Bravely Default II - Review

Aus Bravely Default, 2013 noch ein willkommener Liebesbrief an die goldene Ära der frühen Final Fantasys, ist mittlerweile eine feste Größe im Lineup von Square Enix geworden, die nach dem Abschied des 3DS nun auf der Nintendo Switch eine neue Heimat sucht. Große Ziele für diesen ersten Auftritt in HD haben sich die Entwickler allerdings nicht gesetzt: Bravely Default II macht dort weiter, wo Flying Fairy und End Layer aufgehört haben, und überhaupt keine Anstalten, sich selbst in irgendeiner Hinsicht weiterzuentwickeln. Na klar: Traditionen wollen gepflegt werden. Aber es droht die Gefahr, dass klassisch irgendwann langweilig wird.

Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindurck. Und wie wichtig, wie wertvoll erste Eindrücke sein können, das demonstrieren manche Spiele derart gut, dass wir ihnen vor knapp zwei Jahren einen eigenen Podcast gewidmet haben: Fünf Spiele ... deren Einstieg in Erinnerung blieb. Passenderweise begann der Text damals übrigens mit dem gleichen Satz wie auch diese Review. Die Bedeutung von ersten Eindrücken und Spieleinstiegen kann man aber auch dadurch veranschaulichen, indem man sich einmal ein Negativbeispiel ansieht. Etwa Bravely Default II. Ich habe selten einen schlechteren und langweiligeren Beginn erlebt wie hier - und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich geradezu entsetzt war, wie Square Enix so ein hässliches Spiel guten Gewissens auf den Markt bringen kann. Schaut euch das an:


Bravely Default II
Hat man die erste Stadt verlassen, wird man von einer abschreckenden Oberwelt mit ganz schlimmen Texturen begrüßt.


Ist der erste Schock überwunden, kann es nur aufwärts gehen



Die gute Nachricht ist, dass es danach nur noch bergauf gehen kann und dass es das erfreulicherweise auch in vierlerlei Hinsicht tut. Denn Bravely Default II ist ein ganz merkwürdiges Spiel, in dem das Budget mit zunehmender Spielzeit zu steigen scheint. Es beginnt ausgerechnet in einer Umgebung, die dem 3DS entsprungen sein könnte, ohne echte Zwischensequenzen, ohne interessantes Narrativ, ohne spielerische Tiefe. Doch je länger man spielt, umso besser wird es.

Die Wüstenstadt im ersten Kapitel, also nach dem ca. fünfstündigen Prolog, ist nicht nur äußerst schick, dort werden plötzlich auch spannende Geschichten erzählt. In Kapitel 2 öffnet sich dann endlich das Jobsystem und lädt zum Experimentieren ein. Und ab Kapitel 3 - hier sind wir schon an die 20 Stunden im Spiel - folgen nicht nur die schönsten Szenarien, sondern auch hochwertige Cutscenes. Es ist geradezu paradox, absolut falsch in seiner Reihenfolge und doch in dieser Hinsicht motivierend, dass man geradezu spüren kann, wie sich das Spiel langsam aber sicher in all seiner Tiefe entfaltet. Bis zu diesem Punkt muss man es allerdings erst einmal schaffen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass nicht jeder diese Geduld mitbringt.


Alt, aber noch nicht aus der Zeit gefallen



Dabei lohnt es sich, am Ball zu bleiben - vor allem als Fan von klassischen JRPGs, und zwar den wirklich klassischen, bevor Final Fantasy sich mit VII anno 1997 in die dritte Dimension bewegte. Denn Bravely Default II ist wie schon seine beiden Vorgänger eine Hommage an eine längst vergangene Ära, deren Meilensteine auch heute noch ihre Reize haben. Die Ähnlichkeiten zu Final Fantasy kommen übrigens nicht von ungefähr, und das nicht nur deshalb, weil beide Spiele aus dem gleichen Hause stammen: Das erste Bravely Default war ursprünglich als eines von vielen FF-Spin-Offs geplant.

Dass daraus am Ende eine ganze Serie werden würde, spricht dafür, dass rundenbasierte Kämpfe, Jobsystem und minimalistische Dungeons trotz ihres Alters noch nicht aus der Zeit gefallen sind. Und es ist gut, dass Bravely Default nicht einfach nur die Vergangenheit nachbildet, sondern sie auch mit modernen und eigenen Elementen abschmeckt: den namensgebenden Brave und Default etwa, Nebenjobs mit Passivboni oder auch der praktischen Möglichkeit, im Kampf einfach vorzuspulen. Die Mischung stimmt, auch wenn die Menge an notwendigem Grind aus meiner Sicht ein Zopf ist, den man ebenfalls hätte abschneiden können. Der größte Haken: All das habe ich schon zwei Mal gespielt. Zweieinhalb, wenn man Octopath Traveler mitzählt.


Bravely Default IIBravely Default II
Per Default-Befehl kann man Runden "ansparen", mit Brave bis zu vier Aktionen in einem Zug ausführen.


Das kommt mir doch alles irgendwie bekannt vor ...



Im Kern bleibt Bravely Default II also nicht nur weiterhin sehr klassisch, sondern sich selbst für meinen Geschmack zu treu, denn es ist so ziemlich genau das Spiel, das man erwartet, wenn man Bravely Default: Flying Fairy und Bravely Second: End Layer bereits kennt - für einen Untertitel hat es dieses Mal übrigens leider nicht gereicht. Diese Treue bedeutet auch, dass die übergeordnete Story einmal mehr so sehr zum Vergessen ist, dass ich selbst die Namen der Figuren nochmal nachschlagen musste. Vier puppenartige Helden - Seth, Gloria, Elvis und Adelle - begeben sich auf eine gemeinsame Reise durch den Kontinent Excillant, um die vier Kristalle zu sichern, mit denen der Oberschurke aufgehalten werden kann - kreativer geht es kaum, man möge mir den Sarkasmus verzeihen. Schade, dass sich Square Enix auf diesen uralten Klischees ausruht.

Immerhin: Jedes Kapitel und jeder Ort erzählen für sich durchaus gelungene eigene kleine Geschichten und es ist interessant zu sehen, wie die die Kristalle die unterschiedlichen Regionen der Welt mit ihrer Kraft verändert haben. So steht die prächtige Wüstenmetropole nahezu komplett unter Wasser, während Wiswald, die Stadt des Wissens, nach einem explosionsartigen Waldwachstum aussieht wie ein gigantisches Baumhaus. Hier zeigt sich das Spiel dann mit seinen handgemalten Dioramen von seiner schönsten Seite, während der Rest, allen voran die Charaktermodelle, die 3DS-Wurzeln nicht verbergen kann.


Bravely Default IIBravely Default II
Während die handgemalten Städte wirklich schick aussehen, muss man sich an die puppenartigen Figuren erst gewöhnen.


"Spar dir BP, dann tut's gleich richtig weh!"



Bravely Default II ist ein Spiel mit Höhen und Tiefen, das über weite Strecken einfach nur vor sich hin plätschert und sich keine Mühe gibt, das Genre irgendwie voranzubringen - auch nicht die Innovationen, die es selbst anno 2013 mit dem ersten Teil in die ur-traditionelle Formel eingebracht hat. Noch immer sind die rundentaktischen Kämpfe, in denen man sich zusätzliche Aktionen "ansparen" kann, gemeinsam mit einem hochgradig offenen Jobsystem der Höhepunkt des Spiels, ohne dass sich daran jedoch gegenüber den Vorgängern viel geändert hat. Hat man erst einmal neun, zehn Jobs freigeschaltet, ergibt sich aus der völlig freien Kombination von Haupt- und Nebenjobs eine irrsinnige Tiefe, zumal die Klassen nicht auf Klassiker wie Mönch, Schwarz- und Weißmagier, Berserker oder Beastmaster beschränkt sind - es gibt erneut auch außergewöhnliche Jobs wie Maler oder Glücksspieler mit ganz eigenen und teilweise äußerst mächtigen Stärken und Eigenschaften.

Das Experimentieren mit diesem Pool an Möglichkeiten ist das, was an Bravely Default II einmal mehr am meisten Spaß macht, auch wenn es im nunmehr dritten Spiel der Serie an Wow-Faktor verloren hat. Und auch die alten Probleme sind mit an Bord: Zuerst dauert es zu lange, bis man ausreichend Jobs freigeschaltet hat, später kippt dann die Balance, weil man zu schnell zu stark geworden ist. So war Adelle bei mir recht schnell eine übermächtige Kampfmaschine, die dank einer Kombination aus Krieger- und Berserkerklasse sowie Passivboni auf Stärke und Geschwindigkeit auch ganze Gegnergruppen gleich im ersten Anlauf mühelos weggepflügt hat. Am spannendsten sind und bleiben jeweils die Bosskämpfe, die nach dem hart erkämpften Sieg mit dem neu gewonnenen Job belohnen - hier muss man häufig etwas länger grübeln, um die richtige Strategie zu finden.

Ich würde lügen, würde ich behaupten, Bravely Default II hat mir über seine (zu?) lange Laufzeit von knapp 50 Stunden keine Freude bereitet. Meine Begeisterung hält sich dennoch stark in Grenzen. Das liegt vor allem daran, wie vorhersehbar, wie ambitionslos das absolute Gros dieses Abenteuers konzipiert ist, wie wenig Mühe sich Square Enix und Silicon Studio - die derzeit am Taktik-Rollenspiel Project Triangle Strategy arbeiten - gegeben haben, mehr als das Notwendigste abzuliefern - und das auf allen Ebenen: spielerisch, technisch, erzählerisch, ja selbst musikalisch. Auch an den minimalistischen Dungeons, die mancheiner nach wie vor zu feiern scheint, habe ich mich längst sattgesehen und hätte sie am liebsten alle übersprungen. Insofern sollte man sich vor dem Kauf genau bewusst sein, auf was für ein Spiel man sich mit Bravely Default II einlässt - und ehrlich zu sich selbst sein, ob man die Final Fantasys von früher, die man damals so geliebt hat, heute wirklich noch einmal spielen möchte. Ich habe meine Antwort darauf mittlerweile gefunden.



Tim

Fazit von Tim:

Auch wenn Bravely Default II sicherlich eines der besten und facettenreichsten Jobsysteme im JRPG-Genre haben dürfte, rettet es das Spiel nicht davor, über weite Strecken vor allem eines zu sein: beliebig. Denn fernab vom guten, aber auch längst nicht mehr überraschenden Kampf- und Klassensystem mangelt es dem Abenteuer nicht nur an Höhepunkten, sondern überhaupt an Ambitionen. Alles plätschert unschuldig vor sich hin, tut nach dem gruseligen Einstieg niemandem mehr weh, haut aber auch niemandem mehr um. Selbst die Welt und der Soundtrack, für gewöhnlich in solchen Spielen regelrechte Treiber, bleiben hinter den Erwartungen zurück.

Im Kern ist Bravely Default II damit freilich kein schlechtes Spiel und wer sich endlich wieder ein "gutes altes Final Fantasy" wünscht, mag mit Seth, Gloria, Elvis und Adelle mehr Spaß haben als ich. Zumindest habe ich für mich nach Octopath Traveler und nun Bravely Default II festgestellt: Traditionen sind ja schön und gut - aber so ganz ohne Überraschungen und Innovationen ist mir das klassische JRPG mittlerweile zu gewöhnlich geworden. Und für stundenlangen Grind ist mir meine Zeit zu schade.

Bravely Default II liefert auf allen Ebenen - spielerisch, technisch, erzählerisch und musikalisch - nicht mehr ab als das Nötigste und ist damit trotz eines nach wie vor hervorragenden Jobsystems leider vor allem eines: beliebig.

Besonders gut finde ich ...
  • exzellentes Jobsystem mit viel Raum zum Experimentieren
  • eine Reihe außergewöhnlicher Klassen, z. B. Glücksspieler
  • gewohnt gutes Kampfsystem mit cleveren Brave & Default
  • Bosskämpfe gegen neue Klassen sind oft herausfordernd
  • Abkehr von Zufallskämpfen, alle Gegner auf der Karte
Nicht so optimal ...
  • in allen Belangen schrecklicher und viel zu langer Einstieg
  • Grind, Grind und noch mehr Grind durch überlange Dungeons und die Notwendigkeit, Jobs für echten Nutzen auf Level 12 zu pushen
  • visuell über weite Strecken mehr 3DS als Nintendo Switch
  • langweilige Geschichte und wenig interessante Figuren
  • schon im zweiten Kapitel recycelte, neu gefärbte Gegner
  • umständliche Menüs, generell unbequeme Nutzerführung

Tim hat Bravely Default II auf der Nintendo Switch gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Nintendo zur Verfügung gestellt.


Blog-Archiv März 2021#BravelyDefault#BravelyDefault2#JRPG#NintendoSwitch
Bravely Default II - Boxart
  •  
  • Entwickler:Silicon Studio
  • Publisher:Nintendo
  • Genre:JRPG
  • Plattform:PC, Switch
  • Release:26.02.2021
    (PC) 02.09.2021