Biomutant - Review

Biomutant hat uns schon vor einigen Jahren auf der gamescom hellhörig werden lassen. Dieses pelzige Etwas, das in einer Seifenblase durch die Gegend rollt und damit auf seine Feinde hopst, hatte einen gewissen Charme. Nachdem die Demo allerdings mehrere Jahre hintereinander in gleicher Qualität präsentiert wurde, kamen langsam Fragen und Zweifel auf. Haben wir es hier tatsächlich mit einem gut ausbalancierten Open-World-RPG zu tun? Oder beißen die Entwickler mehr ab, als sie kauen können?

Endlich mal eine Postapokalypse, die nicht auf diverse Brauntöne, absolut verwüstete Straßenzüge und melancholische Grundstimmung setzt. Biomutant erfreut mein Auge mit allerlei Farbenpracht, bunten Spritzern an jeder Ecke und einer generell sehr grünen offenen Welt. Traumhafte Flüsse bahnen sich den Weg durch hügelige Landschaften, ein riesenhafter Baum überspannt fast den gesamten Horizont und die untergehende Sonne taucht die ganze Szenerie in ein warmes goldgelb. Schade, dass der putzige Protagonist dabei sehr schnell in repetitive Muster verfällt.


Biomutant
Die tollen Panoramen sind es jederzeit wert kurz inne zu halten.


Großer Charaktereditor, wenig dahinter



Nach dem kurzen Intro in dem ich bereits meinen scheinbaren Erzfeind vorgestellt bekomme, geht es sofort in den Charaktereditor, welcher für ein gutes Rollenspiel natürlich Pflicht ist. In diesem Menü aus Schiebereglern und Werten kann ich mir meinen Protagonisten zusammenschrauben, der, aufgrund von verschiedenen genetischen Mutationen, je nach Fähigkeit andere Formen annimmt. Setze ich zum Beispiel alles auf Intelligenz, schwillt der Kopf meines Plüsch-Nagers zu einem wahren Superhirn an. Liegt mein Fokus auf Agilität nehmen die Beine an Umfang zu, bei Stärke die Arme sowie das Kreuz usw. Das führt jedoch unfreiwillig dazu, dass mir ein auf hohen IQ getrimmter Held optisch eindeutig nicht zusagt.

Daher entscheide ich mich für die goldene Mitte von Allem, weil das putzige Tierchen so am ehesten dem Bild auf dem Cover entspricht. Und wie sich später rausstellen soll, hat all das Priorisieren und die nachfolgende Klassenwahl so gut wie keinen Einfluss auf den Spielverlauf. Ich kann mich auch während der Kämpfe und Missionen noch in eine ganz andere Richtung lehnen und Skills verschiedenster Gattungen lernen - völlig gleich, wie mein Ursprungszustand war. Apropos Kämpfe, insbesondere das vielfach angepriesene "einzigartige Martial-Arts-Kampfsystem" entpuppt sich ebenfalls als Luftnummer. Abgesehen von leicht unterschiedlich anmutenden Animationen - je nachdem, welche Stammeswaffe ich ausgerüstet habe - funktioniert der Nahkampf oftmals lediglich durch das Drücken einer Taste. Das revolutionäre Wung-Fu hatte ich mir deutlich umfangreicher vorgestellt.

Die ersten Schritte im vergleichsweise langen und schlauchigen Tutorial getan, erfahre ich ein wenig über die Welt um mich herum. Scheinbar komme ich aus einem Ort ganz in der Nähe, aus dem ich im Kindesalter flüchten musste. Die mich Kung-Fu lehrende Mutter und der Vater starben beide während eines Überfalls und nur ich konnte durch ihre Hilfe entkommen. Nun, einige Jahre später kehre ich zurück, um den Mörder meiner Eltern zu finden. Doch bevor ich ihm gegenübertrete stellt sich mir ein Rollstuhlfahrendes Faultier in den Weg.

Der sich "Out-Of-Date" nennende Greis ist ein alter Bekannter und macht mich auf ein viel größeres Problem aufmerksam. Der Tree of Life, welcher dem gesamten Land Lebensenergie spendet, wird an jeder seiner vier Wurzeln von Weltenfressern angenagt. Diese gilt es in jedem Fall von ihrem Vorhaben abzubringen. Außerdem tobt ein Krieg zwischen den sechs Stämmen, welchen es zu schlichten gilt. Also auf auf, es gibt jede Menge zu tun!


BiomutantBiomutant
Die Power-Faust lässt mich Wände einschlagen, während es mir der Mech ermöglicht durch's verstrahlte Ödland zu ziehen.


So. Viele. Systeme!



Das ist auch keineswegs übertrieben. Die vielen Aufgaben, Features, Systeme und Möglichkeiten sind beeindruckend, können einen aber auch erschlagen. Es gibt ein Karma-System, Crafting von Waffen, Rüstung und Add-Ons, biologische und osionische Spezialangriffe, Sonderattacken je nach ausgerüsteter Waffe, den Stammeskrieg mit sechs Festungen, Schieberätsel, Schalterrätsel, Umgebungsrätsel, vier dicke Endbosse, meinen Erzfeind, Reittiere zu Land, eine Art Jetski auf dem Wasser und, und, und.

Bei dieser riesigen Auswahl kommen selbst gestandene AAA-Studios ins Schwitzen. So viele Abhängigkeiten, Kombinationen, Lösungswege - da kann einiges schief gehen. Das junge Entwicklerstudio Experiment 101 aus Schweden, das sich aus ehemaligen Entwicklern der Avalanche Studios unter der Leitung von Stefan Ljungqvist zusammensetzt, haben sich anscheinend leider übernommen. Die meisten der Features wirken oberflächlich und haben keinerlei Tiefgang oder Mehrwert im Verlauf der Kampagne. Das Karma-System beispielsweise ist einzig und allein dazu da, um verschiedene psionische Fähigkeiten freischaltbar zu machen. Wer aber stur böse oder gut in den Gesprächen auswählt, verpasst brauchbare Skills auf beiden Seiten der Medaille. Ich hatte mit meinem "grauen" Charakter gen Ende aber so viele Punkte an Schreinen freigeschaltet, dass ich mir locker alle interessanten Fähigkeiten leisten konnte.

Was den Entwicklern allerdings sehr gut gelungen ist, ist das Crafting. Und bei aller Liebe, ich bin normalerweise jemand, der das Zusammenbauen von Waffen und Ausrüstungsgegenständen aus zuvor zerlegten Einzelteilen hasst, wie der Schneemann die Sonne. Wir erinnern uns an Cyberpunk 2077 und die noch immer nicht implementierte Funktion, Attachments im Bulk herzustellen. Aber Experiment 101 hat es geschafft, mich zum Tüfteln zu animieren.

Alle Fernrohre, Läufe, Magazine oder Kolben können miteinander kombiniert werden und ich sehe direkt, ob daraus ein Schadensboost resultiert, oder ich pro Sekunde weniger Kugeln abfeuern kann. Gleiches gilt für Nahkampfwaffen. Griffe, Messer und Klingen werden bunt durchgemischt und mit Nägeln, Elektroden oder Platten für zusätzlichen Schaden gepimpt. Erst wenn ich mit dem Herumprobieren fertig bin und final "Zusammenschrauben" auswähle, werden die Komponenten verbraucht und ich habe ein neues Spielzeug erstellt. Das macht Spaß, ergibt seltsam-witzige Konstruktionen und wirkt wie ein voll ausgearbeitetes Feature.

Das Wirtschaftssystem hingegen ist wieder etwas, was man sich hätte sparen können. Kaufen und Verkaufen von Waffen bei Händlern habe ich getrost ignoriert, da hier nie etwas von Wert angeboten wurde, was meine gebastelten Großschwerter nicht schon vor Stunden im Stande zu leisten war. Das in der Spielwelt aufzusammelnde "Grün", das als Zahlungsmittel dienen soll, ist demzufolge gänzlich nutzlos.


Biomutant
Die unterschiedlichen Gegner sind allesamt schön designed und reichen von mausgroßen, agilen Ninjas bis hin zu riesigen, Zähne fletschenden Bestien.


The same procedure as last time?



Ich bewege mich also frei durch die offene Welt, zu Fuß oder auf einem meiner in der Zwischenzeit gezähmten Reittiere, und statte den unterschiedlichen Biomen einen Besuch ab. Von eisigen Berggipfeln, durch orange Cannyons in dicht bewucherte Wälder - der Übergang ist organisch in die Umgebung gearbeitet und bietet mit den ganzen Sümpfen und einem verseuchten Ödland viel Abwechslung. Letzteres kann ich ohne Schutzanzug nicht durchqueren, wozu mir von einem Freund ein tauglicher Mech ausgeliehen wird, mit dem ich auch einen der Endbosse erledigen muss.

Den größten Haken von Biomutant stellt allerdings das ständige Wiederholen ein und derselben Aufgaben dar. Der oben angesprochene Krieg verlangt nämlich von mir, dass ich alle sechs Stämme besiege bzw. befriede und ihre Festungen erobere. Bevor ich jedoch die große Wehranlage angehen kann, muss ich jedes Mal drei Außenposten zerlegen, die in Form und Aufbau immer dem gleichen Schema entsprechen. Dies ist auch nicht optional, da ich die finale Mission nicht starten kann, wenn auch nur ein Stamm übrig ist. Ich habe also bereits drei der vier World Eater erlegt, muss mich dann aber zuerst um die Streitigkeiten der übrigen Häuptlinge kümmern, bevor ich den vierten und letzten zur Strecke bringen darf. Und dann drückt mir "Out-Of-Date" noch nen dummen Spruch, warum ich mich nicht früher um das dicke Viech gekümmert habe - Argh!

Die Rätsel basieren ebenfalls allesamt auf dem gleichen Prinzip, bei dem Schalter, Rohre oder Leitungen mit den richtigen Farben kombiniert werden müssen. Diese sind jedoch so einfach, dass ich nie wirklich ins Hadern kam. Dazu kommt noch, dass jedes Puzzle sofort und ohne Chance es auszublenden in klaren Worten auf dem Bildschirm erklärt wird. Warum überhaupt mit dem programmieren herumärgern, wenn ihr die Lösung ohnehin auf dem Silbertablett serviert?


Biomutant
Jeder interessante Ort verfügt über einen Schnellreisepunkt, den mein kleiner Freund zum aktivieren "markiert".


Redest du mit mir?



Aus all dem tristen Trott bringt mich glücklicherweise der ebenfalls vorhandene Fotomodus raus. Das Spiel sieht grafisch ganz schick aus und verfügt über durchaus brauchbare Partikeleffekte. So entstehen schöne Bilder, welche die weiten Durststrecken dazwischen etwas auflockern. Ganz so ausgefeilt wie beispielsweise bei einem Ghost of Tsushima kommt der Fotomodus jedoch nicht daher. Hintergrundunschärfe, Kamera-Neigung und Zoom. Das war es dann auch schon.

Dem vergleichsweise kleinen Budget, mit dem das Studio dieses ambitionierte Mammutprojekt zu schultern versuchte, ist wohl auch der Mangel an Synchronsprechern anzurechnen. Es gibt nämlich genau Einen. Der synchronisiert auch nicht, sondern übersetzt das von den NPCs verwendete Kauderwelsch. Die kindliche Brabbelsprache ist anfangs ganz süß, verliert aber schnell an Charme und wird dann fix ziemlich nervig. Glücklicherweise kann man dies im Menü ausschalten und im gleichen Zug auch den Erzähler muten. Der macht seine Sache partout nicht schlecht, doch die Art und Weise wie seine Übersetzung eingebunden ist nervt tierisch. Außerdem wiederholt sich der Brite immer und immer wieder. Ich wurde von ihm ungelogen bei JEDEM der bestrittenen Rätsel darauf hingewiesen, dass ich nur noch ein paar Züge zur Verfügung habe, um sie zu lösen - und es gab bei Weitem zu viele davon. Durch das Ausblenden der gesamten Sprache spielt man zwar quasi einen Stummfilm, doch nach mehr als 10 Stunden Gebrabbel und Erklärerei war es einfach genug.

Zu all dem kommen leider auch noch die schlechte Performance und Bugs von Biomutant. Auf meiner PlayStation 4 Pro ruckelt es merklich beim Umdrehen und die Ladezeiten sind relativ lange, gerade beim ersten Spielstart. Außerdem musste ich während der Kampagne zwei Systemabstürze verzeichnen. Mein Charakter bleibt beim Erkunden der Karte gerne mal an der Level-Geometrie hängen und Werte von Waffen springen im Crafting Menü hin und her. Beim Öffnen des Inventars haben dann plötzlich alle Schwerter denselben Schadenswert, oder die Crit-Chance schwankt von 0-79%, wenn ich vor und zurück blättere. Außerdem sind manchmal Slots beim Craften nicht anwählbar, an denen ich normalerweise Erweiterungen anbringen sollte.

Am Ende bleibe ich etwas ernüchtert bei den Credits hängen und frage mich, ob uns hier ein potentiell gutes Spiel durch die Lappen gegangen ist. Lag es einfach am Umfang, den das kleine Studio nicht erfüllen konnte? Hätte der große Publisher THQ Nordic noch etwas mehr Geld in die Sache buttern sollen? Oder ebnen die Entwickler einen Weg für kommende, ausgereiftere Titel? Welcher Grund es auch immer sein mag, es gibt bestimmt ein paar Leute da draußen, denen Biomutant genau das bietet, was sie gesucht haben. Und hey, das bereits integrierte New Game+ Feature überspringt zumindest die ersten beiden Stunden Tutorial. Es kann also direkt mit dem zuvor gesammelten Equipment weitergehen.



Energiekuchen

Fazit von Tobias:

Biomutant hat durchaus seine Momente. Wenn ich mit meinem treuen, mechanischen Ross durch die üppig grünen Wälder reite, mitten im Nirgendwo eine Tankstelle plündere, oder auf orangefarbenen Klippen eine fantastische Aussicht genieße, sprüht das Action-Adventure nur so vor Charme. Zwischendurch mal ein paar Gegnern die Visage mit meinem selbstgebauten Holzklotz poliert und per Telekinese vom Hausdach gefegt - dann ist das ein ausgewogener Ausritt gewesen.

Leider stellen viele Bugs, unbalancierte Kämpfe und die schiere Fülle an Systemen dem kleinen Nager immer wieder ein Bein. Vieles wirkt eintönig, die Stammeskämpfe öden nach der zweiten Runde schon an und wer immer schön Abstand hält kann selbst den stärksten "Lupa Lupin" bezwingen. Dazu kommt der Geschichtenerzähler, der zum einen zu wenig und zum anderen viel zu viel zu sagen hat.

Biomutant hat durchaus Potential viel unterhaltsamer zu sein. Es scheint, als haben die Entwickler einfach mehr auf den Teller gepackt, als sie tatsächlich verdrücken konnten. Schade, denn das kleine Wollknäuel ist mir trotz einiger Macken ein bisschen ans Herz gewachsen.

Besonders gut finde ich ...
  • abwechslungsreiche Landschaften
  • tolles Crafting-System
  • mannigfaltiges Gegner-Design
  • schöne Grafik, die zum fotografieren einlädt
Nicht so optimal ...
  • extrem repetitives Gameplay
  • viele Bugs und schlechte Performance
  • zu viele Systeme, die oberflächlich oder gänzlich nutzlos sind
  • uninspirierte Rätsel, die ihre eigene Lösung verraten
  • Brabbelsprache und der omnipräsente Erzähler
  • unbalancierter Kampf

Tobias hat Biomutant auf der PlayStation 4 Pro gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von THQ Nordic zur Verfügung gestellt.


Biomutant - Boxart
  •  
  • Entwickler:Experiment 101
  • Publisher:THQ Nordic
  • Genre:Action-RPG
  • Plattform:PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series, Switch
  • Release:25.05.2021
    (PS5, Xbox Series) 06.09.2022
    (Switch) 14.02.2024

Kommentare & Likes

Deine Meinung ist gefragt.
  • Tim
    #1 | 23. Juli 2021 um 12:21 Uhr
    Sehr, sehr schade. Ich hatte mich da lange drauf gefreut, gerade nach der ersten Präsentation auf der gamescom, aber am Ende hat sich das Team wohl doch übernommen. Auf der einen Seite beeindruckend, was nur 20 Leute (!) schaffen können - auf der anderen ist das Ergebnis aber eben doch enttäuschend. Ich werde wahrscheinlich eines Tages trotzdem mal reinschauen, die Idee und das Setting sprechen mich nach wie vor an und vielleicht wird das Spiel über die Zeit durch Patches, Updates usw. auch noch eine Ecke besser