FIFA 12 - Review

"Fußball wie nie zuvor: noch besser, noch schöner, noch taktischer, noch spaßiger und noch realistischer!" - das versprechen Electronic Arts und Konami jedes Jahr aufs neue, wenn es um die beiden Fußballserien FIFA und Pro Evolution Soccer geht. Während sich die Japaner um den Wiederaufbau der PES-Reihe bemühen, startet EA mit FIFA 12 erstmals einen gewagten Versuch, das komplette Verteidigungssystem zu revolutionieren. "Tactical Defending" nennt sich das neue Element. Eine weitere Neuerung ist die sogenannte "Player Impact Engine". Große Namen, aber was steckt wirklich dahinter? Und: Geht FIFA 12 den nächsten Schritt in Richtung Tabellenspitze?

Fußball ist Fußball - was soll sich da schon jedes Jahr ändern? Man macht doch immer das gleiche! 22 Spieler stehen auf dem Platz, elf pro Mannschaft, und versuchen, den Ball im gegnerischen Tor unterzubringen. Außerdem gibt es noch ein kleines Schiedsrichter-Team, das die Regeln des Lehrbuchs umsetzt und fleißig gelbe und rote Karten verteilt, wenn es denn nötig ist. Gespielt wird auf sogenannten Fußballfeldern in riesigen Arenen, in denen Tausende Fußballfans und Hooligans auf den Tribünen sitzen und ihre Mannschaft anfeuern. Wer gewinnt, bekommt drei Punkte auf dem Tabellenkonto gut geschrieben, bei einem Unentschieden gibt es immerhin einen Punkt und bei einer Niederlage ... muss man eben mit 0 Punkten nach Hause gehen. Nein, Fußball verändert sich wirklich nicht. Die Regeln sind immer gleich, die Spieler wechseln hier und da mal den Verein und verdienen ein paar tausend Euro mehr pro Woche, aber insgesamt ist alles so, wie es schon vor zehn Jahren war. Im Gegensatz zu Electronic Arts' FIFA-Serie - die entwickelt sich nämlich konstant und konsequent weiter. Mit FIFA 12 werde ich allerdings nicht so ganz warm. Woran das liegt? An zwei seltsamen Neuerungen!

FIFA 12


"Was macht der denn da? So kann er ja ungestört zum Tor laufen!"



Wie bereits bei den letzten FIFA-Ablegern hat EA auch dieses Mal nicht gezögert, einige Risiken einzugehen und neue Wege zu beschreiten. In FIFA 12 heißen die beiden grundlegenden frischen Elemente "Tactical Defending" und "Player Impact Engine". Ersteres ist ein völlig umgekrempeltes Verteidigungssystem für die Defensive, zweiteres eine neue Physik-Engine, welche Kollisionen und Fouls realistischer denn je darstellen soll. Darüber hinaus hat man den Karrieremodus grafisch und spielerisch verbessert: Es gibt ein neues Transfersystem, das Interface zeigt aktuelle Nachrichten und Themen aus der Fußballwelt, man darf Interviews geben und hat insgesamt wesentlich mehr Möglichkeiten beim Management des eigenen Teams. So weit, so gut. Eine Neuerung allerdings ist unglaublich nervig und vor allem weit weg von jeglicher Authenzität: Spieler wechseln einfach von selbst den Verein, obwohl der Vertrag es ihnen verbietet! Ich hatte beispielsweise eine Saison mit Borussia Dortmund am Laufen. Eigentlich verlief alles optimal. Plötzlich mehrten sich jedoch in der News-Leiste Nachrichten wie "Heftige Wechselgerüchte um Neven Subotic" und "Subotic hat Heimweh, will Dortmund verlassen". Wochenlang musste ich mir das mit ansehen, bekam aber keinerlei Meldungen vom Spieler selbst oder dem Vorstand. Bis zum Beginn der Transferperiode plötzlich eine Nachricht in meinem Posteingang landete, die besagte, dass Subotic beim ersten Angebot verkauft wird. Ist das realistisch? Nein. Glaubwürdig? Nein. Nervig? Ohja - verdammt nervig. Das gleiche passierte mir auch mit Lionel Messi und Carlos Tévez.

Vergessen wir diese schreckliche und frustrierende Neuerung lieber und wenden uns der eigentlichen Spielmechanik zu. Im Kern spielt sich auch FIFA 12 natürlich wie die Vorgänger, allen voran wie FIFA 11 - aber sobald der gegnerische Angriff startet, ist das bekannte Spielgefühl verschwunden. Der Grund nennt sich Tactical Defending". Das neue Verteidigungssystem gestaltet das Ballabnehmen des Gegners wesentlich schwerer und bietet im Ausgleich eine Vielzahl an neuen Möglichkeiten. So ist nun zum Beispiel das Zustellen eines Gegners möglich. Außerdem kann man gleichzeitig einen zweiten Mann zum ballführenden Spieler schicken, während man selbst die Räume für mögliche tödliche Pässe schließt. Diese Ideen sind super und funktionieren auch in der Praxis sehr gut, sobald man sich an das ungewöhnliche Spielgefühl gewöhnt hat. Allerdings ist es nahezu unmöglich, einem Gegner auf der Schwierigkeitsstufe "Profi" oder "Weltklasse" den Ball abzunehmen: Der Spieler dribbelt einfach durch die eigene Abwehr, ohne sich einen Dreck um meine Verteidiger zu scheren. Sehr nervig ist zudem die Tatsache, dass der Verteidiger einen riesigen Ausfallschritt macht, wenn man zum falschen Zeitpunkt auf die Angriffstaste drückt - und dann kommt man dem Gegenspieler nicht mehr hinterher. "Tactical Defending" ist gut gedacht, in der Umsetzung aber noch nicht vollends gelungen. Ich hoffe, dass FIFA 13 die nervigen Probleme der Defensive ausmerzt. Die Idee dahinter ist nämlich richtig, richtig gut.


FIFA 12


"Nimm ihn raus und hol den Busfahrer rein - der macht das Ding!"



FIFA 12 fühlt sich alles in allem gerade im Vergleich zum Vorgänger sehr träge und behäbig an - und wer das aktuelle Pro Evolution Soccer 2012 spielt, der wird nach dem Zocken von FIFA 12 erstaunt sein, wie schnell dort alles vonstatten geht. Besonders langsam fühlen sich in FIFA 12 aber ausgerechnet die Angriffe an, was zunächst so wirkt, als sein jegliche Dynamik der 2010er- und 2011er-Ableger verschwunden. Nach einiger Eingewöhnungszeit lernt man dieses neue Spielgefühl aber auch zu schätzen, weil es doch seine Vorteile hat. Vor allem die Offensive ist sehr viel anspruchsvoller als noch in den Vorgängern - es ist plötzlich verdammt schwer, überhaupt ein 3:0 gegen einen Gegner auf der Schwierigkeitsstufe "Profi" oder höher zu erzielen. Natürlich sind auch Ergebnisse wie 7:1 oder sogar 10:0 gegen leichtere Gegner im Rahmen des Machbaren und kamen auch bei meiner Saison mit dem BVB ab und zu vor, aber da ich meistens auf "Profi" spiele, war ich überrascht von der Neuausrichtung in der Offensive. Irgendwie fühlen sich Angriffe nun auch realistischer an, obgleich sie viel langsamer ablaufen als in manchem echten Fußballspiel - ich mag diese Veränderung der Spielgeschwindigkeit. Lediglich im Mittelfeld geht ab und an die Dynamik flöten. Flanken fehlt außerdem die nötige Schärfe und Präzision und Pässen mangelt es häufig an dem notwendigen Druck, damit kein Gegenspieler an den Ball kommt. Spaß macht FIFA 12 aber auf jeden Fall. Vor allem, wenn man im Multiplayermodus spielt.

Gerade online wurde der nämlich massiv verfeinert: Namen wie "Live Season" und "Online-Liga" sprechen für sich. Ich bevorzuge zwar lokale Matches und konnte mich nie wirklich für Online-Spiele in FIFA begeistern, wer aber gerne über das weltweite Internet loslegt, wird hier verdammt viel Zeit verbringen können. Besonders die coolen Online-Ligen motivieren wirklich ungemein. Wählen kann man seine Mannschaft aus nahezu allen erdenklichen realen Ligen: Von der Bundesliga über die Priméra División bis hin zur zweiten italienischen Liga ist alles dabei, wovon das Fußballerherz träumt - inklusive aller Originalspieler, die zum Großteil auch optisch sehr detailliert und glaubwürdig in Szene gesetzt sind. Dank der "Player Impact Engine" bewegen sie sich zudem authentischer denn je über den grünen Rasen. Allerdings hat auch die neue Engine ihre Nachteile: Verletzungen werden zwar real simuliert, unzählige Stürze und Zusammenstöße sehen aber unglaublich lächerlich aus. Darüber hinaus können die Schiedsrichter immer schlechter zwischen fairer und unfairer Ballabnahme unterscheiden - ich bekam sogar schon rote Karten für einen sauberen Angriff ohne Grätsche. Wenn ich jedoch von hinten in die Beine getreten bekomme, bleibt der Pfiff des Referees aus. Das ist einer der Nachteile der neuen Engine, auf den ich gerne verzichtet hätte. Den wird man hoffentlich mit einem Patch noch beseitigen.

FIFA 12

FIFA 12


"Die Anziehungskraft der Erde hat versagt, er bleibt oben!"



Spätestens an dieser Überschrift dürfte es klargeworden sein: Ja, die Kommentare von Frank Buschmann und Manni Breuckmann sind sowas von unerträglich, dass die Lautsprecher quasi "Verschone uns!" schreien. Die beiden klingen nicht nur gelangweilt und demotiviert, das Kontingent an lächerlichen und peinlichen Kommentaren wurde sogar noch um einige Knaller erweitert - der Satz mit dem Busfahrer von oben ist nur ein kleines Beispiel. Auch das "zu Fleisch gewordene Strafgespenst" oder das theatralische "Jaaaaaaaaaaaaa!" sorgen immer wieder für unfreiwillige Lacher. Schade ist auch, dass FIFA 12 noch an einigen Grafikbugs leidet, die immer noch nicht entfernt wurden. So passiert es häufig, vor allem in den Wiederholungen in Nahaufnahme, dass Arme und Beine durch die Körper anderer Spieler ragen - das sieht hässlich aus und hat mit Realismus natürlich nicht viel zu tun. Ebenfalls blöd ist es übrigens, dass Spieler dank der "Player Impact Engine" ständig zu Boden fallen - man kommt sich schon fast vor wie beim Training der italienischen Nationalmannschaft. Aufgefallen ist mir auch, dass viel zu viele Schüsse von der Verteidigung geblockt werden. Es sind kleine Details, an denen EA im nächsten Jahr unbedingt arbeiten muss, denn sie sorgen für die Atmosphäre, die immer wieder Einbrüche erleiden muss. Achja: Für den Online-Modus ist ein Online-Pass vonnöten. Mehr dazu hier.


Tim

Fazit von Tim:

FIFA 12 ist für mich kein Fortschritt gegenüber FIFA 11, aber auch kein Rückschritt. Die Idee hinter "Tactical Defending" und der "Player Impact Engine" ist sehr gut - für die perfekte Umsetzung hätte das Entwicklerteam aber wahrscheinlich einfach nur mehr Zeit gebraucht. Besonders das neue Verteidgungssystem stimmt mich in dieser Form einfach nicht glücklich. Drückt man einmal im falschen Zeitpunkt die Angriffstaste, macht der Verteidiger einen riesigen Ausfallschritt und danach ist der gegnerische Stürmer auf und davon - das nervt. Genauso nervt es, dass man der Gegner-KI ohnehin nur schwer den Ball abnehmen kann, sobald man auf Profi oder höher spielt. Die physikalisch korrekten Stürze sind zwar auch ein auf dem Papier interessantes Konzept, in der Praxis jedoch fallen die Spieler teilweise noch unrealistischer als je zuvor - und der Schiedsrichter erkennt viele Kollisionen einfach nicht als Fouls an, obgleich sie welche sind. Trotzdem ist FIFA 12 im Gesamtpaket ein sehr gutes Fußballspiel, was vor allem am nochmals verbesserten Karrieremodus und zum anderen am lupenreinen Online-Multiplayer liegt - mehr kann man von modernem virtuellen Fußball kaum noch erwarten. Den richtigen Schritt nach vorne macht FIFA aber wahrscheinlich erst im kommenden Jahr, wenn man die neuen Konzepte weiter ausbaut. Potential ist jedenfalls da.

FIFA 12 ist zwar kein Fortschritt zu FIFA 11, aber auch kein Rückschritt. An vielen Stellen wurde gearbeitet, allerdings sind auch neue Baustellen entstanden. Alles in allem ein sehr gutes Fußballspiel mit unnötigen Problemen - das wie immer über Wochen fesselt.

Besonders gut finde ich ...
  • nach Eingewöhnung richtig guter Fußball
  • erstaunlich anspruchsvolle Offensive
  • Verteidigungssystem mit vielen Kniffen
  • Player Impact Engine: Verletzungen
  • stark verbesserte Manager-Karriere
  • umfangreicher Online-Multiplayermodus
  • ausgesprochen detaillierte Grafik
  • guter Soundtrack, stimmige Effekte
  • nahezu alle erdenklichen Lizenzen
Nicht so optimal ...
  • Defensiv-KI mit massiven Aussetzern
  • Gegner-KI hält Ball zu sicher
  • anfangs ungewohnt träges Spielgefühl
  • teils katastrophale Schiri-Leistungen
  • viele hässlich animierte Stürze
  • Transfers weit ab von Realismus
  • Spieler wechseln selbst den Verein
  • Online-Pass für Multiplayer nötig

Tim hat FIFA 12 auf der PlayStation 3 gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Electronic Arts zur Verfügung gestellt.

FIFA 12 - Boxart
  •  
  • Entwickler:EA Canada
  • Publisher:Electronic Arts
  • Genre:Fußball
  • Plattform:PC, PS3, Xbox360, Wii, NDS, PSP, 3DS, PS2
  • Release:29.09.2011

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