Wanderer - Review

Schon mal Thomas Edison dabei geholfen, eine seiner zahlreichen Erfindungen ans Laufen zu bekommen? Oder bei einem Rockkonzert im Stile von Woodstock selbst auf der Bühne gestanden? Große Kräne bedient, um ein Wasserkraftwerk wieder Strom produzieren zu lassen? Traurigerweise musste ich diese Fragen bis vor kurzem, wie so viele andere womöglich ebenfalls, verneinen. Doch zum Glück ermöglicht uns das VR-Adventure Wanderer einen Blick in die Vergangenheit sowie Zukunft und lässt mich große Ereignisse unserer Geschichte hautnah miterleben.

Die Herausforderung bei Puzzle-Spiel-Reviews ist zweifelsfrei, dass man einen möglichst breiten Eindruck vermitteln, dabei aber keineswegs zuviel vorwegnehmen möchte. Zum Glück verbindet Wanderer den Charme intelligent gestalteter Rätsel mit zahlreichen, actiongeladenen Szenen, die es mir erlauben auch etwas detaillierter zu berichten. Wem das endlose entschlüsseln kryptischer Botschaften zu langweilig ist, darf sich hier auch gerne eine Luger oder einen C4-Sprengsatz besorgen und bösen Menschen das Jenseits näher bringen.


Wanderer
Ein ganz besonderer Ausflug und die erste Station im Spiel: Der Mond!


Fantastische Zeitreisen



Ich schlüpfe in die Schuhe von Asher Neumann, einem einfachen Kerl, der in einer alternativen, post-apokalyptischen Welt unfreiwillig zum Retter der Zeit werden und die vorangegangenen katastrophalen Ereignisse verhindern soll. Während ich mich durch eine überflutete Stadt schlage und gefährlich an meinem Boot knabbernden Krokodilen mit einem Baseballschläger sanft den Oberkiefer massiere, halte ich Ausschau nach dem Appartement meines Großvaters.

Der alte Mann bewahrt dort angeblich mysteriöse Artefakte auf, die es einem erlauben Raum und Zeit zu manipulieren. Kaum habe ich es in die ziemlich heruntergekommene Bude geschafft, springt mir auch gleich eine prachtvolle Schatulle ins Auge, in der ich eine Armbanduhr erkennen kann. Ohne lange zu überlegen schnalle ich mir den seltsam anmutenden Zeitmesser ans Handgelenk und werde prompt von selbigem angesprochen. Los geht die wilde Fahrt.

Mein neues Accessoire zeigt mir nämlich nicht lediglich Stunden und Minuten an, sondern interagiert auf eigene Weise mit mir und der Umwelt. Der Kamerad gibt mir zahlreiche Tipps zur Umgebung, hilft mir aus der Patsche, wenn ich mal Probleme habe und zeigt mir interessante Möglichkeiten auf, zu denen ich dank seiner Akquise nun Zugang habe. Außerdem beinhaltet die Uhr mein Inventar, was durch einfaches Vorhalten meiner Hand aktiviert werden kann und dort von mir platzierte Gegenstände in einem Radialmenü aufgezeigt werden.

Das ist ein geschickter und einfacher Kniff, um in VR mein Gepäck zu verwalten. Ein weit intuitiveres und in der Spielwelt verankertes Item-Management, als die unübersichtlichen Listen aus beispielsweise einem Elder Scrolls. Doch das wirklich spannende Bauteil ist auf der Unterseite meines Handgelenks montiert. Halte ich hier die passenden Artefakte dran gibt es einen Lichtblitz und ich reise schnurstracks zu einem anderen Ort in einer anderen Zeit.


WandererWanderer
Inventar und Zeitmaschine in einem. Die Uhr gibt mir sogar Tipps, wenn ich mal feststecke.


Von den Mayas in die Neuzeit



Auf diese Weise springe ich von Epoche zu Epoche, löse Rätsel und bekomme dafür neue Artefakte, die meine Reiseroute erweitern. Dabei verbindet Wanderer klassische Escape-Room-Puzzle mit actiongeladenen Feuergefechten oder Geschicklichkeits-Herausforderungen, die mir eine ebenso ruhige Hand wie Nerven abverlangen. Wo ich an einer Stelle noch präzise die Durchflussmenge in einem Wasserkraftwerk regulieren muss, erwartet man an anderer von mir ein heranrückendes Bataillon Nazis mittels Waffengewalt zurück zu schlagen. Oder ich angele mir einen Pfeilgiftfrosch, der mir im südamerikanischen Dschungel noch von Nutzen sein könnte.

Das breite Arsenal an Schauplätzen und benutzbaren Gegenständen bleibt bis zum Ende des Spiels hin frisch und abwechslungsreich und auch die Balance zwischen Hirntraining und Blockbuster-Bombast ist dem Entwickler durchaus gelungen. Gerade der stete Wechsel der Umgebungen hat bereits in Maskmaker gut funktioniert und macht mich in diese Art von Spiel immer neugierig, wohin es mich als nächstes verschlagen mag. Zum Glück sind die Ladezeiten kaum spürbar und lassen mich nur ganz kurz in oben genanntem Lichtblitz stehen - schwupps geht es auch schon weiter.

Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass man sich offensichtlich von Half-Life: Alyx hat inspirieren lassen. Die Menüführung, die Bewegung, das Interagieren mit der Spielwelt. Alles funktioniert zuverlässig und präzise, weshalb ich diese Entscheidung als absolut richtig bewerte. Es macht eine Umgebung einfach so viel glaubwürdiger, wenn ich Türen auch ohne einen Button zu betätigen einfach mit der Handfläche zu drücken, oder ein angelehntes Fenster aufschieben kann.

Meine Hand schwebt nicht auf magische Weise hindurch, sondern passt sich leicht der Form des Untergrunds an. Ich muss eine Vase nicht mit Tastendruck in die Hand nehmen, um sie vom Tisch zu werfen. Ein Schlag mit der Faust genügt und sie segelt von dannen. Das verfestigt mein Gefühl, Teil dieser Welt zu sein, in ihr zu stehen und mich nach eigenem Gutdünken bewegen zu können.

Apropos Bewegung: Auch hier hat man sich am Vorbild orientiert und neben Locomotion, also der Bewegung mittels Joystick, auch den Teleport übernommen. Inklusive kurzer Schwarzblende, die ein abruptes Springen einfacher für den empfindlichen Magen gestaltet. Wem beim freien Laufen ebenfalls etwas schummerig wird, kann Vignetten anpassen und deren Stärke definieren, was das Bild am Augenrand etwas abdunkelt. Es wird also vieles gegen die Simulatorkrankheit unternommen und Accessibility-Features angeboten. Im Sitzen ist das spielen übrigens ebenfalls möglich. Wer Ingame eine Pause braucht, genehmigt sich einfach ein Bier an der Theke und lässt den Schläger liegen.


Wanderer
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.


Erwähnenswerte Wermutstropfen



Viele der Rätsel lassen sich nur mit Werkzeugen lösen, die ich in einer anderen Zeitlinie gefunden habe. Muss ich beispielsweise das Schloss einer Truhe Ende des 19. Jahrhunderts knacken, schnappe ich mir einfach den Trennschleifer aus Opas Apartment und flexe die dicken Bolzen kurzerhand durch. So einfach bleibt es natürlich nicht. An anderer Stelle muss ein Morsecode entschlüsselt und eine Nachricht abgefangen werden, nur um das Kauderwelsch dank Enigma-Schreibmaschine in lesbaren Text umzukryptographieren. Benutzte Objekte brauche ich eventuell für spätere Aufgaben erneut, allerdings bleiben die Schlüssel, Karten, Waffen und Gegenstände genau dort liegen, wo man sie hat fallen lassen. Das speist zwar weiter die Immersion, führt aber auch unweigerlich zu Problemen.

Beispielsweise hatte ich ein ferngesteuertes Auto in der Antike geparkt, weil... ich dort etwas erledigen musste. Nachdem ich das Spiel für den Tag zur Seite legte und am nächsten Morgen erneut startete, war das Auto verschwunden. Nicht mehr aufzufinden. Weder in der Antike, noch in meinem Hub bei Opa. Nachdem ich eine Stunde lang den Plastikflitzer gesucht habe gab ich enttäuscht auf und musste das Kapitel neu laden. Eigene Speicherpunkte setzen geht nämlich leider nicht.

Außerdem wurde ein wichtiges Item, welches ich in einem Büro ergattert hatte, kurzerhand unsichtbar und wart von da an ebenfalls nicht mehr gesehen. Also wieder das Kapitel neu laden. In meinem gesamten Spielverlauf musste ich auf diese Weise drei Mal ganze Passagen rekapitulieren und die Rätsel erneut lösen, weil mir essentielle Teile zum Lösen von Puzzeln abhandengekommen sind. Das war äußerst frustrierend.

Doch abgesehen von diesen Aussetzern bin ich sehr zufrieden mit Wanderer. Das Gameplay hält mich durch den Abwechslungsreichtum und die interessante Story am Ball und verlang auch mal von mir Gegenstände zu zweckentfremden, um auf die Lösung meines nächsten Problems zu kommen. Wenn mir die schnöde Uhr am Handgelenk zu trist erscheint, kann ich sie mit in der Welt verteilten Items an meiner Werkbank etwas aufhübschen. Kinderspielzeug macht sie bunt und farbenfroh, Holz und alte Armee-Ausrüstung gibt ihr einen betuchten Charme.

Wer außerdem mehr im Inventar mitnehmen möchte (anfangs sind es lediglich zwei frei belegbare Slots), der sollte ebenfalls die Augen offen halten. In Schubladen, hinter Reifenstapeln oder einem Erdloch mitten in der Flora - überall sind kleine blaue Kristalle verteilt, die den Stauraum erweitern. Es gibt also einiges zu entdecken und auszuprobieren, was meine 12 Stunden Spielzeit wie im Flug vergehen ließ. Die Zeit raste förmlich vorbei.

Übrigens: In meinem Interview mit Sam Ramlu, der Executive Producerin von Wanderer, erhaltet ihr interessante Einblicke hinter die Kulissen der Spieleentwicklung und weitere spannende Details zur Entstehung des Spiels.



Energiekuchen

Fazit von Tobias:

Wanderer hat mir äußerst gut gefallen und vermengt viele Stärken anderer VR-Titel mit seinen eigenen Ideen. Es sieht schön aus, die Puzzles sind ausgewogen und machen in den meisten Fällen auch Sinn - Ausnahmen bestätigen die Regel. Bei Fragen steht mir ja immer meine stets gut gelaunte Armbanduhr zur Verfügung, welche die Handhabe des Inventars wunderbar einfach gestaltet. Das hin- und herspringen zwischen den Epochen macht Spaß, bietet grundlegend unterschiedliche Lokationen zum Erforschen und das alles geht ganz fix mit einem Knopfdruck. Selbst ein erneutes Laden des Kapitels geschieht binnen weniger Sekunden.

Abgesehen davon, dass ich mehrere Male wichtige Gegenstände verloren habe und ein Rätsel daraufhin nicht lösen konnte, hatte Wanderer auch keine Aussetzer bei mir. Wer also einen interessanten Zeitvertreib mit zahlreichen Herausforderungen sowie Action-Elementen erleben möchte, hat einen neuen Grund, sein VR-Equipment aus dem Schrank zu holen, den Wohnzimmertisch auf die Seite zu schieben und wieder abzutauchen.

Besonders gut finde ich ...
  • Interaktion mit der Spielwelt auch ohne Tastendruck
  • dank Zeitsprüngen in andere Epochen immer abwechslungsreich
  • intelligent realisiertes Inventarmanagement
  • kombiniert vielschichtige Rätsel mit Action-Einlagen
  • schnelle Ladezeiten
  • zahlreiche "Quality of Life"-Optionen und Teleport reduzieren VR-Übelkeit
Nicht so optimal ...
  • kein Schnellspeichern
  • beim Verlust von wichtigen Gegenständen ist erneutes Laden des gesamten Kapitels notwendig
  • die Tipps der Armbanduhr hätten an ein paar Stellen durchaus präziser sein können

Tobias hat Wanderer auf dem PC mit Oculus VR gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Oddboy / M-Theory zur Verfügung gestellt.


Blog-Archiv März 2022#Wanderer#WandererVR#Indiegame#Adventure#VR#PlayStationVR
Wanderer - Boxart
  •  
  • Entwickler:Oddboy
    M-Theory
  • Publisher:Oddboy
    M-Theory
  • Genre:Action-Adventure
  • Plattform:PC, PS4
  • Virtual Reality:Oculus VR, PlayStation VR, Steam VR
  • Release:28.01.2022