Paper Mario: The Origami King - Review

Die Ecken anwinkeln, das Papier in der Mitte zusammenlegen, den Falz glattstreichen, alles passgenau ineinander drücken, drehen, wieder entfalten - und dann auf der Rückseite das gleiche von vorn: So oder so ähnlich funktioniert die hohe Kunst des Origami, mit der Werke wie Schwäne, Kraniche oder sogar Prinzessin Peach möglich sind. Moment. Peach? Ja, denn in Paper Mario: The Origami King ist der finstere König Olly drauf und dran, alle Papierwesen in eine Armee an Faltschergen zu verwandeln. Aber Mario knickt vor dieser Bedrohung natürlich nicht ein. Und das Wichtigste: Dieses Abenteuer ist zwar flach, besitzt aber endlich wieder Tiefe.

Sind euch das schon zu viele Wortspiele? Dann solltet ihr euch lieber zwei Mal überlegen, ob ihr den Kampf gegen den Origami-König antreten möchtet. Denn Nintendos Übersetzer sind wieder einmal in Topform - und Sandpapierwüste, Alte Falter und Pappmachos nur ein kleiner Auszug einer bunten Kiste an Orten und Charakteren, die ganz wundervolle und erstaunlich kreative Namen tragen. Im mittlerweile doch schon sechsten Paper Mario noch so viel Witz und Finesse in die Sprache zu bekommen: Hut ab! Aber das gehört eben zu Paper Mario dazu - und ist neben dem ikonischen Grafikstil auch so ziemlich das einzige, was die moderneren Ableger noch mit den Klassikern für Nintendo 64 und den GameCube verbindet.


Paper Mario: The Origami KingPaper Mario: The Origami King
Nur gemeinsam können Olivia, Mario und Bowser samt Armee die finsteren Faltschergen von König Olly bezwingen.


Man tut gut daran, Paper Mario nicht als Rollenspiel light zu verstehen



Es ist kein Geheimnis, dass mit Paper Mario: Sticker Star, allerspätestens aber mit Paper Mario: Color Splash, eine neue Richtung eingeschlagen hat, die weg geht vom Rollenspiel und immer weiter hin zu einem Action-Adventure light. Zum Verdruss vieler Fans, die sich eine Rückkehr zu den Wurzeln wünschen. Ich persönlich oute mich an dieser Stelle gerne als jemand, der die alten Teile tatsächlich nicht gespielt hat, die neuen Teile, vor allem Color Splash, dafür umso lieber mag; weil ich sie als bodenständige, zugängliche, witzige und gut gelaunte "Abenteuer" schätze, die sich eben nicht an x verschiedenen komplizierten Systemen aufhalten, sondern mit einfachen Mitteln erstaunlich viel Abwechslung inszenieren. Nur die Kämpfe, ach, diese Kämpfe - damit hat man sich das eine ums andere Mal selbst ein Bein gestellt. Deshalb freut es mich umso mehr, dass Origami King genau diesen Aspekt radikal umkrempelt. Und dadurch, jetzt kommt es, einfach so viel besser wird!


Ringkampf mit Zuschauern



Musste man in den letzten beiden Spielen noch Sticker sammeln und Karten legen, werden gegen die Faltschergen des Origami-Königs die grauen Zellen beansprucht. Denn in Origami King gibt es Puzzles zu lösen. Viele Puzzles. Und dabei auch noch ziemlich schwere Puzzles, bis man wortwörtlich den Dreh raus hat: Gekämpft wird nämlich in einer ringförmigen Arena, in der man die Gegner durch Drehen und Schieben der Ringe so platzieren muss, dass sie entweder in einer Reihe oder einem Block zusammenstehen. Dafür gibt es begrenzte Zeit und begrenzte Züge, aber dafür umso mehr Möglichkeiten.

Ist das Geschiebe erledigt, werden nur noch Hammer oder Stiefel ausgepackt, und hat man die Gegner richtig positioniert, ist nach einer Runde auch meistens schon Schluss und das feindliche Gesocks Geschichte. Klingt simpel - ist in der Praxis aber ganz schön knackig. Und vor allem macht es großen Spaß, auch wenn es das Spiel gelegentlich mit der Menge an gewöhnlichen Gegnern übertreibt. Aber dafür gibt es ein praktisches Angebot: Bezahlt man die Zuschauer-Toads in der Arena mit den Münzen, die man überall in der Welt findet, unterstützen sie fleißig und schieben das Rätsel in wenigen Sekunden zur Lösung zurecht. So kann man auch nervige Routinepuzzles schnell umgehen und sich Zeit und Hirnschmalz sparen.


Paper Mario: The Origami King
So muss das aussehen: Vier Gegner in einer Linie oder Block sind gefundenes Fressen für Stiefel und Hammer.


You spin me right round, right round, right round like a record ...



Es mag ein wenig ungewöhnlich sein, in eine Review ausgerechnet mit dem Kampfsystem zu starten, wo Kämpfe ja nur ein Aspekt unter vielen sind und das Spiel doch so viel mehr zu bieten hat. Aber tatsächlich ist das Ringsystem die größte Revolution im Kleinen für eine Serie, die es seit Jahren nicht schafft, ein gutes und nachhaltiges Modell für Kämpfe zu finden, das in seiner Tiefe ausreicht, um überhaupt mal ein ganzes Spiel zu füllen. Für mich ist Origami King das erste Paper Mario, das genau das endlich gemeistert hat. Und das liegt vor allem daran, dass das Ringsystem so flexibel ist und in allerlei Varianten zum Einsatz kommt. Nicht nur im Duell mit Gumbas, Shy Guys und Snifits - sondern auch in zahlreichen Bosskämpfen, Bilderrätseln und sogar einem Ratequiz. Selbst nach 30 Stunden reicht es noch für unerwartete neue Tricks.

Dabei greifen Spielwelt, Grafikstil und das Ringsystem so gut, so nahtlos ineinander wie selten in Videospielen, in denen Kämpfe oft durch unerklärliche Legekarten oder Ausrüstungsteile definiert werden. In Origami King stanzt ein Locher als Endboss (!) Löcher in Papier-Mario und entzieht ihm damit die Hälfte der HP, bis ich das Konfetti wieder aufsammle und zusammenfüge. Ein Tesaroller verklebt die Ringe, sodass sie sich nur noch zusammenhängend drehen lassen. Und es gibt noch viele weitere Bosse mit cleveren Twists, die alle ihr ganz eigenes Rätsel und für mich spielerisch die Höhepunkte des Abenteuers sind. Die Kunst des Bosskampfes - Intelligent Systems beherrscht sie in Origami King aus dem Effeff!


Paper Mario: The Origami KingPaper Mario: The Origami King
Feuer-Pergamenton und Buntstifte - zwei von vielen Bossen im Spiel. Wenn die Stifte sprechen, sind die Buchstaben farbig!


So verspielt, so kreativ - im Rahmen dessen, was eben möglich ist



Auch außerhalb der Ringkampf-Arena hat mich das Spiel mit so vielen Qualitäten begeistert, wie ich sie vorher nicht erwartet hätte. Den treffsicheren Humor hatte ich ja schon erwähnt - aber hättet ihr geglaubt, dass ein Paper Mario auch ganz düstere, ja regelrecht traurige Themen ausspielen kann und damit ebenfalls genau die richtigen Tonlagen trifft? Ich auch nicht - aber Origami King ist immer wieder für eine Überraschung gut. Und vor allem ist es herrlich abwechslungsreich und kreativ.

Die Welt, die Mario mit Origami-Sidekick Olivia bereist, ist natürlich nicht offen; aber trotzdem wirken viele Gebiete wie der große Ozean mit dem Luxusdampfer MS Peach, die Sandpapierwüsten mit Cham City, der Vergnügungspark Shogunland und auch die rötlich-bunten Herbsthöhen erstaunlich weitläufig. Wer schon Color Splash gemocht hat, darf sich auch in Origami King auf ein tolles Leveldesign freuen, das mit vielen Geheimnissen, gefalteten Toads (ein bisschen wie die Koroks in The Legend of Zelda: Breath of the Wild) und der einen oder anderen netten Jump'n'Run-Passage mehr zu bieten hat, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Und immer wieder gibt es coole Twists wie eine Bootsfahrt, ein Shuriken-Minispiel oder eine kuriose Challenge, bei der man erraten muss, welchen Gesichtsausdruck ein Snifit gerade unter seiner Maske zeigt - wer verliert, landet in einer Geisterlampe. Habe ich schon die Horror-Pyramide von Chamses und ihre Tanzfläche erwähnt?

Kurz gesagt: Im Rahmen der Möglichkeiten sind die Kreativität und Ideenreichtum in Origami King eine Wucht!


Paper Mario: The Origami King
Eine Reise macht mehr Spaß, wenn man Freunde mitnimmt. Bob-omb Bobby begleitet Mario und Olivia ins Shogunland ...


Ein Toad kommt selten allein



Ist euch gerade etwas aufgefallen? Richtig: Ich habe "im Rahmen der Möglichkeiten" geschrieben und das Lob, das ich eben verteilt habe, ein ganzes Stück weit eingeschränkt. Was ich damit meine, sind: Toads. Viele Toads. Verdammt viele Toads. So viele Toads, dass man sie spätestens nach ein paar Stunden - wenn nicht schon seit Color Splash für die Nintendo Wii U - einfach satt hat. Denn Paper Mario: Origami King zelebriert wieder einen Toad-Overkill, der dem Spiel einfach nur schadet. Neue Figuren gibt es praktisch nicht, wenn man von Olivia und König Olly absieht. Schuld an dieser Misere ist eine hanebüchene Entscheidung seitens Nintendo, die Producer Kensuke Tanabe in einem Interview mit VGC erklärt - hier übersetzt:

Seit Paper Mario: Sticker Star ist es nicht mehr möglich, Charaktere aus dem Mario-Universum zu verändern oder von Grund auf neue Charaktere zu erschaffen, die das Mario-Universum berühren. Das heißt, dass wir, wenn wir für Bossgegner keine Mario-Charaktere nutzen, neue erschaffen müssen, die strikt getrennt sind vom Mario-Universum - so wie jetzt bei Olly und den Bürogegenständen als Bosse.

Die Quintessenz seiner Worte: Seit Paper Mario: Sticker Star können bzw. dürfen keine neuen Charaktere im Mario-Universum erstellt werden - und auch bestehende Charakteren sollen so bleiben, wie sie eben schon immer waren. Ich habe selten einen größeren Unsinn gelesen als diese Aussage, und ich halte es für einen fatalen Fehler, der - sollte Nintendo diese Regel nicht aufheben - sich eines Tages rächen wird. Denn noch ist Paper Mario ein höchst kreatives Spiel im Rahmen dessen, was mit diesen Einschränkungen noch möglich ist. Ob das im nächsten und dann vierten Paper Mario seit Sticker Star noch erreicht werden kann, scheint zweifelhaft. Und all das ausgerechnet in Paper Mario - einer Serie, die für neue Ideen stand.

Mir ist es aber wichtig, diese Review nicht negativ ausklingen zu lassen. Denn ich habe dieses Origami-Abenteuer über seine ganzen knapp 30 Stunden sehr genossen und, wenn man von kleinen Frustmomenten und einigen blöden Entscheidungen wie zerbrechlichen Waffen absieht, halte ich es für das beste der drei jüngeren Ableger. Mit dem urkomischen Stiefobil als Wüstenracer, dem herrlich skurillen Locher-Endboss, der wundervollen Musikuntermalung und vor allem Kompagnon Bobby ist Paper Mario: Origami King einfach nur liebenswert. Es gibt also keinen Grund, geknickt zu sein.



Tim

Fazit von Tim:

Diese neue Spieltiefe in Form des Ringsystems - das hat Paper Mario richtig gut getan! Endlich hat die Serie wieder ein Kampfmodell gefunden, das vielseitig, variabel, anspruchsvoll und gerade ausreichend komplex ist, um eine Reise durch immerhin sechs ganze Welten mit einer Dauer von annähernd 30 Stunden zu tragen. Immer wieder habe ich mir den Kopf zerbrochen über diese clever konstruierten Puzzles, die nicht nur in den tollen Bosskämpfen, sondern selbst beim gewöhnlichen Gumba eine äußerst harte Nuss sein können.

Ja: Manchmal war es des Guten zu viel, manchmal haben Intelligent Systems es mit der Menge an Gegnern und Ringkämpfen nacheinander übertrieben, ich denke hier vor allem an das Shogunland. Aber das Toad-Publikum mit Münzen zu bezahlen, um sie als Support in den Ring zu holen, ist eine gute und nützliche Lösung für das Problem. Und sowieso ist man den Großteil des Abenteuers ja nicht in der Arena, sondern durchquert diese wunderhübsche Spielwelt aus Papier, Pappe und Pappmaché - auf der Suche nach gefalteten Toads, Jagd nach Schätzen und Geheimnissen und der Neugier auf das, was wohl als nächstes kommen mag.

Außerhalb der Kämpfe ist auch Origami King im Wesentlichen das Paper Mario, das auch seine Vorgänger schon waren, hat jedoch deren Ballast, das heißt Sticker und Farbe, quasi vollständig abgeschüttelt. Ich könnte sicherlich noch über viele weitere Details berichten, die gut oder semi-gut sind, denn derlei gibt es viele, für die in dieser Review schlicht kein Platz gewesen ist. Aber das ist auch nicht weiter tragisch, denn es macht umso mehr Freude, all das selbst herauszufinden.

Selbst für ein Spiel, das kreativ künstlich eingeschränkt wird und unter seinem Toad-Overkill leidet, sind Ideenreichtum und Abwechslung immens. Und Origami King schätze ich noch mehr als seine Vorgänger für das, was das moderne Paper Mario sein möchte: ein bodenständiges, zugängliches, witziges und gut gelauntes Abenteuer. Ich hoffe inständig, dass Nintendo die kreativen Fesseln löst, sodass sich das nächste Spiel vollständig entfalten kann. Ganz im Sinne der Kunst von Origami.

Paper Mario: Origami King schüttelt einen großen Teil des Ballasts seiner Vorgänger ab, findet mit dem Ringsystem endlich ein cleveres und nachhaltiges Modell für seine Kämpfe und behält all das bei, was die Serie zu solch leichtfüßigen, gut gelaunten Abenteuern macht - es ist das beste Paper Mario in über zehn Jahren! Wenn nur die kreativen Fesseln gelöst werden und das Spiel sich vollständig entfalten dürfte ...

Besonders gut finde ich ...
  • exzellente Präsentation mit liebevollem Papier-Weltdesign
  • enorme Kreativität im Rahmen dessen, was möglich ist
  • neues und durchdachtes Puzzle-Kampfsystem mit Tiefe
  • coole Bosskämpfe, die das Ringprinzip clever ausnutzen
  • Levelaufbau mit Überraschungen, intelligent versteckten Schätzen und Toads sowie Einschlag von Jump'n'Run und Action light
  • toll geschriebene Dialoge mit viel Witz und Charme
  • wundervolle und höchst vielfältige Musikuntermalung
  • Bobby als neue Kultfigur im Paper-Mario-Universum
Nicht so optimal ...
  • Fragwürdige Einschränkung der Serie auf bekannte Charaktere, dadurch Overkill an Toads und Mangel an interessanten Figuren
  • zu viele Kämpfe im Kleinen und oft zu kurz nacheinander
  • unnötig: mehrstufige und zerbrechliche Hämmer und Stiefel
  • Musical-Auftritte nur mit Untertiteln, aber ohne Gesang

Tim hat Paper Mario: The Origami King auf der Nintendo Switch gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Nintendo zur Verfügung gestellt.


Paper Mario: The Origami King - Boxart
  •  
  • Entwickler:Intelligent Systems
  • Publisher:Nintendo
  • Genre:Jump'n'Run
  • Plattform:Switch
  • Release:17.07.2020

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