Pokémon Sonne und Mond - Review

Während andere vergleichbar alte Spieleserien in der modernen Videospielwelt längst an Bedeutung verloren haben, befindet sich Pokémon am Zenit seiner 20-jährigen Historie. Nicht zuletzt gepusht durch das irrsinnig erfolgreiche Pokémon GO sind die kleinen (und großen) Taschenmonster wieder in aller Munde und deshalb kommt die neue siebte Generation auch genau zum richtigen Zeitpunkt. Pokémon Sonne und Mond, abermals für den Nintendo 3DS, nehmen aber nicht einfach nur den Schwung von GO mit und ruhen sich auf dessen Marketing-Effekt aus. Nein, sie verändern die Pokémon-Formel wieder ein kleines bisschen. Allerdings reicht das nicht mehr aus.

Ein kleiner Junge geht auf eine große Reise, um Pokémon zu fangen, sie zu trainieren, Abenteuer und Kämpfe zu bestehen und schließlich der beste Trainer von allen zu werden: Diese Geschichte wird einfach nicht alt und genügt auch beim x-ten Mal noch, um das Sammelfieber in mir zu wecken. Von "Gotta catch 'em all!" sind meine Spielweise und Motivation zwar mittlerweile arg entfernt, dafür reicht mir die Zeit auch einfach nicht mehr aus, aber Pokémon Mond hat mich wieder einmal für Dutzende Stunden an den New Nintendo 3DS gekettet. Und trotzdem lässt es mich emotional irgendwie kalt, von der ursprünglichen Euphorie und Begeisterung sind nicht mehr so viel übrig wie das früher noch war. Was ist passiert? Bin ich zu alt für den Scheiß - mit gerade mal 23 Jahren? Man spricht ja häufig davon, geliebten Ritualen, Begebenheiten und in diesem Fall eben Videospielen "zu entwachsen". Und auch wenn da etwas dran sein mag, schiebe ich die Schuld auf Pokémon Mond zurück, das trotz einiger Veränderungen in den wichtigsten Dingen zurückgeblieben ist.


Pokémon Sonne und MondPokémon Sonne und Mond
Eule, Katze oder Hun.. sorry: Bauz, Flamiau oder Robball? Ich habe die Feuermieze gewählt.


Über vier Inseln sollst du gehen



Nachdem X und Y nach Pari.., sorry, Prisma City entführt haben, ist der Schauplatz der siebten Generation nun das Inselparadies Alola, unverkennbar inspiriert von Hawaii. Vier Inseln gilt es zu bereisen, wobei jede natürlich wie gewohnt ihre gewissen Eigenheiten besitzt und man, ebenfalls wie gewohnt, einzigartige Pokémon finden kann. Insgesamt 80 bislang unbekannte Taschenmonster leben auf Alola, dazu kommen 20 bekannte Pokémon in neuen Alola-Formen - Digda und Digdri etwa haben sich schicke blonde Haare wachsen lassen -, wodurch der Pokédex auf über 800 Einträge wächst. Es gibt also auch in Sonne und Mond wieder verdammt viel zu tun, Pokémon-Spiele werden einfach nicht kleiner. Unter 40 Stunden sieht hier wohl niemand das Finale und selbst dafür müsste man einen Großteil des Abenteuers ignorieren.

Der Weg bis zum Ende ist steinig, aber, und das muss man extra betonen, nicht schwer. Nun war Pokémon natürlich noch nie wirklich schwierig, Mond kommt mir dennoch wie einer der bisher einfachsten Teile überhaupt vor. Völlig egal, gegen wen man im Laufe dieser Inselwanderung antritt, gegen Konkurrenten Hau, die Insel-Kahunas, gegen die freien Trainer oder das Team Skull: Probleme habe ich nie welche bekommen, nur selten überhaupt mal ein Pokémon verloren und die meisten Kontrahenten mit einem einzigen Angriff ausgeknockt - teilweise gar mit Attacken, die gegen den Gegnertyp nicht sehr effektiv sind. Selbst Hau, der mir mit seinem Motto "Juhu, alles macht so super mega viel Spaß!" ziemlich auf die Nerven ging, sucht zu Beginn das Spiels dasjenige Pokémon als seinen Starter aus, das gegen meinen eigenen unterlegen ist: Ich habe die Feuerkatze Flamiau gewählt und er die Graseule Bauz.

Die einzigen Kämpfe, in denen wenigstens ein bisschen Spannung aufkommt und man etwas überlegen muss, wie man vorgeht, sind die gegen die sogenannten Totem-Pokémon - mächtige Versionen gewöhnlicher Monster, die am Ende einer Insel-Herausforderung warten und leider nicht gefangen werden können. Damit man sie als etwas Besonderes erkennt, sind sie nicht nur stärker als ihr Wald- und Wiesen-Pendant, sondern umgeben sich auch mit einem bunt schillernden Schleier, der den New Nintendo 3DS allerdings dermaßen an seine Grenzen bringt, dass das ganze Spiel zu laggen beginnt - und das, obwohl nicht einmal 3D unterstützt wird. Mehr dürfte am 3DS nicht mehr machbar sein, es wird Zeit für die Nintendo Switch.


Pokémon Sonne und Mond
Alola ist die Heimat hunderter Pokémon, darunter vieler kreativer, die wir noch nicht kannten.


Lusardin ruft nach Hilfe! Ein wildes Lusardin erscheint!



Mir ist durchaus bewusst, dass Pokémon schon immer als ein Spiel für alle, vor allem auch für Kinder, gedacht und deshalb noch nie wirklich schwierig gewesen war. Aber diese siebte Generation ist die leichteste von allen, die ich bisher gespielt habe. Und auch wenn Tradition verpflichtet, ist mir diese Ausrede mittlerweile zu faul. Es gäbe mehr als genug Möglichkeiten, das Spiel für erfahrene Spieler anspruchsvoller zu machen, ohne dass ich mir selbst irgendwelche Regeln ausdenken und aufzwingen muss - schon ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad, in dem Trainer zum Beispiel Pokémon verschiedenster Typen dabei haben und munter wechseln, hätte Großes bewirkt. So aber geht für mich der Reiz des Kämpfens verloren und es fühlt sich manchmal an, als würde man seine Zeit einfach verschwenden.

Stellenweise zehren die Duelle gegen wilde Pokémon trotzdem extrem an den Nerven, was aber nichts mit der taktischen Komplexität der Kämpfe zu tun hat, sondern mit der höchst fragwürdigen Design-Entscheidung, dass die kleinen Streuner jetzt immer öfter ein zweites Monster zur Unterstützung rufen - zu allem Überfluss auch noch am Ende einer Runde und nicht als normale Aktion, sodass man das Ganze, wenn alles schief läuft, gar nicht mehr stoppen kann. Mehrere Male war ich in solchen "Hilferuf-Spiralen" gefangen, weil mir eine Attacke fehlte, um beide Pokémon gleichzeitig zu erledigen. Schaut euch dieses Video an, das ich während dem Spielen aufgenommen habe. Es führte kein Weg aus der Schleife raus - jedes Mal, wenn ich ein Lusardin ausgeschaltet habe, rief das übrige ein weiteres. Ein Teufelskreis.


Pokémon Sonne und MondPokémon Sonne und Mond
Mit diesem ersten Totem-Pokémon hatte mein kleines Flamiau immerhin ein bisschen zu kämpfen.


Die Änderungen greifen nicht tief genug



Nun habe ich schon ziemlich lange und ausführlich über den niedrigen Schwierigkeitsgrad und blöde Zufallskämpfe geschrieben - Dinge, die man eigentlich sowieso schon von Pokémon kennt - und bisher kaum ein Wort über die vermeintlich großen Neuerungen von Sonne und Mond verloren. Der Grund dafür ist simpel: Vieles davon ist eher nebensächlicher Natur und verändert das Spielgefühl nur unwesentlich. Ja, die Effektivität von Attacken wird nun direkt in der Übersicht angezeigt, Auswendiglernen ist nicht mehr nötig - sehr praktisch. Und dass VMs nun quasi ersatzlos wegfallen und man stattdessen auf Knopfdruck auf einem Tauros reiten oder mit Lapras schwimmen kann, ist sinnvoll und an sich längst überfällig. Trotzdem bleibt Pokémon immer noch das gute alte Pokémon, ich tue mich abseits der wirklich schönen 3D-Optik schwer, von einer "Evolution" im eigentlichen Sinne des Wortes zu sprechen. Sicher: Wer sich als echten Serienfan bezeichnet und alle über 700 Pokémon bis zum Beginn dieser Generation gefangen hat, der wird solche kleinen und feinen Änderungen zu schätzen wissen.

Gerade die groß angekündigten Neuerungen im Spielverlauf entpuppen sich als enttäuschend. Anstatt Arenaleiter zu besiegen und Orden zu sammeln, meistert man eben kleinere Insel-Herausforderungen á la "Besiege vier Rattfratz" oder "Sammle die Zutaten für eine leckere Suppe", am Ende wartet dann ein besonders starkes Pokémon - das ist mir zu wenig Fortschritt und viel zu simpel. Die neuen Z-Attacken machen die Kämpfe dagegen erst recht zum Kinderspiel und wurden von mir fast vollständig ignoriert; immerhin sehen sie schick aus.

Und was mir gar negativ aufgefallen ist: Gefühlt ist das Abenteuer viel linearer als zuvor, öfter denn je werden Wege mit unglaublich blöden Argumenten blockiert. Hier darf ich nicht rechts abbiegen, weil ein Trainer mit seinem Bissbark die Straße nach seltenen Gegenständen absucht - in der Innenstadt? Dort darf ich nicht weiter geradeaus, weil ein Mogelbaum aus Lust und Laune im Weg herumsteht? Auch das gab es früher schon, es ist in Sonne und Mond für mich aber einfach präsenter geworden. Gleiches gilt für die vielen, teilweise ätzend langen und langweiligen Dialoge und Textzeilen. Wurde früher wirklich auch schon so viel gequatscht? Und wieso muss ich eigentlich jedes einzelne Mal extra darauf hingewiesen werden, dass mein Trainer Beeren in die Beerentasche packt? Das addiert sich auf Dauer so auf, dass es nervt.



Tim

Fazit von Tim:

Trotz neuer Engine, toller Alola-Monster und der traditionellen Suchtformel: Pokémon schleppt viele Altlasten mit sich herum, die es daran hindern, sich wirklich weiterzuentwickeln. Alola ist eine hübsche und interessante Spielwelt, deren Erkundung aber nur selten wirklich gefördert wird, die Zufallskämpfe wirken mittlerweile altbacken und dass ich während des gesamten Abenteuers nur ganz selten groß über eine Taktik nachdenken muss, spricht Bände. Pokémon Mond ist für sich genommen ein wirklich guter neuer Teil der Serie, viele kleine Neuerungen werden den Hardcore-Fans sehr gefallen. Aber das Konzept Pokémon stagniert, weil die Veränderungen, die vorgenommen wurden, nicht tief genug in das System eingreifen. Ich hatte durchaus Spaß auf Alola und mit diesen vielen putzigen kleinen und großen Pokémon, ich habe mich über jedes neue gefangene Wesen und über jede TM und jede Pokémon-Weiterentwicklung gefreut. Aber längere Sessions waren kaum noch möglich, ohne dass mich die einfachen Kämpfe, das ständige Hilferufen oder die überlangen Dialoge genervt haben. Womöglich bin ich der Faszination Pokémon tatsächlich entwachsen, vielleicht hat sich die Serie als solche aber auch einfach wenig Mühe gegeben, sich mit mir zu entwickeln. Ich wünsche mir für die achte Generation mehr Anspruch und mehr Mut zum Risiko - denn loslassen will ich diese besondere Reihe nicht.

Für sich genommen sind Sonne und Mond eine würdige siebte Generation, während das Konzept Pokémon nach 20 Jahren stagniert: Die Faszination blieb diesmal aus.

Besonders gut finde ich ...
  • gewohnt motivierendes Fangen und Aufleveln
  • Kampfsystem mit alten und neuen Stärken
  • etliche Pokémon verschiedener Generationen
  • größtenteils gute & kreative neue Pokémon
  • Insel-Herausforderungen statt Arenakämpfe
  • sehr schicke neue 3D-Grafik, buntes Alola
  • reitbare Pokémon anstatt altbackener VMs
Nicht so optimal ...
  • kein 3D-Effekt, Lags auch auf dem New 3DS
  • sehr linearer Spielaufbau mit Wegsperren
  • zu viele, blöde und oft ausufernde Dialoge
  • bis auf "Bosskämpfe" kaum Herausforderung
  • wilde Pokémon rufen andauernd nach Hilfe

Tim hat Pokémon Sonne und Mond auf dem Nintendo 3DS gespielt.
Das Rezensionsexemplar wurde freundlicherweise von Nintendo zur Verfügung gestellt.

Pokémon Sonne und Mond - Boxart
  •  
  • Entwickler:Game Freak
  • Publisher:Nintendo
  • Genre:JRPG
  • Plattform:3DS
  • Release:23.11.2016

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