Call of Juarez: The Cartel - Review

Techland wollte vom Wilden Westen in den modernen Westen. Sie wollten weg von stimmungsvollen High-Noon-Duellen und Saloon-Schlägereien. Aber das, was Call of Juarez: The Cartel geworden ist, kann das Team unmöglich gewollt haben. Wenn ich mich erinnere, wie viel Spaß ich mit den beiden in meinen Augen hervorragenden Vorgängern gehabt hatte, tut es mir im Herzen weh, so über eine Spieleserie zu schreiben, die ich eigentlich schon immer gemocht habe. Aber mir bleibt beim dritten Teil der Reihe leider nichts anderes übrig. Call of Juarez: The Cartel ist ein technisches, spielerisches und erzählerisches Desaster!

"Ein First-Person-Shooter im Wilden Westen? Her damit!" - so würde ich normalerweise denken, wenn ich den Namen Call of Juarez höre. Der erste Teil und Bound in Blood waren zwei herrlich atmosphärisch, grafisch hübsche und spielerisch gute Actionspiele, die einfach Spaß gemacht und sich mit dem außergewöhnlichen Szenario von der Konkurrenz abgehoben haben. Nachdem letztes Jahr Red Dead Redemption erneut dafür gesorgt hat, dass das Wildwest-Szenario kurzzeitig aufblühte, waren meine Erwartungen an den bis dahin noch nicht angekündigten dritten CoJ-Teil natürlich groß. Doch die Enttäuschung erfolgte schon bei der offiziellen Ankündigung:

Call of Juarez The Cartel spielt in der Gegenwart und bringt die besten Elemente des Wilden Westens in ein modernes Setting. In diesem Actiontitel mit einer packenden Geschichte begeben sich die Spieler auf eine Reise, die sie vom Herzen des modernen Los Angeles in Kalifornien nach Juarez in Mexiko führt.

Wie bitte? Call of Juarez wird plötzlich in die Gegenwart, also in die moderne Zeit versetzt? Es gibt Autos, Flugzeuge und Hubschrauber anstelle von Pferden, Postkutschen und Dampflokomotiven? Anstatt auf feurigen Mustangs durch die endlosen Weiten der Prärie zu reiten, soll ich nun durch die engen und dreckigen Gassen der hintersten Ecken von Los Angeles laufen und mexikanischen Drogendealern auf die Schliche kommen? Ich hatte bereits befürchtet, dass Call of Juarez: The Cartel kein würdiges Call of Juarez mehr wird, das eine so beeindruckende Atmosphäre aufbauen kann. Aber dass es so schlecht wird, hätte ich niemals zu träumen gewagt.

Call of Juarez: The Cartel


Der Sterbensruf von Juarez



Call of Juarez: The Cartel macht so vieles falsch, dass es mir schwer fällt, mich einigermaßen kurz zu fassen. Bereits die Hintergrundgeschichte und das Charakterdesign bzw. die Inszenierung der Figuren sind absolut furchtbar. Drei Hauptfiguren gibt es im Spiel: Kim Evans, Eddie Guerra und Ben McCall. Richtig gehört: Ben McCall ist der Nachfahre von Thomas und Ray McCall aus dem Vorgänger Bound in Blood und der Name hat lediglich einen einzigen Sinn: irgendwie eine Brücke zwischen den zwei inhaltlich und spielerisch grenzverschiedenen Shootern zu schlagen. Abgesehen davon fehlen an jeder Stelle Verbindungen zu den ersten beiden Call-of-Juarez-Teilen, sodass das Gesamtpaket nicht wie ein Spiel wirkt, das von Grund auf als Call of Juarez designt wurde, sondern eher wie eine billige Produktion, der man im letzten Moment noch einen ansprechenden Namen verpassen musste, auf den die Fans und die breite Spielergemeinde anspringen. Zurück zu den Charakteren: Drei Dinge haben die drei gemeinsam. Erstens werfen sie mit pubertären Beleidigungen nur so um sich, zweitens sind sie allesamt unsympathisch bis zum Geht-Nicht-Mehr und drittens kann man in die Haut eines jeden von ihnen schlüpfen, um in der Kampagne, die auch kooperativ spielbar ist, loszulegen. Die Story um einen Drogendealerring und entführte Mädchen ist langweilig erzählt, noch langweiliger inszeniert und darüber hinaus verwirrend - schlichtweg billig. In Verbindung mit der grauenhaften deutschen Sprachausgabe sorgt die Inszenierung nicht für ein spannendes Mitfiebern vor dem Bildschirm, sondern eher für ein hämisches Lächeln und unfreiwillige Lachanfälle.

Doch haken wir die unterdurchschnittliche Präsentation mal ab und wenden uns der eigentlichen Spielmechanik zu. Wie es sich für einen First-Person-Shooter gehört, dienen die beiden Analogsticks zum Zielen und zum Verändern der Kamera - ganz so, wie man es von jedem anderen Genre-Vertreter kennt. Leider steuert sich Call of Juarez: The Cartel allerdings deutlich schlechter und unpräziser als die Mehrheit seiner Genre-Kollegen: Das Fadenkreuz bewegt sich unheimlich abgehackt und ungenau, sodass man mehrfach danebenzielt und damit auch danebenschießt. Zwar kann man die Empfindlichkeit in den Optionen anpassen, viel besser wird das Erlebnis damit aber immer noch nicht. Spielerisch zeigt sich Call of Juarez: The Cartel von seiner langweiligsten Seite: Es geht immerzu linear geradeaus, immer wieder kommen neue dämliche Feinde, denen man die Rübe wegblasen darf. Abwechslung gibt es kaum. Und das, was für Abwechslung sorgen soll, ist ein weiterer spielerischer Tiefpunkt: die Fahrsequenzen. Zwischendurch darf man auch mal in ein Auto steigen und das Fahrzeug durch den Gegenverkehr auf dem Highway von Los Angeles oder durch die grün-braunen Wälder Mexikos jagen. Die Steuerung ist aber dermaßen schlecht, dass ich jedes Mal meine Xbox 360 ausmachen wollte, wenn eine neue Fahrpassage ansteht. Mensch, Techland - was soll denn dieser Mist?


Call of Juarez: The Cartel


Ersetze Wilden Westen durch Gegenwart - ersetze Spaß durch Langeweile!



Natürlich gibt es auch einige Punkte an Call of Juarez 3, die man durchaus positiv werten kann. Dazu gehört zum Beispiel die interessante Idee von persönlichen Herausforderungen. Das bedeutet: Während einer Mission bekommt man plötzlich von seinem Auftraggeber per Handyanruf mitgeteilt, dass man hier einen Safe knacken oder da wichtige Daten stehlen soll. Da die drei Protagonisten aus völlig verschiedenen Gruppen stammen und sich untereinander nicht vertrauen, hat jeder seine eigenen Geheimmissionen und muss diese schnell erfüllen, ohne von den anderen gesehen zu werden - als Belohnung warten Boni wie Erfahrungspunkte oder neue Waffen. Dies sorgt natürlich vor allem im kooperativen Spielmodus mit zwei anderen Spielern für Laune, mit der KI dagegen hatte zumindest ich keine Lust darauf. Ebenfalls cool sind Herausforderungen für alle Gruppenmitglieder, die man so schnell wie möglich abschließen muss. Beispielsweise sind das "Erziele drei Kopfschüsse" oder "Erledige fünf Gegner im Konzentrationsmodus" - wer zuerst das Ziel erreicht hat, erlangt zusätzliche Boni. Grundsätzlich macht Call of Juarez: The Cartel ohnehin nur im Coop-Modus einigermaßen Spaß. Mit der KI sollte man nur spielen, wenn man keine Internetanbindung daheim hat. Dann sollte man auch die Finger von Call of Juarez 3 lassen. Wobei.. sollte das nicht jeder andere auch?

Knappe sieben bis acht Stunden dauert die Kampagne, anschließend wartet noch der Multiplayermodus, der aus genau einem Spielmodus besteht - dieser macht aber immerhin noch recht ordentlich Laune, wenn man ein paar Freunde hat, die das Spiel ebenfalls besitzen. Alternativ kann man die Kampagne auch noch einmal mit einem anderen Charakter durchspielen, das Erlebnis bleibt allerdings das gleiche und unterhaltsamer werden die Missionen dadurch auch nicht. Auch die Technik reißt keine Bäume aus und stellt sich gegenüber dem Vorgänger von 2009 sogar als Rückschritt dar - absolut unverzeihlich und unverständlich. Ich werde den Eindruck nicht los, dass hier jemand mächtig unter Zeitdruck stand und eigentlich gar kein drittes Call of Juarez entwickeln wollte. Zumindest noch nicht jetzt.


Tim

Fazit von Tim:

Das Schlimmste an Call of Juarez: The Cartel ist, dass es von Techland stammt - denn die Jungs haben definitiv mehr auf dem Kasten. Man sehe sich nur einmal Call of Juarez 1 oder Bound in Blood an. Das sind richtig gute, richtig unterhaltsame, richtig stimmungsvolle Wildwest-Shooter, wie sie heutzutage seltener nicht sein könnten! Und sie stammen aus dem Hause Techland. Ich würde jede Wette eingehen, dass das Team mächtig unter Zeitdruck stand und The Cartel so schnell fertig kriegen musste wie nur möglich. Das merkt man dem Spiel auch an allen Ecken und Enden an. Angefangen bei der unglaublich schlechten und langweiligen Inszenierung bis hin zur Sprachausgabe, die man lieber stumm schalten sollte - Call of Juarez: The Cartel ist weder ein würdiges Call of Juarez noch ein Spiel, das das Können der Entwickler repräsentiert. Ich hoffe inständig, dass Dead Island nicht das gleiche Schicksal ereilt. Und ich bete, dass irgendwann wieder ein richtiges Call of Juarez im Wilden Westen erscheint, das den von oben bis unten verschmutzten Seriennamen wieder reinwaschen kann.

Was einmal stimmungsvoller Wilder Westen war, ist heute die verstaubte und eintönige Moderne. Was einmal spannende und explosive Action war, ist heute langweilige Fließband-Ballerei. Das ist kein würdiges Call of Juarez. Das ist ganz, ganz großer Mist!

Besonders gut finde ich ...
  • Kampagne auch kooperativ spielbar
  • zwischendurch launige Abschnitte
Nicht so optimal ...
  • spannungsarme, verwirrende Geschichte
  • abgrundtief schlechte Inszenierung
  • einfallslose Fließband-Ballereien
  • Fahrzeugpassagen sind grauenvoll
  • angestaubte Technik, Grafikfehler
  • schreckliche deutsche Sprachausgabe
  • wo ist der Wilde Westen nur hin?

Tim hat Call of Juarez: The Cartel auf der Xbox 360 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Ubisoft zur Verfügung gestellt.

Call of Juarez: The Cartel - Boxart
  •  
  • Entwickler:Techland
  • Publisher:Ubisoft
  • Genre:Action
  • Plattform:PC, PS3, Xbox360
  • Release:21.07.2011
    (PC) 15.09.2011

Kommentare & Likes

Deine Meinung ist gefragt.
  • Darius
    #1 | 12. August 2011 um 21:34 Uhr
    Schade, fand die ersten beiden ansich auch wegen des Settings interessant, alles andere verkommt ja zum austauschbaren Shooterkram - dass es dann aber auch noch so schlecht wurde, spricht nicht gerade für Techland. Von Dead Island (das btw. nicht in DE erscheint, aber wayne), erwarte ich auch wenig bis gar nichts. Spricht mich überhaupt nicht an. Einzig der DebütTrailer wird wohl lange in Erinnerung bleiben ...

    Zombies sind doch echt mal out! WWII-Overhype lässt grüßen ...
  • DarkRaziel
    #2 | 13. August 2011 um 09:59 Uhr
    Das Spiel wird selbst in England schon für 20 Euro verramscht.
    Daher kann man Ausgehen das dieses Spiel (wenn wir es mal so nennen) ein finanzieller Flop ist für Ubisoft.
    Die ersten Videos sahen noch gut aus und ich hatte es auch Vorbestellt, doch als ich dann kurz vor Veröffentlichung etwas negatives gelesen hatte sofort abbestellt was auch die Richtige Entscheidung gewesen ist, wenn man die vielen Test so liest.
  • Darius
    #3 | 15. August 2011 um 22:44 Uhr

    DarkRaziel: Das Spiel wird selbst in England schon für 20 Euro verramscht.


    Wobei das hinsichtlich der Qualität des Spiels auch trügen kann, Castlevania:LoS wurde auch recht fix so günstig unters Volk geworfen.

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