens auch den Wilden Westen als Szenario generell) mit rauchenden Colts, Pferden, Dynamit, Saloons, Schießereien, Banküberfällen und der Eisenbahn, auf jeden Fall aber mit Action. Natürlich muss nicht jedes Klischee bedient werden, aber genau das war auch Wanted Dead or Alive von Spellbound damals, und es war gut.

Im Jahr 2020 sind Schießereien weitestgehend out - der moderne Cowboy schleicht lieber, versteckt sich im Gebüsch, stellt Fallen und lockt seine Opfer aus dem Schatten an. Munition ist nicht mehr endlos, sondern je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad rar und liegt in einigen wenigen Kisten herum. Die logische Konsequenz: Man schießt viel weniger bis teilweise gar nicht, versucht jeden Alarm unbedingt zu vermeiden, und das ganze Spiel wird langsamer und weniger spontan als einst in El Paso oder Louisiana. Dazu passt, dass jeder Schuss grundsätzlich sitzt und man keine "HP-Leiste" mehr hat, sondern jeder Treffer einen von wenigen Lebenspunkten abzieht. Das funktioniert immer noch, ist mir aber einfach zu weit von dem Wilden Westen weg, der Desperados früher ausgezeichnet hat. Ebenfalls verschwunden: Pferde zum Reiten.

Außerdem stört mich sehr, dass das Spiel unterkomplex ist. Damit meine ich nicht, dass es generell zu einfach wäre. Ich spreche von den gerade mal zwei bis drei individuellen Fähigkeiten pro Figur - denn früher waren es derer vier bis fünf, und jeder hatte eine eigene Waffe, die auch unterschiedlichen Schaden angerichtet hat. Früher konnte auch nur John Gegner bewusstlos schlagen oder hinterrücks abstechen und Sam war der einzige, der fesseln konnte - heute können bis auf Kate alle alles davon. Dadurch bleiben an eigenen Fähigkeiten nur noch wenige übrig, John etwa kann "nur noch" Messer und Münzen werfen. Ich hätte mir mehr Möglichkeiten, mehr strategische Tiefe gewünscht. Und außerdem mehr Gegnertypen, da man nach wenigen der 16 Missionen eigentlich schon alle getroffen hat und sie sich nicht mal mehr optisch unterscheiden.


Desperados IIIDesperados III
Das sieht komplexer aus als es ist - und beide Situationen dürften wahrscheinlich mit einem Schnellladen enden ...


Zähl bis drei und lade neu



So hängt am Ende alles am Leveldesign, das zwar wirklich gut gelungen ist und immer mal wieder mit kleinen Finessen wie Spuren im Matsch oder getrennten Positionen der Charaktere überrascht, aber mir unter dem Strich doch immer noch zu "einfach" war. Immer wieder werden ähnliche Muster genutzt, wenn drei oder vier Gegner beieinander stehen und man sie mit den gewohnten Tricks (vor allem Kates Flirten) auseinander lockt oder mal wieder ein Long Coat, quasi das Wildwest-Pendant zum Samurai aus Shadow Tactics, im Weg steht.

Das ist immer noch tricky, gerade in den späteren Missionen, aber zu vieles artet zu schnell in Routine aus. Kein Vergleich zu "Zwischen allen Fronten" oder "Die Mauern von Fortezza" aus dem ersten Desperados! Trotzdem stellt sich, na klar, schon früh der bekannte und geliebte Flow ein aus Speichern, Scheitern, Laden, Meistern - also das, was ich an diesem Genre so sehr mag und heute genauso genieße wie damals, als es mit die frühesten Spiele meiner Kindheit geprägt hat. Denn bei aller Kritik: In seinem Kern ist auch dieses Werk von Mimimi äußerst gelungen.

Teilweise mag es deshalb nostalgische Verklärung sein, die mir das neue Desperados etwas herunterzieht. Auf der anderen Seite ist ein gutes Stück vom Alten eben auch das, was ich persönlich von diesem Revival erwartet habe. Und so wie damals Robin Hood: Die Legende von Sherwood nicht wie der Quasi-Vorgänger Desperados war, sollte auch Desperados III nicht zu nah an Shadow Tactics sein. Auch in diesem Genre ist Raum für unterschiedliche Schwerpunkte. Das heißt übrigens im Umkehrschluss nicht zugleich, dass Mimimi keine Neuerungen mitliefert: Alleine schon die Wiederholung am Ende einer jeden Mission, bei der man sein Vorgehen im Zeitraffer nachverfolgen kann, ist Gold wert und ein großer Spaß für Taktikfüchse, die nach der optimalen Lösung suchen - oder aber einer Methode, die teilweise richtig kniffligen Sonderziele zu meistern.

Und die Story? Nun, die Gang selbst verbindet natürlich kein Voodoo-Zauber, aber auch nicht unbedingt ein gemeinsames Ziel - eigentlich laufen sich alle mehr oder minder zufällig über den Weg und bleiben zusammen, während die Handlung rund um den fiesen Frank und seine Company an Halunken vor sich hin plätschert. Ich finde es etwas schade, wie dünn die Geschichte über den gesamten Spielverlauf über bleibt, auch wenn coole Sprüche und generell gut geschriebene Dialoge als Pluspunkte hängen bleiben. Besonders gefreut habe ich mich aber über das Comeback von Michael Betz als Sprecher von Doc McCoy - die markante, rauchige Stimme passt heute noch genauso wie damals.



Tim

Fazit von Tim:

Desperados III ist gute, gelungene Echtzeit-Taktik, die auf den Stärken von Shadow Tactics aufbaut - und jeder Hobby-Stratege mit einem Faible für das Genre sollte es spielen! Dieses Fazit mag womöglich überraschend kommen, nachdem ich zuvor doch so vieles an Desperados III auszusetzen hatte. Tatsächlich mochte ich Shadow Tactics auch rückblickend lieber als das von mir so heißersehnte Comeback von Cooper und seiner Gang, weil Mimimi ohne Bürde und Vorlage ein neues Universum und ein neues Setting schaffen konnten - und ich schlicht nicht herum komme, das neue Desperados mit seinem Vorgänger zu vergleichen, der mir mit seinem action-orientiertem Ansatz, schwierigerem Leveldesign und mehr Wildwest-Feeling lieber war.

Auch mochte ich die alte Farbpalette mehr - der neue Stil ist mir zu bunt und nicht "dreckig" genug. Nichtsdestotrotz: Ich freue mich, dass Desperados zurück ist und Mimimi aus München das eingeschlafene Genre nicht nur einmalig reaktiviert, sondern weiter aktiv am Leben gehalten haben. Auch wenn mir als Serienkenner unter dem Strich zu viele Eigenschaften des Originals gefehlt haben, hatte ich eine Menge Spaß damit, New Orleans & Co. (un)sicher zu machen.

Schleichen statt ballern: Desperados III hält sich mit Schießereien und klassischer Wildwest-Action erstaunlich zurück, übernimmt unter dem Strich zu viele Eigenschaften aus Shadow Tactics und entfernt sich damit ein gutes Stück vom Kern der Vorlage - ist aber dennoch richtig gute Echtzeit-Taktik, die auch im Jahr 2020 viel Spaß macht.

Besonders gut finde ich ...
  • John Cooper, Doc McCoy und Kate O'Hara sind zurück!
  • spielmechanisch abermals gelungene Echtzeit-Taktik
  • gutes Leveldesign mit einigen weitläufigen Arealen
  • coole Kombinationsmöglichkeiten mit Neuling Isabelle
  • gegenüber Shadow Tactics verbesserter Showdown-Modus
  • mehr als 25 Spielstunden durch umfangreiche Kapitel
  • optionale Ziele für Wiederspielwert und Extra-Challenge
Nicht so optimal ...
  • viel zu starker Fokus auf Schleichen und Nahkampf, der nicht zum Setting im Wilden Westen passt; es fehlen echte Schießereien
  • begrenzte Munition hält von Nutzung der Schusswaffen ab
  • gegenüber dem Original über weite Strecken zu simpel
  • nur eine Handvoll Gegnertypen, zu wenig Komplexität
  • es wird nicht aufgeklärt, wer Johns Kumpel Bill ist

Tim hat Desperados III auf dem PC gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von THQ Nordic zur Verfügung gestellt.


Desperados III - Boxart
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  • Entwickler:Mimimi Productions
  • Publisher:THQ Nordic
  • Genre:Strategie
  • Plattform:PC, PS4, Xbox One
  • Release:16.06.2020

Kommentare & Likes

Folgenden Usern gefällt der Beitrag: HerrBeutel ... und 2 Gästen.
  • Philipp
    #1 | 8. August 2020 um 01:13 Uhr
    Liest sich gut, soweit. Haben es ja auf der gamescom (damals!) angespielt und ich hab echt Gefallen daran gefunden. DAss es jetzt nicht so heftig "Wild-West-Geballer" ist, finde ich nicht übel. Am Ende ist es halt ein Taktikgame. Werd bei Gelegenheit mal reinlinsen